Aerodynamik im Windkanal.

Aerodynamik bei Mercedes-Benz: Historie

Vom Tropfenwagen zum Vision EQXX.

19. September 2025 – Vor über 100 Jahren geriet Aerodynamik erstmals in den Fokus der Wissenschaft – aber erst nach der zweiten Ölkrise vor rund 45 Jahren bekam sie hohe Priorität bei der Fahrzeugentwicklung. Die ersten Personenwagen stammten von der Kutsche ab. Wegen der geringen möglichen Geschwindigkeiten spielten aerodynamische Überlegungen keine Rolle. Selbst die ersten „richtigen“ Pkw der Marke Mercedes ab 1901 stemmten sich zerklüftet dem Fahrtwind entgegen. So hatte der Mercedes Simplex von 1902 eine Stirnfläche von rund 3 m², und sein cW-Wert von 1,05 führte dazu, dass der Wind fast zehn Mal so viel Widerstand fand wie bei einem modernen Personenwagen.

Kurz nach dem Ersten Weltkrieg begann die Fachwelt, sich mit der Aerodynamik der Automobile zu beschäftigen. Flugzeugkonstrukteur Eduard Rumpler (1872–1940) präsentierte 1921 seinen Tropfenwagen, der mit seinem schmalen Aufbau nicht nur die Frage der Stirnfläche (2,4 m²) adressierte, sondern mit seiner Tropfenform die Verwirbelungen an der Front und im Nachlauf minimierte. Das Ergebnis sah ungewohnt aus, setzte aber mit einem cw-Wert von 0,28 und einem Luftwiderstand von 0,67 m² ein deutliches Zeichen.

Weiterentwicklung der Stromlinienform

Auch Paul Jaray (1889–1974), der andere „Vater der Stromlinienform“, stammte aus der Luftfahrt. Ebenfalls im Jahr 1921 beantragte er ein Patent, das sich noch heute wie die Anleitung zum Bau einer modernen Karosserie liest: „Der untere Teil des Karosseriekörpers hat die Form eines halben Stromlinienkörpers und überdeckt das Chassis mit den Rädern, den Motorraum und den Fahrgastraum. Die Unterseite ist eben und verläuft parallel zur Bodenfläche.“ Erstmals standen die Räder nicht mehr frei, sondern wurden in den Karosseriekörper einbezogen, das Fließheck minimiert Wirbeln am Heck. Weil herkömmliche Antriebstechnik unter die Jaray’sche Karosserieform passte, bauten einige Autohersteller Fahrzeuge nach seinem Prinzip, so auch Mercedes Benz: 1935 entstand ein entsprechend geformter Prototyp.

Größter Nachteil der Jaray’schen Stromlinie war das lang auslaufende Heck – ein „toter“ Raum. Die Lösung fand in den 1930er-Jahren Wunibald Kamm (1893–1966), erster Professor für Kraftfahrwesen an der Technischen Hochschule Stuttgart und 1930 Gründer des privaten und gemeinnützigen Forschungsinstituts für Kraftfahrwesen und Fahrzeugmotoren Stuttgart (FKFS). Kamm schnitt das Stromlinienheck scharf ab und entwickelte mit dem K-Wagen 1938 bis 1941 den Prototyp eines aerodynamisch innovativen Personenwagens. Die Bezeichnung „Kamm-Heck“ für die scharfe Abrisskante ist heute noch ein Begriff. Der Wagen K3 basierte auf einem Mercedes-Benz 170 V und zeichnete sich bei einer Stirnfläche von 2,1 m² durch einen damals im Modellwindkanal gemessenen cw-Wert von 0,23 aus.

Steigender Wohlstand und sinkende Benzinpreise ließen in den 1950er-Jahren das Bemühen um geringe Fahrwiderstände in den Hintergrund treten. Erst die zweite Ölkrise 1980 lenkte die Aufmerksamkeit zurück auf die Minimierung des Verbrauchs und des Luftwiderstands. Die Serien-Pkw von Mercedes Benz setzen daher immer wieder Maßstäbe in Sachen Aerodynamik: Beispiele dafür sind die 1979 vorgestellte S Klasse der Baureihe 126 mit einem cw-Wert von 0,36, die 1984 eingeführten Limousinen der E Klasse Baureihe 124 mit cw 0,29 oder die 1998 präsentierte S- Limousine (W 220) mit einem cw-Wert von 0,27. Mit einem cw Wert von 0,22 und einer Stirnfläche von 2,19 m² erreichte 2013 der CLA (W 117) den niedrigsten Luftwiderstand aller Serienfahrzeuge weltweit (ebenso 2018 die A-Klasse Limousine und 2020 die S Klasse (Baureihe 223)). Zuletzt griff 2021 der EQS nach diesem Titel. Mit einem cw-Wert ab 0,20 ist die Elektrolimousine das aerodynamischste Serienautomobil der Welt.

Ihrer Zeit voraus: Rekordwagen, Stromlinienwagen sowie Konzeptfahrzeuge

Aerodynamisch perfektionierte Renn- und Rekordwagen haben ebenfalls eine lange Tradition bei Mercedes‑Benz. Der Mercedes Benz W 25 Rekordwagen der Saison 1936 verfügt erstmals über ein Fahrgestell mit Vollstromlinien-Karosserie. Im Windkanal der Friedrichshafener Zeppelinwerke analysieren und optimieren die Fachleute die Karosserie strömungstechnisch. Das Resultat: ein cW-Wert von 0,24, ein Geschwindigkeits-Weltrekord und drei internationale Klassenrekorde. Rudolf Caracciola erzielt mit dem 419 kW (570 PS) starken Rekordwagen eine Spitzengeschwindigkeit von 372,1 km/h.

