Mit seiner 360°-Leinwand, dem schnellen elektrischen Antrieb sowie der zwölf Meter langen Schiene für Bewegungen in Quer- oder Längsrichtung zählt der Bewegt-Fahrsimulator im Mercedes-Benz Technology Center (MTC) in Sindelfingen nach wie vor zu den leistungsfähigsten Anlagen in der Automobilindustrie.
Hochdynamische Fahrmanöver wie Spurwechsel lassen sich dort realistisch nachbilden. Auch auf dem Weg zum autonomen Fahren spielt der Fahrsimulator eine wichtige Rolle. Ein Teil der Erprobung und Absicherung des DRIVE PILOT der neuen S-Klasse fand dort statt. Auch am Simulator von Morgen wird in Sindelfingen bereits getüftelt: Im selbst entwickelten, kompakten XR(Extended-Reality)-Fahrsimulator lassen sich mit einer digitalen Datenbrille flexibel die Innenraum-Funktionalitäten künftiger Fahrzeuge in Fahrsituationen testen.
Bei der virtuellen Erprobung automatisiert fahrender Fahrzeuge lassen sich im Simulator schnell und effizient viele Szenarien durchspielen, die aufgrund ihrer geringen Häufigkeit in der Realerprobung nicht oder nicht in ausreichendem Maße vorkommen. Außerdem können die Sicherheitsentwickler dort ganz ohne Gefahr Situationen provozieren, in denen der Fahrer die Kontrolle sehr schnell übernehmen muss. Im Simulator beobachten und bewerten sie die Interaktion des Fahrers und messen zum Beispiel seine Reaktionszeit.
In der Entwicklung und Erprobung neuer Fahrzeuge kommen bei Mercedes-Benz zahlreiche Simulationen zum Einsatz. Mithilfe von Hochleistungscomputern erstellte „digitale Prototypen“ eines Fahrzeugs ermöglichen es, ein neues Modell früh ganzheitlich in vielen Fahrsituationen zu testen, bevor das Fahrzeug real existiert. Die wirklichen Prototypen erreichen so schneller einen höheren Reifegrad, sodass sie noch intensiver im Detail getestet werden können.
Mit der digitalen Datenbrille im Cockpit künftiger Fahrzeuge unterwegs
Die nächste Stufe der Simulatortechnologie wird in Sindelfingen bereits im Konzeptstadium erprobt: Die Fahrsimulator-Experten von Mercedes-Benz haben gemeinsam mit ihren Kollegen vom Virtual-Reality-Center (VRC) einen neuen XR-Fahrsimulator entwickelt und konstruiert. Dort verschwimmen reale und virtuelle Umgebung noch stärker als bisher, daher die Bezeichnung „Extended Reality“.
In diesem Simulator sind nur wenige Bedienelemente physisch vorhanden: Dazu gehören neben dem Fahrersitz das Lenkrad mit Touch-Controls, die Pedale und der Start-Schalter. Die verschiedenen Fachabteilungen liefern jeweils CAD-Datensätze, UI- und Funktionsmodelle, die von den Simulationsexperten in eine entsprechende Software umgewandelt werden. So wird das Fahrsimulationszentrum zur „digitalen Fahrzeugwerkstatt“. Der XR-Fahrsimulator ist eine ideale Ergänzung zu konventionellen Simulatoren, die auf einer Kabine eines realen Fahrzeugs aufbauen. Speziell in einem sehr frühen Entwicklungsstadium, in dem es noch keine Hardware gibt, kann das Fahrzeug im XR-Fahrsimulator bereits digital fahrend und in Echtzeit erlebt werden.
Dazu braucht die Testperson nur Platz zu nehmen und eine Datenbrille aufzusetzen. Im neuen Simulator lassen sich insbesondere verschiedene Innenraum-Funktionalitäten wie Anzeige- und Bedienkonzepte und Lichtszenarien in einem noch früheren Entwicklungsstadium durchspielen.
