Ola Källenius.

Gastbeitrag von Ola Källenius in The Economist

Europa muss sich verändern, wenn es grün und wettbewerbsfähig sein will.

Übersicht Ola Källenius Jörg Burzer Renata Jungo Brüngger Mathias Geisen Markus Schäfer Britta Seeger Oliver Thöne Hubertus Troska Harald Wilhelm Vergütung

16. Juli 2025 – In einem Gastbeitrag im „The Economist“ erläutert Ola Källenius, Vorstandsvorsitzender von Mercedes-Benz und Präsident des Verbandes der Europäischen Automobilhersteller (ACEA), die ökologischen und regulatorischen Herausforderungen der Automobilindustrie.

Dieser Beitrag von Ola Källenius erschien zuerst auf The Economist  und wurde uns mit freundlicher Genehmigung der Redaktion zur Verfügung gestellt.

Der Green Deal der EU-Kommission sollte Europas „Mann auf dem Mond“-Moment werden. Er zielt darauf ab, bis 2050 einen klimaneutralen Kontinent zu schaffen. Dabei geht es um die Herausforderung, eine wettbewerbsfähige Wirtschaft zu erhalten und die Bedürfnisse unseres Planeten in Einklang zu bringen. Aktuell müssen wir aber verhindern, dass wir uns dabei im Orbit verlieren.

Die europäische Automobilindustrie hat gewaltige Anstrengungen unternommen, um den Green Deal zu einem Erfolg zu machen. Dabei setzen wir uns auch weiterhin voll und ganz für die Umstellung auf emissionsfreien Verkehr und emissionsfreie Mobilität ein. Gemeinsam haben wir Hunderte neuer Elektromodelle auf den Markt gebracht und mehr als 250 Milliarden Euro in die grüne Transformation bis 2030 investiert.

Aber viele Verbraucher sind noch zurückhaltend. Derzeit haben Elektroautos einen Marktanteil von etwa 15 Prozent in der EU – deutlich weniger als die meisten Prognosen vor einigen Jahren vorhergesagt haben. Der kurzfristige Lösungsansatz der EU – eine Durchschnittsermittlung der CO₂-Ziele zwischen 2025 und 2027 – bietet etwas Luft zum Atmen. Allerdings hat sich das wirtschaftliche Umfeld erheblich verschlechtert. Und solange sich die Bedingungen nicht verbessern, wird sich dieser Trend nicht verändern.

Stattdessen besteht die Gefahr, dass das de facto-Verbot von Verbrennungsmotoren zum „Havanna-Effekt“ führt. Verbraucher, die noch nicht bereit sind für die E-Mobilität, könnten sich gezwungen sehen, ältere, schmutzigere Fahrzeuge länger zu fahren – ähnlich wie kubanische Autobesitzer, die lange Zeit keinen Zugang zu neuen Fahrzeugen hatten. Heute sind Autos in der EU im Durchschnitt über 12 Jahre alt, und die Zahl wird mit den aktuellen Vorschriften weiter steigen. Dies wird sich negativ auswirken auf das Klima, die Beschäftigung, den Wohlstand und das gesamte Ökosystem der Automobilindustrie. Und die Probleme für eine bereits kämpfende Industrie werden verschärft: Mehr als 40 Prozent der europäischen Zulieferer von Automobilkomponenten und -technologie könnten im Jahr 2025 unrentabel sein. Deshalb wollen wir mit den politischen Entscheidungsträgern zusammenarbeiten, um Lösungen zu finden.

Kurskorrektur in drei Dimensionen

Der Transformationsplan der EU-Kommission für die Automobilindustrie muss über Idealismus hinausgehen und die aktuellen industriellen und geopolitischen Realitäten anerkennen. Wir brauchen eine Kurskorrektur in drei Dimensionen: Dekarbonisierung, Widerstandsfähigkeit der Lieferketten und Wettbewerbsfähigkeit. Keine dieser Dimensionen ist optional.

Die derzeitigen auf Strafen basierenden Vorschriften für CO₂-Emissionen von Autos und Vans ersticken das Wirtschaftswachstum. Sie müssen noch vor Jahresende überarbeitet werden, um das widerzuspiegeln, was Industrie und Märkte dringend benötigen: Flexibilität und einen stärker marktbasierten Ansatz. Dies könnte auch dazu beitragen, unsere globale Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen.

