Car-aoke | #8

„Detroit Rock City“ von Kiss.

Kaum ein Alltagsgegenstand hat die moderne Musik so sehr geprägt wie das Auto. In dieser Kolumne schreiben unsere Redakteure in losen Abständen über Songs, die eine Automobil-Geschichte erzählen. Manche davon haben es damit sogar in die Musik-Geschichte geschafft. Aber längst nicht alle....

2 Min. Lesedauer

von Christian Scholz, Autor
erschienen am 03. März 2020

Wenn sich Stuttgart gerne als Wiege des Automobils bezeichnet, dann ist Detroit ohne Zweifel die Wiege seiner massenhaften Herstellung. Sie begann dort im Jahr 1909 mit dem Ford Modell T. Nach und nach siedelten sich weitere Autobauer an – allen voran General Motors und Chrysler – und die Region an der kanadischen Grenze erlebte in den folgenden Jahrzehnten einen Aufschwung sondergleichen.

Detroit wurde zur Motor City – oder kurz Motown. Wo sich wirtschaftlich fast alles ums Auto dreht, da bleibt auch das kulturelle Leben davon nicht unberührt. Zumal das Auto in den USA auch stellvertretend für das Selbstbild eines ganzen Landes steht: Freiheit. Unzählige Lieder ranken sich um den Freiheitsmythos, der das Auto umgibt. Und Detroit war lange Zeit der Motor dieser Bewegung. Eine Stadt, die nur eines kannte: Vollbeschäftigung und Vollgas!

"Movin' fast, doin' ninety-five. Hit top speed but I'm still movin' much too slow. I feel so good, I'm so alive. I hear my song playin' on the radio", singen Kiss in ihrem Party-Kracher "Detroit Rock City" aus dem Jahr 1976. Und obwohl die Hardrocker eigentlich aus New York stammten, war Detroit die Stadt, die man huldigte.

Albumcover: "Destroyer" von Kiss
Albumcover: "Destroyer" von Kiss

Das auf "Destroyer" enthaltene Stück beginnt stilecht mit startendem Motor und kennt während der gesamten gut fünf Minuten Spielzeit nur eine Richtung: Nach vorne. "Ten o'clock and I know I gotta hit the road. First I drink, then I smoke." Doch bereits an dieser Stelle könnte man sich trotz der positiven Grundstimmung des Songs die Frage stellen, ob das gut geht. Geht es nicht. Und so endet das Lied wie so manche Party auch: mit einem Crash.

Vielleicht ist das Ende des Songs irgendwie auch sinnbildlich für eine Stadt, die Mitte der 1970er Jahre bereits ihre beste Zeit erlebt hat. Lange, lange vor Finanzkrise, Klimawandel und batterieelektrischen Fahrzeugen von der Westküste des Landes. "You gotta lose your mind in Detroit Rock City" – irgendwann verlor auch die Stadt ihren Mythos und ihre Strahlkraft. Die Party war vorbei. Amerikanische Autos galten fortan vor allem im Rest der Welt als zu groß, zu spritfressend und technisch veraltet. Und gerieten zunehmend ins Hintertreffen. Oder wie Neil Young im Song "Motor City" aus dem Jahr 1981 lamentierte: "There's already too many Datsuns in this town." Und weiter: "This commercial on TV says that Detroit can't make good cars anymore."

Das Leben in der einst florierenden Stadt blieb davon nicht unberührt. Arbeitsplätze gingen verloren, Menschen wanderten ab, der Wohlstand schwand, ganze Straßenzüge verfielen und die Kriminalität grassierte in den Elendsvierteln der Metropole. Doch gerade dort, wo soziale Probleme und Benachteiligung herrschen, führen Wut und Verzweiflung oft zu großer künstlerischer Kreativität. Es ist daher kein Zufall, dass der einstige Niedergang Detroits auch eng verbunden ist mit dem Aufstieg einer neuen Form des Straßenraps: Wütend, anklagend und doch Mut machend.

Es war die Geburtsstunde von Marshall Matters – besser bekannt als Eminem. Im Film "8 Mile" aus dem Jahr 2002 verfilmte er sein Leben, das eng mit der Geschichte Detroits verbunden ist und erhielt mit "Lose Yourself" als erster Rapper einen Oscar für den besten Film-Song. Um Autos ging es darin nicht.

Christian Scholz

dachte früher, dass sowohl Kiss als auch Eminem in Detroit geboren wurden. Das stellte sich zwar als Irrtum heraus, änderte aber nichts daran, dass er beide nach wie vor gerne hört. Trotz der ganz unterschiedlichen Stile. Weil Musik vor allem eines können muss: Emotionen wecken.

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