Daimler CEO Ola Källenius.

Aus der einen Herausforderung für die andere lernen

COVID-19 und CO₂.

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20. April 2020 – Dieser Artikel erscheint, während Menschen in aller Welt gegen COVID-19 kämpfen. Für eine Bilanz ist es zu früh. Dennoch können wir aus dem Umgang mit der Pandemie schon heute einige Lehren für eine andere globale Herausforderung ziehen, die uns noch viel länger beschäftigen wird: den Klimawandel.

Individuelle Mobilität ist und bleibt ein hohes Gut

Seit einigen Wochen erleben wir, wie unser soziales, kulturelles und wirtschaftliches Leben eingeschränkt ist. Diese Maßnahmen sind vorübergehend unerlässlich – und dauerhaft aufschlussreich. Eine Erkenntnis aus der Zeit, in der die Welt stillsteht, lautet: Individuelle Mobilität ist und bleibt ein hohes Gut. Das Auto ist mehr als ein geschützter Raum. Es gibt uns die Unabhängigkeit, uns jederzeit selbstbestimmt von A nach B zu bewegen. Und was gerade jetzt noch viel wichtiger ist: die Sicherheit, dass Helfer zu Bedürftigen und Waren in Supermärkte kommen.

Bei Mercedes-Benz ist individuelle Mobilität der Sinn unserer Arbeit und das Vermächtnis unserer Gründerväter. Unser Auftrag für die Zukunft lautet, dieses Gut zu bewahren – und dafür werden wir uns verändern. Ein Spurwechsel ist nötig. Das wissen wir und daran arbeiten wir mit aller Kraft. Dieser Spurwechsel ist vor allem verbunden mit zwei Themen: Dekarbonisierung und Digitalisierung. Der Erfolg bei der Digitalisierung entscheidet über die Zukunft vieler Unternehmen, der Erfolg bei der Dekarbonisierung entscheidet über die Zukunft unseres Planeten.

Bei Mercedes-Benz wollen wir bis 2039 weltweit eine CO₂-neutrale Pkw-Neuwagenflotte anbieten. Außerdem streben wir für unsere wichtigsten Märkte an, dass bis dahin alle neuen Daimler-Nutzfahrzeuge im Gebrauch CO₂-neutral sind. Schon heute haben wir vollelektrische Lkw, Vans und Busse auf der Straße. Zu unserem Pkw-Portfolio werden Ende dieses Jahres fünf vollelektrische und mehr als 20 Plug-in-Hybridmodelle gehören. Und auch die Brennstoffzellentechnologie verfolgen wir weiter. Die Elektrifizierung unseres Fahrzeug-Portfolios gehört zu den zentralen Themen, die wir auch jetzt vorantreiben, während ein Großteil unserer Standorte und Anlagen Corona-bedingt pausiert. Gleichzeitig geht die Dekarbonisierung weit über unsere Produkte hinaus. Sie betrifft auch Lieferketten und Produktion. Die „Factory 56“, die wir noch in diesem Jahr in Sindelfingen eröffnen, wird von Beginn an CO₂-neutral mit Energie versorgt. Sie dient künftig als Blaupause für alle Werke, in denen Mercedes-Benz Fahrzeuge gebaut werden.

Es braucht Entschlossenheit und Augenmaß

All das bedeutet, dass sich unser Unternehmen grundlegend verändert. Dafür braucht es Entschlossenheit und Augenmaß. Das ist meine zweite Lehre aus der Corona-Pandemie. Ein hochrangiger Regierungsbeamter hat es kürzlich auf den Punkt gebracht: „COVID-19 entwickelt sich exponentiell, deshalb dürfen wir nicht linear denken.“ Dasselbe gilt fürs Klima. Den „Point of no Return“ dürfen wir nicht verpassen, auch wenn viele die heftigsten Symptome des Klimawandels heute noch nicht spüren. Gleichzeitig zeigt die aktuelle Krise: Wir brauchen nicht nur wirksame Maßnahmen. Wir brauchen auch die Menschen, die sie tragen. Beides ist entscheidend. Dementsprechend wichtig sind multilaterale Vereinbarungen wie das Pariser Klimaabkommen. Unser Auftrag dabei ist CO₂-neutrale Mobilität durch Innovationen. Und wir sind entschlossen, diesen Weg zu gehen. Diese Botschaft ist mir wichtig: Wir stehen zu den beschlossenen CO₂-Zielen. Der Kampf gegen die Pandemie darf jetzt keine Ausrede beim Kampf gegen den Klimawandel sein.

Ja, finanzielle Ressourcen sind derzeit knapper denn je. Und ja, für die Dekarbonisierung müssen wir erstmal viel Geld in die Hand nehmen. Aber wir sind fest davon überzeugt, dass sich das auf lange Sicht rechnet. In diesem Sinne wollen wir künftig auch Finanzierungsinstrumente wie beispielsweise „Grüne Anleihen“ nutzen. Sie bieten uns neue Möglichkeiten, die hohen Zukunftsinvestitionen für CO₂-neutrale Technologien zu finanzieren. Und sie bieten umweltorientierten Investoren gleichzeitig die Möglichkeit, sich an unseren Nachhaltigkeitsprojekten direkt zu beteiligen. Eine Win-Win-Situation. Damit unterstützen wir auch den Green Deal der EU. Im Gegenzug kann die Politik diesen Spurwechsel durch den schnellstmöglichen Ausbau der Ladeinfrastruktur unterstützen. Eine positive Lenkwirkung haben auch die bereits vereinbarte CO₂-Bepreisung sowie der Umweltbonus für Elektrofahrzeuge und Plugin-Hybride.

Wir haben Grund zur Zuversicht

Zu guter Letzt gibt es noch einen dritten Schluss, der sich aus dem weltweiten Umgang mit der COVID-19-Pandemie ableiten lässt: Trotz aller Herausforderungen haben wir Grund zur Zuversicht. Wir haben gesehen, was wir schaffen können, wenn wir gemeinsam handeln. Die Notfallmaßnahmen, die innerhalb kürzester Zeit auf die Beine gestellt wurden, sind beeindruckend. Von milliardenschweren Hilfspaketen, über umfunktionierte Produktionslinien zur Herstellung von Beatmungsgeräten oder Desinfektionsmitteln bis hin zu unzähligen solidarischen Aktionen aus der Mitte der Gesellschaft. Staat, Unternehmen und Zivilgesellschaft ziehen in diesen Wochen an einem Strang und leisten Großartiges. Auch den Kampf gegen den Klimawandel können wir nur so gewinnen. Er erfordert Bündnisse jenseits der vermeintlichen „Lager“. Ich wünsche mir, dass die Corona-Erfahrung dazu einen Beitrag leistet. Dann bin ich optimistisch, dass wir auch die Entwicklung der globalen Temperaturkurve positiv beeinflussen können.

Dieser Text erschien als Namensbeitrag von Ola Källenius am 19. April in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.