Erstmals sind auch Einpark-Situationen unter Laborbedingungen darstellbar. Der Realitätsgrad ist extrem hoch: So zeigen die virtuellen Außen- und Innenspiegel eine blickrichtungsabhängige Darstellung. Die Blickrichtung des Testers wird von der Datenbrille getrackt und die Spiegel-Darstellung entsprechend angepasst. Auch das Verkehrsumfeld mit anderen Fahrzeugen oder Fußgängern wird täuschend echt nachgebildet.
10 Jahre Bewegt-Fahrsimulator in Sindelfingen
Im Oktober 2010 hat Mercedes-Benz den Bewegt(Moving Base)-Fahrsimulator im Technology Center des Unternehmens in Sindelfingen in Betrieb genommen. Mit seiner 360°-Leinwand, dem schnellen elektrischen Antrieb sowie der zwölf Meter langen Schiene für Bewegungen in – je nach Versuchsanordnung – Längs- oder Querrichtung ist der Bewegt-Simulator nach wie vor einer der leistungsfähigsten in der Automobilindustrie.
Das reale Auto in der virtuellen Welt ist dabei eine beliebige Fahrzeugkabine, in der der Testfahrer im Erprobungsraum Platz nimmt. Elektronisch lässt sie sich auf das Verhalten jedes aktuellen oder künftigen Mercedes-Modells umprogrammieren. Der Erprobungsraum ist als Hexapod auf sechs beweglichen Stützen untergebracht. In ihm befindet sich neben der Fahrzeugkabine die Projektionswand, auf der der Straßenverkehr realitätsgetreu mit bewegten Fußgängern, Gegenverkehr und Häusern dargestellt wird.
Die Steuereinrichtungen des Fahrzeugs sind über Datenleitungen mit der Computersteuerung des Fahrsimulators verbunden. Lenkt der Testfahrer oder gibt er Gas, werden diese Reaktionen von der Computersteuerung registriert und haben Auswirkungen wie im realen Verkehr. Die dargestellte Szenerie ändert sich ständig, und der bewegliche Raum simuliert die Lage des Autos zum Untergrund, beispielsweise das Einnicken beim Bremsen. Über 1.000-mal pro Sekunde berechnet der Computer das Fahrverhalten des Autos und erteilt der Elektrik die entsprechenden Befehle. Sie bewegt die Anlage mit einer Geschwindigkeit von maximal zehn Metern pro Sekunde (36 km/h) um bis zu zwölf Meter in Querrichtung.
Über drei Jahrzehnte Kompetenz auf dem Gebiet der Fahrsimulation
Als Sicherheitspionier hat Mercedes-Benz auch bei Simulatoren eine Vorreiterrolle. Seit 35 Jahren setzt das Unternehmen bewegte Fahrsimulatoren ein. Am 10. Mai 1985 wurde im damaligen Daimler-Benz Forschungszentrum in Berlin-Marienfelde der erste, selbst entwickelte Fahrsimulator in Betrieb genommen.
Der erste Fahrsimulator der damaligen Daimler-Benz AG wurde komplett selbst entwickelt und im Jahr 1985 in Berlin in Betrieb genommen. Sicherheitsinnovation, bei denen der Impuls für ihre Entwicklung von diesem Fahrsimulator ausging, gibt es einige: So fanden die Ingenieure dort beispielsweise heraus, dass die meisten Probanden zwar schnell aufs Bremspedal treten, aber nicht kraftvoll genug – und damit wertvollen Anhalteweg verschenken. Diese Erkenntnis führte zur Entwicklung des Brems-Assistenten (BAS), der dies erkennt und automatisch die maximale Bremskraft zur Verfügung stellt. Seit langem gehört der Bremsassistent zur Serienausstattung aller Mercedes-Benz Modelle.
Dieser Beitrag wurde zuletzt im Juli 2024 aktualisiert