Technologie-Träger VISION EQXX

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Meilensammler.

Kein Showcar, ein Technologieträger: Der VISION EQXX schaffte gleich auf seiner ersten Fahrt unter realen Bedingungen mehr als 1.000 Kilometer mit einer einzigen Batterieladung. Entwickelt wurde der VISION EQXX im „Center for Future Technologies“ der Mercedes-Benz Group.

15 Min. Lesedauer

von Holger Mohn, Autor
erschienen am 20. Oktober 2022

Mit einer Batterieladung kommt der Vision EQXX auf eine Reichweite von mehr als 1.000 Kilometer.
Mit einer Batterieladung kommt der Vision EQXX auf eine Reichweite von mehr als 1.000 Kilometer.

Eine einzige Batterieladung, 11 Stunden, 32 Minuten reine Fahrzeit, zwei Stopps von je 15 Minuten für Fahrerwechsel, insgesamt 1.008 gefahrene Kilometer und eine Restreichweite von rund 140 Kilometern: Mit der Premierenfahrt von Sindelfingen über die Schweizer Alpen und Norditalien nach Cassis an der Côte d’Azur stellte der Mercedes-Benz VISION EQXX einen beeindruckenden Reichweiten-Rekord auf. Mehr als 1.000 Kilometer mit einer Batterieladung. Kein Wunder, wenn Tim Wölfel, Leiter Electric Drive Special Projects und Spezialist für den E-Antrieb des VISION EQXX, in seinem Fazit meint: „Reichweite ist ab jetzt kein Thema mehr.“

Dass das zumindest für den Prototypen gilt, untermauerte der VISION EQXX zwei Monate später mit seiner zweiten Fahrt: 1.202 Kilometer mit einer Batterieladung von Deutschland nach England. Genauer vom Mercedes-Benz Museum in Stuttgart bis nach Calais, dann mit dem Zug durch den Eurotunnel und auf der Straße weiter bis schließlich nach Silverstone. Der VISION EQXX legte dabei einen Zwischenstopp bei Mercedes-Benz Grand Prix in Brackley ein. Dort wurde er von den Formel-1- und Formel-E-Experten empfangen, die im Zusammenspiel mit den Kolleginnen und Kollegen in Sindelfingen an der Entwicklung des fortschrittlichen Antriebsstrangs beteiligt waren. Während des gesamten Roadtrips verbrauchte der VISION EQXX trotz dichten Verkehrs und sommerlicher Temperaturen im Durchschnitt nur 8,3 kWh/100 km. Der nächste Meilenstein.

Das Mission Control Center für den Vision EQXX in Sindelfingen.
Das Mission Control Center für den Vision EQXX in Sindelfingen.
Immer im Blick: Der Batteriestatus des Fahrzeugs.
Immer im Blick: Der Batteriestatus des Fahrzeugs.
Kurz vor dem Start der ersten Effizienzfahrt des Vision EQXX.
Kurz vor dem Start der ersten Effizienzfahrt des Vision EQXX.
Los geht’s: Der Vision EQXX verlässt das Werk in Sindelfingen Richtung Südfrankreich.
Los geht’s: Der Vision EQXX verlässt das Werk in Sindelfingen Richtung Südfrankreich.
Vor der Rekordfahrt wurde die Ladeklappe versiegelt.
Vor der Rekordfahrt wurde die Ladeklappe versiegelt.
Auch das gehörte dazu: Stop-and-Go in der Schweiz.
Auch das gehörte dazu: Stop-and-Go in der Schweiz.
Erfolgreicher Roadtrip - von Sindelfingen über die Schweizer Alpen nach Cassis an der Côte d’Azur.
Erfolgreicher Roadtrip - von Sindelfingen über die Schweizer Alpen nach Cassis an der Côte d’Azur.
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Kurzer Rückblick: Weltpremiere des VISION EQXX