Aerodynamik als Erfolgsfaktor der 1930er

Das Folgeprojekt, der Mercedes Benz W 125 Rekordwagen, stellt am 28. Januar 1938 den bis heute gültigen Geschwindigkeitsweltrekord auf öffentlichen Straßen auf: Rudolf Caracciola erreicht Tempo 432,7 km/h. Die Rekordausführung des Silberpfeils W 125 wird im Windkanal der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt in Berlin-Adlershof perfekt auf ihren besonderen Zweck vorbereitet. Die flache, vollverkleidete Karosserie mit keilförmig auslaufendem Heck erreicht einen sensationellen cw-Wert von 0,16. Dazu gehört auch ein radikal verkleinerter Lufteinlass an der Front.

Die aerodynamischen Erkenntnisse werden aber nicht nur für Rekordfahrten umgesetzt, sondern auch auf der Straße. Der 1938 gebaute Mercedes Benz 540 K Stromlinienwagen krönt die Entwicklung aerodynamisch optimierter Mercedes Benz Fahrzeuge in den 1930er-Jahren. Mit den fließenden Linien und der niedrigen Silhouette seiner Aluminium-Karosserie, den minimierten Störquellen an der Oberfläche und dem verkleideten Unterboden setzt der Stromlinienwagen die Erkenntnisse der Forschung beispielhaft um – er hat einen bemerkenswert niedrigen Luftwiderstandsbeiwert von cw 0,36.

Mercedes-Benz 540 K Stromlinienwagen (W 29).
Mercedes-Benz 540 K Stromlinienwagen (W 29).

Kontinuierliche Innovation in der Aerodynamik

Erneut in den Fokus der Weltöffentlichkeit kommt die Stromlinie der Silberpfeile 1954 mit dem völlig neu entwickelten Rennwagen W 196 R. Die aerodynamisch optimierte Stromlinienversion wird für die Saison 1954 als erste gebaut, weil das Auftaktrennen in Reims/Frankreich sehr hohe Geschwindigkeiten zulässt. Eine zweite Variante mit freistehenden Rädern folgt kurz darauf. Das Rennsport-Comeback von Mercedes Benz endet spektakulär: Juan Manuel Fangio und Karl Kling erzielen einen Doppelsieg. Mit der verbesserten Version des Stromlinienwagens gewinnt Fangio auch den Großen Preis von Italien 1955.

Ab 1969 baut Mercedes Benz eine Reihe von Experimental- und Rekordfahrzeugen mit der internen Bezeichnung C 111. Der Diesel-Rekordwagen C 111-III von 1978 wird dabei konsequent aerodynamisch optimiert. Das Fahrzeug ist schmaler als seine Vorgänger, hat mehr Radstand, eine Vollverkleidung der Räder und ein lang auslaufendes Heck. So wird der cw-Wert des C 111 auf 0,18 gesenkt. Bei Rekordfahrten in Nardò erreicht der Stromlinienwagen Geschwindigkeiten von über 300 km/h. Zu den neun Weltrekorden des C 111-III zählt auch derjenige über 1.000 Meilen (1.609 km) mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 319 km/h.

Streng genommen verkörpert das Concept IAA (2015) zwei Autos in einem: viertüriges Coupé mit faszinierendem Design einerseits und Aerodynamik-Weltrekordler mit einem cw-Wert von 0,19 andererseits. Dazu schaltet die Studie ab 80 km/h automatisch vom Design-Modus in den Aerodynamik-Modus und verändert durch zahlreiche aktive Aerodynamik-Maßnahmen ihre Gestalt: Am Heck fahren acht Segmente aus und verlängern dieses; ausfahrbare Frontflaps im vorderen Stoßfänger verbessern die Umströmung des Bugs und der vorderen Radhäuser; die aktiven Felgen verändern ihre Schüsselung; und die Lamelle im vorderen Stoßfänger fährt nach hinten und optimiert so die Strömung am Unterboden.

Mit einem cw-Wert von 0,17¹ bietet der VISION EQXX (2022) dem Wind sogar weniger Widerstand als ein American Football. Der Technologieträger verdankt seinen herausragenden cW-Wert der strömungsförmigen Grundform, der innovativen, aerodynamisch neutralen Kühlplatte im Unterboden und der aufwändigen Integration von passiven und aktiven Aero-Elementen in die Karosserie.

Der Mercedes-Benz VISION EQXX im Windkanal.
Der Mercedes-Benz VISION EQXX im Windkanal.

Im Rahmen des Technologieprogramms CONCEPT AMG GT XX wurde auch zu einer grundlegend neuen Technologie geforscht: „Aerodynamics by wire“. Das Forscherteam konnte erstmals mit einem elektrischen Plasma-Aktuator eine gezielte Strömungsablösung auf einer Karosserierundung am Heck erzeugen. Normalerweise ist dafür eine physikalische, geometrische Abrisskante an der Fahrzeugaußenseite erforderlich. Diese höchst innovative Lösung reduziert den Luftwiderstand, verbessert die Aero-Performance und ermöglicht eine völlig neue Designfreiheit.

¹ cw-Wert im Daimler Aeroakustikwindkanal bei 140 km/h Windgeschwindigkeit ermittelt

Aerodynamik bei Mercedes-Benz.

Aerodynamik bei Mercedes-Benz.

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