Die EU sollte langfristigen Marktzugang für alle Technologien sicherstellen, die zur Dekarbonisierung beitragen. Die Elektromobilität wird dabei die Führungsrolle übernehmen. Und wir sollten ihren weiteren Hochlauf mit allen Mitteln unterstützen – insbesondere mit einer besseren Ladeinfrastruktur und niedrigeren Strompreisen. Aber es muss auch Platz für Hybride, Fahrzeuge mit „Range Extender“, hocheffiziente Verbrennungsmotoren und dekarbonisierte Kraftstoffe geben. China beweist, dass ein auf mehreren Technologien basierender Ansatz den Fortschritt beschleunigen kann. Warum spielen wir nicht nach ähnlichen Regeln?

Die Dekarbonisierungsstrategie der EU berücksichtigt nicht ausreichend die Realität des bestehenden europäischen Fahrzeugbestands: Nur etwa 2 Prozent davon sind neue batterieelektrische Fahrzeuge (BEVs), während über 250 Millionen Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor weiterhin auf der Straße unterwegs sind. Weitere Anreize für eine schnellere Flottenerneuerung wären hilfreich. Gleiches gilt für den gezielten Einsatz von dekarbonisierten Kraftstoffen. Und wir sollten auch weitere Akteure im Bereich Mobilität und Transport, wie die Mineralölindustrie, unbedingt miteinbeziehen. Diese Punkte müssen im anstehenden Strategiedialog zwischen der Europäischen Kommission und unserer Branche diskutiert werden. Wir als Automobilindustrie sind bereit, uns in den Dialog konstruktiv einzubringen.

Die Stärkung der Widerstandsfähigkeit sollte ebenfalls Inhalt dieser Gespräche sein. Asiatische Akteure dominieren die Batterietechnologie und -produktion. Es wird viele Jahre dauern, Europas Unabhängigkeit durch den Aufbau einer wettbewerbsfähigen heimischen Batterie-Wertschöpfungskette zu erhöhen. In der Zwischenzeit müssen wir uns darauf konzentrieren, Lieferketten zu stärken und zu diversifizieren. Außerdem müssen wir den Zugang zu kritischen Rohstoffen und Raffineriekapazitäten durch globale Partnerschaften sichern.

Neue Ära des Protektionismus

Eine neue Ära des Protektionismus hat unserer Branche einen zusätzlichen Schlag versetzt. Unabhängig vom Ergebnis der Zollverhandlungen zwischen den USA und der EU wird die europäische Automobilindustrie zumindest kurzfristig schlechter dastehen. Dies verringert unsere finanziellen Möglichkeiten, in die Transformation zu investieren. Wir werden weiter ausgebremst, während unsere globalen Konkurrenten beschleunigen.

Umso wichtiger ist, dass Europa seine eigene Wettbewerbsfähigkeit erheblich verbessert und endlich den europäischen Binnenmarkt einschließlich der Kapitalmarktunion vollendet. Die Empfehlungen des Draghi-Berichts zur Wettbewerbsfähigkeit der EU müssen zu Maßnahmen werden.

Regulatorische Vereinfachungen sind genauso wichtig. In den nächsten Jahren sieht sich unsere Branche mit über 100 neuen Durchführungsrechtsakten konfrontiert – Maßnahmen der Europäischen Kommission zur Sicherstellung einer einheitlichen Anwendung der EU-Gesetze. Es ist an der Zeit, ein sogenanntes „Automobil-Omnibus-Paket“ zu entwickeln, um das Dickicht der Vorschriften zu vereinfachen. Dieses Paket sollte ein realistischeres Tempo für die Einhaltung der Vorschriften festlegen und die Berichtspflichten reduzieren.

Die nächsten 12 Monate sind entscheidend: Entweder passt sich Europa den Realitäten an – oder es riskiert, seine industrielle Führungsposition aufgrund von Überregulierung und Stagnation zu opfern. Das Ziel – eine dekarbonisierte und global wettbewerbsfähige europäische Automobilindustrie – ist in greifbarer Nähe. Wir sind überzeugt, dass durch diese breite Palette von Maßnahmen innerhalb der EU ein erfolgreicherer Weg zur Nachhaltigkeit möglich ist. Brüssel, lasst uns das Problem lösen.

© The Economist Group Limited, London (July 2025)

Ola Källenius

Ola Källenius @ LinkedIn.

Auf LinkedIn schreibt Ola Källenius über aktuelle Themen aus den Bereichen Konzern, Automobilbranche und Mobilität.