Es war der 3. Januar 2022, als der softwarebasierte Forschungsprototyp VISION EQXX seine digitale Weltpremiere feierte. Vorgestellt hatten ihn Vorstandsvorsitzender Ola Källenius, Chief Technology Officer Markus Schäfer und Chefdesigner Gorden Wagener als „das effizienteste Elektrofahrzeug, das die Marke mit dem Stern jemals gebaut hat“. Ein Moment, der sie nach nur 18 Monaten Entwicklungszeit „sehr stolz“ machte, erinnert sich Jasmin Eichler, Leiterin der Mercedes-Benz Forschung und Projektleiterin. Der zur Premiere formulierte Anspruch bedeutete aber auch für das Team: „Jetzt müssen wir auch tatsächlich liefern!“ Der VISION EQXX sei schließlich kein Showcar, sondern solle als Technologieträger real auf die Straße bringen, was technologisch für die Entwickler, Ingenieure, Aerodynamiker, Antriebsexperten und Designer bei Mercedes-Benz machbar sei.

Was binnen weniger Wochen für diese Gruppe möglich ist, zeigte sich in den drei Monaten zwischen Weltpremiere und Jungfernfahrt. „Der VISION EQXX ist noch einmal auf Herz und Nieren optimiert worden“, erzählt Jasmin Eichler. Allein weitere 40 Kilogramm Gewicht seien von den Ingenieurinnen und Ingenieuren eingespart worden, vier Punkte wurden „in der Aerodynamik noch einmal rausgeholt“. Am Ende hat der VISION EQXX 8,7 Kilowattstunden pro 100 Kilometer verbraucht, „was definitiv unter unserem Zielwert lag“, wie Jasmin Eichler berichtet. Auf der zweiten Fahrt war der Verbrauch mit 8,3 kWh/100km sogar noch geringer.

Die Premiere: weltbeste Aerodynamik am Start

Am Morgen des 12. April, einem Dienstag, ging es pünktlich um 7 Uhr los. Da startete der Prototyp bei relativ schlechtem Wetter, 3 Grad Celsius, in Sindelfingen vor dem neuen Gebäude des Electric Software Hub von Mercedes-Benz. Ein Prüfer des TÜV Süd, der vor dem Start die Ladeklappe offiziell versiegelt hatte, überwachte die gesamte Tour als Beifahrer in einem der beiden EQS-Begleitfahrzeuge. Mit bis zu 140 km/h ging es über die Autobahn 81 bis zur nordöstlichen Grenze der Schweiz. Mit seinem niedrigen cw-Wert von 0,17 bot der Prototyp dabei dem Wind kaum Angriffsfläche. Die weltbeste Aerodynamik unter Fahrzeugen mit Straßenzulassung resultiert aus dem Zusammenspiel vieler Einzelmaßnahmen. Angefangen bei der Grundform der Karosserie, die die glattflächige Kuppel des Fahrgastraums integriert und elegant wie ein Wassertropfen nach hinten fließt.

„Dass wir diesen Rekord schaffen konnten, verdanken wir dem Zusammenspiel aller Gewerke.“

Laura Vranos Expertin für Effizienz des VISION EQXX

Laura Vranos und Georg Schulze, Effizienzexperten des Vision EQXX.
Laura Vranos und Georg Schulze, Effizienzexperten des Vision EQXX.

Ebenso vorteilhaft in Sachen geringer Luftwiderstand sind die geringe Stirnfläche von 2,12 m² und die verringerte hintere Spurbreite. Sie ist 50 mm schmaler als vorn, wodurch die Hinterräder im Windschatten der Vorderräder rollen. Der aktive Heckdiffusor, der bei 60 km/h automatisch ausfährt, sorgt für eine bessere Luftführung und trägt somit maßgeblich zum verminderten Luftwiderstand bei. „Dass wir diesen Rekord schaffen konnten, verdanken wir dem Zusammenspiel aller Gewerke. Da bei diesen Geschwindigkeiten die Aerodynamik aber mehr als 60 Prozent der Widerstände ausmacht, die auf so ein Auto einwirken, war sie der ausschlaggebende Faktor“, sagt Laura Vranos, die als Expertin für Effizienz des VISION EQXX die Fahrt im Mission Control Center überwachte. „Jede Kante, jeder Luftspalt am VISION EQXX wurde wirklich so optimiert, dass der Wagen so wenig Widerstandsfläche wie irgend möglich bot und und die Luft ideal gleiten konnte.“

„Unser Hauptziel war: die Reichweite unter realen Bedingungen schaffen.“

Tim Wölfel Leiter Electric Drive Special Projects und Spezialist für den E-Antrieb des VISION EQXX

Tim Wölfel, Leiter Electric Drive Special Projects und Spezialist für den E-Antrieb des VISION EQXX.
Tim Wölfel, Leiter Electric Drive Special Projects und Spezialist für den E-Antrieb des VISION EQXX.

