Bei Mercedes-Benz in Deutschland arbeiten rund 115.000 Menschen, 7.000 davon haben eine Behinderung. Eine von ihnen ist Viviana Hermann. Sie ist im Vertrieb zuständig für das Reporting der Region Europa.
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Interview mit Viviana Hermann
Bei Mercedes-Benz in Deutschland arbeiten rund 115.000 Menschen, 7.000 davon haben eine Behinderung. Eine von ihnen ist Viviana Hermann. Sie ist im Vertrieb zuständig für das Reporting der Region Europa.
Seit einem Tauchunfall vor neun Jahren ist Viviana Hermann ab dem zweiten Halswirbel inkomplett querschnittgelähmt. Ihre Arme, ihr Rumpf und ihre Beine sind von der Lähmung betroffen. Auch wenn sie im Alltag weitestgehend auf ihren Rollstuhl angewiesen ist, kann sie teilweise noch Bewegungen ausführen und kurze Strecken gehen. Im Interview erzählt sie, warum ihre Behinderung nicht nur aus Einschränkungen, sondern auch aus Bereicherungen besteht.
Frau Hermann, durch die inkomplette Querschnittlähmung sind Sie mal als Mensch mit sichtbarer Behinderung unterwegs, mal ist es nicht so offensichtlich. Haben Sie den Eindruck, dass Sie anders behandelt werden, wenn Sie im Rollstuhl sitzen?
Ja, wenn ich im Rollstuhl unterwegs bin, wird mir zum Beispiel immer wieder Hilfe angeboten. Das finde ich prinzipiell gut. Manchmal brauche ich aber keine Hilfe. Wenn ich dann freundlich ablehne, können das manche nicht akzeptieren oder glauben es mir nicht, dass ich im Supermarkt allein an Produkte herankomme, die höher im Regal stehen. Da stehe ich kurz auf und nehme mir die Sachen selbst. Ich habe das Gefühl, in Deutschland gehen die Menschen automatisch davon aus, dass Leute, die im Rollstuhl sitzen, nicht mehr stehen oder gehen können. Aber es gibt ja tausend andere Gründe, warum man einen Rollstuhl nutzen kann oder muss.
Sie haben eine Zeit lang für Mercedes-Benz in Dubai gearbeitet. Hatten Sie das Gefühl, die Menschen reagieren dort anders auf jemanden im Rollstuhl als hier in Deutschland?
Nach meinem Eindruck sind in Dubai Menschen im Rollstuhl selbstverständlicher. Wenn ich zum Beispiel aus dem Rollstuhl aufstehe, starren mich hier in Deutschland die Leute oft an. In Dubai war das nicht so. Ich habe das Gefühl, in anderen Ländern kommt es häufiger vor, dass jemand einen Rollstuhl benutzt. Dort wird er einfach als das angesehen, was er ist: ein Hilfsmittel, um sich fortzubewegen.
Was würden Sie sagen, wie man sich gegenüber einem Menschen mit Behinderung richtig verhält?
Das ist sehr individuell und empfindet jeder Mensch mit Behinderung anders. Generell sollte man sich fragen, ob man mit einer Person genauso umgehen würde, die keine Behinderung hat. Ich fände gut, wenn im direkten Umgang nicht unterschieden wird, ob jemand eine Behinderung hat oder nicht. Ich möchte, dass man mir respektvoll und auf Augenhöhe begegnet – wie man es mit jedem Menschen machen sollte. Und man sollte auch nicht vorschnell Schlüsse ziehen, was eine Person mit Behinderung kann oder nicht kann. Wie zum Beispiel, dass jemand, der im Rollstuhl sitzt, nicht gehen kann. Behinderungen sind meist deutlich komplexer und dynamischer als es auf den ersten Blick scheint - sofern die Behinderung überhaupt sichtbar ist.
Und was ist ein No-Go?
Für mich persönlich grenzüberschreitend ist unter anderem, wenn fremde Personen meinen Rollstuhl anfassen. Er ist für mich wie ein Körperteil. Ich fasse fremde Menschen ja auch nicht einfach so an. Mir ist es auch schon passiert, dass Leute mich einfach beiseitegeschoben haben wie einen Einkaufswagen, der im Weg ist. Was leider auch manchmal vorkommt ist, dass Menschen einen gar nicht ernst nehmen oder verkindlichen. Das kann zum Beispiel passieren, wenn ich mit einer Begleitperson unterwegs bin. Dann wird meine Begleitperson angesprochen und es wird über mich gesprochen, anstatt mit mir. Was ich auch nicht so gut finde, ist, wenn fremde Menschen direkt über die Behinderung in ein Gespräch einsteigen. Man würde ja sonst auch nicht zu Fremden hingehen und sofort nach ihrer Krankengeschichte fragen. Und ich würde mir wünschen, dass man nicht von körperlichen Einschränkungen auf kognitive Einschränkungen schließt. Nur, weil eine Person nicht mehr richtig laufen, nicht mehr richtig sehen, sprechen oder hören kann, heißt das nicht, dass das Denkvermögen eingeschränkt ist.
Wo beginnt Diskriminierung für Sie?
Die Grenze zwischen unsensiblem Verhalten und Diskriminierung ist schmal. Für mich fängt Diskriminierung an, sobald ich merke, ich werde nicht für voll genommen. Vielleicht machen das manche auch unbewusst. An dieser Stelle frage ich mich dann, ob mit einer Person, die keine Behinderung hat, genauso gesprochen und umgegangen wird. Wenn die Antwort Nein ist, beginnt für mich Diskriminierung. Auch Sprache und fehlende räumliche Barrierefreiheit können diskriminierend sein.
Können Sie ein Beispiel geben?
Leider haben sich viele Wörter in den Sprachgebrauch einiger Menschen eingeschlichen, über die sie nicht nachdenken. Zum Beispiel wird das Wort „behindert“ teilweise als Schimpfwort oder beim Fluchen genutzt. Solche Aussagen, und das auch noch im Beisein von Menschen mit Behinderung, sind ein absolutes No-Go. Eine Behinderung wird oft auch mit negativen Attributen oder Beschreibungen verknüpft. Mit Formulierungen wie „ist an den Rollstuhl gefesselt“ oder „leidet an einer Behinderung“ wird eine Behinderung ausschließlich mit Leid und Einschränkung assoziiert. Oder eine Behinderung wird als Drohung genutzt – so wie auf manchen Autobahnen. Da sieht man zum Beispiel Plakate mit der Aufforderung „nicht rasen“, daneben ist dann eine Person im Rollstuhl abgebildet.
Ist eine Behinderung nur mit Einschränkungen verbunden, oder kann sie Ihrer Ansicht nach auch Bereicherungen bereithalten?
Meine Denkweise hat sich durch die Behinderung verändert. Ich denke oft, das muss doch irgendwie machbar sein und dann fange ich an, kreativ zu werden. Ich habe meinen Rollstuhl zum Beispiel so umgebaut, dass ich beim Einkaufen mehr und auch schwere Dinge transportieren kann. Und es klingt vielleicht nach Klischee, aber ich weiß jetzt, was im Leben wirklich zählt. Das macht mich auf eine gewisse Art und Weise gelassener. Seit meiner Behinderung wechsele ich auch häufiger die Perspektive. Und durch meine Behinderung brauche ich mehr Geduld – auch mit mir selbst.