Weiter ging es vorbei an Zürich bei durchaus zähflüssigem Verkehr Richtung Vierwaldstätter See und von dort hinauf zum Gotthard und durch den Tunnel nach Italien, an Como vorbei und am klassisch staureichen Mailand Richtung Genua und anschließend nach Nizza. Am Ziel, dem kleinen Städchen Cassis an der Côte d’Azur, schien bei der Ankunft am Abend immer noch die Sonne. „Unser Hauptziel war: die Reichweite unter realen Bedingungen schaffen“, sagt Tim Wölfel, Spezialist für den E-Antrieb des Wagens. „Wir wollten nicht auf irgendeinem Testgelände mit 30 km/h im Kreis fahren.“ Wenn man in Google Maps die Strecke Sindelfingen – Cassis eingebe, dann bekomme man definitiv Alternativen aufgezeigt, die schneller zu absolvieren sind. „Aber wir wollten die Extra-Challenge, mit dem VISION EQXX durch die Alpen zu fahren.“ Der 12. April war übrigens tatsächlich der Tag, an dem der VISION EQXX das erste Mal auf einer öffentlichen Straße unterwegs war. „Es war nicht so, dass wir die Fahrt vorher getestet haben“, betont Wölfel.

Mit 1.202 Kilometern beim Sommer-Roadtrip von Untertürkheim nach Silverstone übertrifft der VISION EQXX seinen eigenen Bestwert.
Mit 1.202 Kilometern beim Sommer-Roadtrip von Untertürkheim nach Silverstone übertrifft der VISION EQXX seinen eigenen Bestwert.
Startpunkt für den Roadtrip auf die britische Insel war das Mercedes-Benz Werk in Untertürkheim.
Startpunkt für den Roadtrip auf die britische Insel war das Mercedes-Benz Werk in Untertürkheim.
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Digitaler Zwilling fährt voraus

Das heißt natürlich nicht, dass der reale VISION EQXX mit seinen beiden Piloten einfach ins Blaue fuhr. Etwas früher noch war in Sindelfingen im „Mission Control Center“ der „digitale Zwilling“ gestartet. Der digitale Zwilling ist ein „Software in the loop“-Simulationstool, das in Echtzeit mit Daten zu Wetter und Verkehr auf der Strecke gefüttert wird und dem realen Wagen immer eine Stunde „vorausfuhr“. So wusste die Crew im Mission Control Center ständig, was den VISION EQXX auf der Strecke erwartet. Neben dem digitalen gab es zudem noch einen „realen Zwilling“, in Anlehnung an die E-Mobilitätsplattform MMA von Mercedes liebevoll eMMA genannt. Als Aggregateträger diente ein schwarzer EQB 250 , der fest auf einem Prüfstand in Sindelfingen stehend, zeitgleich mit dem VISION EQXX die Strecke „abfuhr“. „Wir konnten so – wie in der Formel 1 – parallel den Antriebsstrang und die Daten aller Systeme verfolgen und zugleich viele Entwickler mit auf die Reise nehmen“, erzählt Tim Wölfel. Etwa 25 Expertinnen und Experten unterschiedlicher Disziplinen, die an der Entwicklung beteiligt waren, saßen am Premierentag im Mission Control Center und werteten die Live-Daten aus, um – falls nötig – einzugreifen.

„Einen heiklen Moment gab es tatsächlich, das war bei der Anfahrt zum Gotthardtunnel, als sich der DCDC-Wandler des VISION EQXX kurzzeitig verabschiedete“, erzählt Projektleiterin Jasmin Eichler. Zur Erklärung: Der DCDC-Wandler verbindet die Hochvolt-Batterie mit dem 12-Volt-Bordnetz und speist dieses. Wenn der Wandler ausfällt, leert sich die 12-Volt-Batterie. Der Wagen muss anhalten. „Wir haben früh gemerkt, dass etwas nicht stimmt, die Daten analysiert und uns in einer kleinen Gruppe zusammengesetzt, auch mit Kollegen von der Formel 1 und Formel E, die unglaublich schnell in der Problemlösung sind. Wir hatten in den Tests davor auch immer mal wieder überlegt, was wir in einem solchen Fall tun könnten.“ Beim DCDC-Wandler haben die Experten sich für einen Neustart entschieden. Fahrer und Beifahrer im VISION EQXX wurden über den Plan informiert. „Da kam, muss ich sagen, schon ein wenig Spannung auf“, erzählt Tim Wölfel. „Zum Glück kam im richtigen Moment eine rote Ampel“, ergänzt Jasmin Eichler. Das System konnte neu gestartet werden und die Fahrt ohne Probleme weitergehen.

Vorstandsmitglied Markus Schäfer, Chief Technology Officer, Entwicklung & Einkauf, heißt Team und Vision EQXX am Ziel in Cassis willkommen.
Vorstandsmitglied Markus Schäfer, Chief Technology Officer, Entwicklung & Einkauf, heißt Team und Vision EQXX am Ziel in Cassis willkommen.

Effizienz ist ein Puzzle vieler Maßnahmen

Die enorme Effizienz, die den Technologieträger bereits auf seiner Reise ans französische Mittelmeer auszeichnete, liegt in vielen kleinen, innovativen Details: etwa seine mit 4,7 Promille extrem rollwiderstandsarmen Reifen, die Mercedes-Benz gemeinsam mit Partner Bridgestone für den VISION EQXX entwickelt hat. Zum Vergleich: Das aktuelle EU-Reifenlabel fordert für die Bestwertung in der Klasse A einen Rollwiderstand von 6,5 Promille. Eine auffällige Besonderheit ist auch die neue Reifendimension 185/65 R 20 97 T, die für einen großen Durchmesser bei schmaler Lauffläche steht. Darüber hinaus wurde in Zusammenarbeit mit dem Aerodynamik-Team von Mercedes-Benz der Strömungsübergang vom Reifen zur Felge optimiert.

Der VISION EQXX kommt mit seiner strömungsförmigen Grundform auf einen herausragenden cw-Wert von 0,17.
Der VISION EQXX kommt mit seiner strömungsförmigen Grundform auf einen herausragenden cw-Wert von 0,17.

Doch obwohl alle Gewerke in den Wochen vor der Premierenfahrt „die Extrameile gegangen sind“, wie Effzienzexpertin Laura Vranos betont, wurde es dennoch extrem spannend – auch wegen des Anfangs schlechten Wetters vor dem Gotthard. „Es gab bei der Premierenfahrt einen Point of no return. Bis dahin mussten wir entscheiden, brechen wir ab und versuchen es morgen noch einmal. Oder machen wir weiter. Wir hatten immer die Effizienz im Auge, das aktuelle Wetter darüber gelegt und die Prognosen damit verglichen. Zwischenzeitlich gab es auch kleinere Probleme mit dem Dashboard, der aktuelle Verbrauch wurde nicht konstant angezeigt, er musste von einem Kollegen errechnet werden. Fünf Kilometer vor dem Point of no return war dann Totenstille im Mission Control, man konnte die Luft förmlich schneiden: Als wir verkünden konnten: ‚Wenn jetzt nichts außergewöhnliches passiert, dann schaffen wir das!‘ konnte man wirklich sehen, wie bei allen die Anspannung abfiel. Dieser Moment war mein persönliches Highlight.“, sagt Laura Vranos.

Solardach: Energieschub durch Sonne

Nach dem Gotthard wurde alles einfacher, denn einen Energieschub holt sich der VISION EQXX – das war so bei der Premiere in der Po-Ebene nahe Mailand und erst recht beim Sommertrip nach Silverstone – nicht an der Ladesäule, sondern über sein fest eingebautes Solardach. Die 117 Solarzellen speisen die 12 Volt-Batterie, die wiederum Nebenverbraucher wie das Navigationssystem mit Strom versorgt. Der Mehrwert ist messbar: Die Hochvoltbatterie wird entsprechend entlastet, was sich auf dem Display des Bordcomputers ablesen lässt. Insgesamt vergrößert der Solar-Booster die Reichweite um mehr als zwei Prozent – was bei über 1000 Kilometer Fahrstrecke gute 25 Kilometer ausmacht.

Der VISION EQXX zeigt, wie sich Mercedes-Benz die Zukunft des Elektroautos vorstellt.
Der VISION EQXX zeigt, wie sich Mercedes-Benz die Zukunft des Elektroautos vorstellt.
Der Strom aus dem Solardach speist die 12 Volt-Batterie, die wiederum Nebenverbraucher versorgt.
Der Strom aus dem Solardach speist die 12 Volt-Batterie, die wiederum Nebenverbraucher versorgt.
Strömungsgünstig optimierte Felgen und spezielle Reifen tragen ebenfalls zur hohen Effizienz des Fahrzeugs bei.
Strömungsgünstig optimierte Felgen und spezielle Reifen tragen ebenfalls zur hohen Effizienz des Fahrzeugs bei.
Die klar definierte, aerodynamisch perfekt wirksamen Abrisskante wird durch eine schwarz glänzende Abschlussleiste akzentuiert und von den Rückleuchten unterstrichen.
Die klar definierte, aerodynamisch perfekt wirksamen Abrisskante wird durch eine schwarz glänzende Abschlussleiste akzentuiert und von den Rückleuchten unterstrichen.
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Über alle Berge: Vorteil für Leichtgewichte

Zu den besonderen Merkmalen des VISION EQXX zählt auch der konsequente Leichtbau, der sich vor allem an Steigungen positiv auswirkt. Das demonstrierte der VISION EQXX bei der Anfahrt zum Gotthard-Tunnel eindrucksvoll. Auf dem Streckenabschnitt zwischen Amsteg und Göschenen geht es 14 Kilometer am Stück bergauf, mit bis zu fünf Prozent Steigung. Hier, wo jedes Gramm an Mehrgewicht Energie „frisst“, punktete der VISION EQXX mit seinem Leergewicht von 1.755 Kilogramm. Das Leichtbaukonzept des VISION EQXX ist dabei umfassend – von den verwendeten Materialien bis hin zu innovativen bionischen Strukturen, die ein günstiges Verhältnis von Festigkeit zu Gewicht ergeben. Beispielhaft dafür stehen der nachhaltige Kohlenstofffaser-Zucker-Verbundwerkstoff, aus dem der obere Teil der Batterie besteht und der auch in der Formel 1 eingesetzt wird, sowie der im Aluminium-Gussverfahren hergestellte BIONEQXX Heckboden. Das Leichtmetall-Strukturbauteil führt zu einer Gewichtseinsparung von bis zu 20 Prozent gegenüber einem konventionell gefertigten Bauteil.

Ein großer Teil der Gewichtseffizienz geht auch auf das Konto des Fahrwerks mit leichtem F1-Hilfsrahmen und Aluminium-Bremsscheiben sowie der Traktionsbatterie. Der neu entwickelte Stromspeicher des VISION EQXX hat mit 100 kWh fast die gleiche Energiemenge wie der Akku des EQS, der im weltweiten Vergleich der Serien-Elektroautos Bestwerte erzielt. Allerdings hat er 50 Prozent weniger Volumen und ist 30 Prozent leichter. „Generell war gerade die Zusammenarbeit mit den Kollegen von der Formel 1 für das Projekt enorm produktiv“, betont Tim Wölfel. Und Projektleiterin Jasmin Eichler fügt hinzu: „Es war insgesamt ein geniales Team – Mercedes als Ganzes hat wirklich abgeliefert. Dieses Gefühl, dass alle an einem Strang gezogen haben, bleibt für mich hängen.“

Zurück ins Tal mit Bremsscheiben aus Alu

Hinter dem Gotthard-Tunnel ging es für den VISION EQXX dann kilometerweit bergab. Hier nutzt der Prototyp die Topografie auf seine Weise: Er regeneriert seine Energiereserven. Bei Elektroautos spricht man von Rekuperation, der Rückgewinnung von Bremsenergie. Auch in dieser Disziplin setzt der VISION EQXX dank seines hocheffizienten elektrischen Antriebsstrangs neue Maßstäbe. Den Rekuperationseffekt kann der VISION EQXX bei jeder Art von Gefälle und bei jedem Bremsvorgang nutzen. Positiver Nebeneffekt: Dank elektrischer Bremse werden die mechanischen Bremsen kaum beansprucht. Das wiederum ermöglicht es erstmals, neuartige Alu-Bremsscheiben einzusetzen, die deutlich weniger wiegen als ihre Pendants aus Stahl.

Mit einer Batterieladung kommt der Vision EQXX auf eine Reichweite von mehr als 1.000 Kilometer.
Mit einer Batterieladung kommt der Vision EQXX auf eine Reichweite von mehr als 1.000 Kilometer.

Innovativer eATS: kraftvoll, genügsam, ausdauernd

Der gemeinsam mit den F1-Rennsportspezialisten von Mercedes-AMG High Performance Powertrains (HPP) und Mercedes-Benz-Grand Prix (MGP) entwickelte elektrische Antriebsstrang (eATS) des VISION EQXX – bestehend aus Elektromotor, Getriebe und Leistungselektronik – hat eine Spitzenleistung von 180 kW. Dank des ab der ersten Motorumdrehung verfügbaren Drehmoments und der sehr geringen Fahrwiderstände des VISION EQXX, muss das volle Potenzial während der gesamten Tour nach Cassis so gut wie nie abgerufen werden. Viel wichtiger als Höchstleistung sind andere Faktoren: Der eATS ist wie die Batterie kompakt, leicht und hocheffizient. Der mittlere Wirkungsgrad für diese Anwendung liegt bei 95 Prozent. Das heißt, dass 95 Prozent der Energie aus der Batterie an den Rädern ankommen.

„Einer der besten Wege, die Effizienz zu steigern, ist die Verringerung von Verlusten.“

Eva Greiner Chefingenieurin elektrische Antriebssysteme

Eva Greiner, Chefingenieurin elektrische Antriebssysteme bei Mercedes-Benz.
Eva Greiner, Chefingenieurin elektrische Antriebssysteme bei Mercedes-Benz.

„Einer der besten Wege, die Effizienz zu steigern, ist die Verringerung von Verlusten“, weiß Eva Greiner, Chefingenieurin elektrische Antriebssysteme. „Wir haben an jedem Teil des Systems gearbeitet, um Energieverbrauch und Verluste durch Systemdesign, Materialauswahl, Schmierung und Wärmemanagement zu reduzieren. Und unsere Simulationstools haben uns geholfen, schnell herauszufinden, was funktioniert und was nicht.“

So ist es den Ingenieurinnen und Ingenieuren von Mercedes-Benz gelungen, die Gesamtverluste im Triebstrang (Motor, Inverter und Getriebe) um 44 Prozent zu reduzieren. Auch das summiert sich unter dem Strich: Ein Prozent mehr Effizienz bringt zwei Prozent mehr Reichweite. Diesen Effekt unterstützt auch die Batterie des VISION EQXX dank ihrer bemerkenswerten Energiedichte von knapp 400 Wh/l und der besonders hohen Betriebsspannung von mehr als 900 Volt. Stichwort Hochspannung: Die erstmals eingesetzte Technologie bewährte sich während der gesamten Reise. Es gab keine Probleme wie etwa Leitungsüberhitzung - alles blieb im grünen Bereich. Weitere Effizienzgewinne resultierten aus dem aktiven Cell Balancing. Dieses gewährleistete, dass die Energie während der Fahrt gleichmäßig aus den Zellen entnommen wurde. Da der elektrische Antriebsstrang nur wenig Abwärme entwickelt, reichte während der gesamten ersten Rekordfahrt eine passive Kühlung. Die Kühlplatte im Unterboden nutzte die vorbeiströmende Luft und sorgte für eine gleichmäßige Kühlung.

Der VISION EQXX ist der Startschuss für einen neuen, betont puristischen Designstil, der den Effizienzgedanken auch bei der Innenraumgestaltung widerspiegelt.
Der VISION EQXX ist der Startschuss für einen neuen, betont puristischen Designstil, der den Effizienzgedanken auch bei der Innenraumgestaltung widerspiegelt.
Sichtbare Leichtbaustrukturen unterstreichen diese Ästhetik und ersetzen klassische Zierteile.
Sichtbare Leichtbaustrukturen unterstreichen diese Ästhetik und ersetzen klassische Zierteile.
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Effizienz-Assistent: aktive Unterstützung beim Stromsparen

Mit dem Effizienz-Assistenten stand Fahrer wie Co-Pilot ein nützlicher Helfer mit Tipps zur bestmöglichen Fahrweise stets zur Seite. Er informiert über Energiefluss, Batteriestatus, Topografie und sogar über die Richtung und Intensität von Wind und Sonne. Zane Amiralis, User Experience Designer, betonte: „Die Software, die wir in nur 18 Monaten entwickelt haben, hat tatsächlich dafür gesorgt, dass der Fahrer im VISION EQXX auf der Strecke sein eigenes kleines Mission Control Center bei sich hatte. So konnte er auf dem Screen vor sich immer alle wesentlichen Daten überschauen und wusste: Der VISION EQXX schafft das!“

Das UI/UX besitzt dabei ein völlig neues, einteiliges Display, das sich über die gesamte Innenraumbreite erstreckt. Elemente der Benutzeroberfläche unterstützen die nahtlose Interaktion zwischen Fahrer und Fahrzeug. Unter anderem durch Künstliche Intelligenz (KI), die die Funktionsweise des menschlichen Gehirns nachahmt. Im VISION EQXX verfolgt Mercedes-Benz einen radikal neuen UI/UX-Ansatz. Eine „Game Engine“ hebt die UI-Grafik auf ein völlig neues Niveau. Die Benutzeroberfläche zeigt, wie Echtzeitgrafiken neue digitale Möglichkeiten eröffnen, indem sie sofort auf die Bedürfnisse des Fahrers reagieren und die reale Welt ins Fahrzeug bringen.

„Der Fahrer konnte auf dem Screen vor sich immer alle wesentlichen Daten überschauen und wusste: Der VISION EQXX schafft das!“

Zane Amiralis User Experience Designer

Zane Amiralis, User Experience Designer.
Zane Amiralis, User Experience Designer.

Erkenntnisse für künftige Serienfahrzeuge

„Das Ziel für den VISION EQXX war nicht, ein weiteres Showcar zu bauen“, betont Projektleiterin Jasmin Eichler. „Die Aufgabe war: entwickelt ein Technologieprogramm, mit dem die gesamte Transformation von Mercedes-Benz unterstützt wird“. Zu so einem Projekt gehöre Mut und Kreativität – am Anfang der Entwicklung sei man noch nicht bei 1000 Kilometern Reichweite gewesen. Jasmin Eichler ist sich aber sicher: „Von dem, was für den VISION EQXX an kreativer Ingenieursleistung entstanden ist, wird Mercedes-Benz in allen kommenden Fahrzeugen profitieren.“

In nur 18 Monaten vom sprichwörtlichen weißen Blatt Papier auf die Straße. Der VISION EQXX ist Teil eines Technologieprogramms, das innovative Lösungen schneller als je zuvor zur Serienreife bringen kann.
In nur 18 Monaten vom sprichwörtlichen weißen Blatt Papier auf die Straße. Der VISION EQXX ist Teil eines Technologieprogramms, das innovative Lösungen schneller als je zuvor zur Serienreife bringen kann.

Holger Mohn

versteht sich als klassischer „Blattmacher“ – früher gedruckt, heute digital. Von der Tageszeitung über Mitarbeiterzeitungen und -magazine bis zur Unternehmenswebsite hat er schon die verschiedensten Medien und Formate begleitet – in der Hauptsache bei und für Mercedes-Benz und Daimler. Und das, obwohl der bekennende Hesse den Job in Stuttgart „höchstens drei, maximal vier Jahre“ machen wollte. Inzwischen sind es deutlich über 20. Er würde es heftig verneinen, aber es scheint, als hätte das Leben und Arbeiten im schwäbische Exil durchaus angenehme Seiten.

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