Fußgängerüberwachung in Elektroautos

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So entsteht der Sound des EQC.

Dieser Artikel wurde ursprünglich im Daimler-Blog veröffentlicht.

Das typische Motorengeräusch eines Fahrzeugs klingt für jeden anders: wie Musik für alle, die in Hubraum statt Wohnraum denken und alle Einheiten in Drehzahlen rechnen. Und vielleicht eher nervtötend für diejenigen, die nah an der Straße wohnen und gerade die Kinder zum Mittagsschlaf gelegt haben.

5 Min. Lesedauer

von Andrea Häussler, Redakteurin für Forschungs- und Entwicklungsthemen bei Mercedes-Benz Cars
erschienen am 15. Juli 2019

In jedem Fall ist das Motorengeräusch ein wichtiges Signal: Wir können wahrnehmen, dass sich ein fahrendes Fahrzeug in unserer Nähe befindet und werden aufmerksam. Bei Elektrofahrzeugen fehlen die typischen Motorengeräusche – weshalb seit dem 1. Juli 2019 eine neue EU-Verordnung vorsieht, dass E-Autos ein Warngeräusch benötigen, damit sie im Straßenverkehr bei langsamer Fahrt ausreichend wahrgenommen werden können.

Wie muss ein Elektrofahrzeug also klingen, damit Fußgänger und Radfahrer sie rechtzeitig wahrnehmen können? Wie gehen unsere Experten bei der Sound-Entwicklung vor und was sollten wir alles dazu wissen? Darüber habe ich mich mit den Experten aus dem Team Sound Quality & Sound Design in Sindelfingen gesprochen.

Was ist bei den Themen Sound und Elektroauto wichtig zu wissen?

Wir müssen beim Thema Sound zunächst ein wenig differenzieren. Zum einen erfolgt die klassische Geräuschentwicklung, die stets für ein angenehm leises und komfortables Grundgeräusch ohne störende Anteile sorgt. Zum anderen werden elektrisch angetriebene Fahrzeuge zusätzlich noch mit einem System ausgestattet, welches das gesetzlich geforderte Fußgängerwarngeräusch (AVAS) nach außen erzeugt.

Dabei handelt es sich um ein unaufdringliches, aber gut wahrnehmbares Geräusch, das ab Start lauter und bereits ab 20 bis 30 km/h wieder ausgeblendet wird. Für den EQC (Stromverbrauch kombiniert: 21,3 - 20,2 kWh/100 km; CO2-Emissionen kombiniert: 0 g/km*) haben wir einen angenehmen und natürlichen AVAS-Klang kreiert. Das System erzeugt keine Science-Fiction-Sounds, die dem Auto fremdartig übergestülpt werden, sondern betont das bereits vorhandene Geräusch des Fahrzeugs und fügt sich so nahtlos in den Gesamtklang ein.

Wichtig dabei ist auch, dass man den Sound im Interieur nicht als störend wahrnimmt. Denn die leisen Stromer bringen unseren Kunden ein klares Plus an Komfort und sorgen für Lärmminderung auf unseren Straßen.

Gibt es für das Fahrzeugwarngeräusch einen Warnton, der für alle Fahrzeughersteller gültig ist?

Die offiziellen Regelungen formulieren sehr detaillierte Rahmenbedingungen, wie ein AVAS-Sound klingen darf und wie nicht. Dies gilt für die Mindest- und Maximallautstärke sowie für bestimmte Geräuschanteile. Eine andere Vorgabe ist der Geschwindigkeitsbereich, in dem der Sound hörbar sein muss.

In diesem vorgegebenen Rahmen kann jeder Fahrzeughersteller seinen eigenen „Elektrosound“ frei gestalten. Für die EU, Japan und China unterscheidet sich der Mercedes-Benz AVAS-Sound nur gering. Für die USA gelten andere Anforderungen, z.B. an die Lautstärke. Außerdem muss das Fahrzeug bereits im Stand bei eingelegtem Gang ein Geräusch von sich geben, das bis 30 km/h lauter wird. Die Abschaltbarkeit des AVAS durch den Kunden ist in nahezu allen Ländern untersagt.

Wie entwickelt man das Geräusch eines Elektroautos?

Das Grundgeräusch des Fahrzeugs wird zunächst in der Simulation und später im Akustikprüfstand und auf der Teststrecke optimiert. Dabei geht es vor allem darum, die relevanten Fahrzeugkomponenten in ihren akustischen Eigenschaften zu einem abgestimmten Gesamtfahrzeug zu entwickeln. Der perfekte Klang fängt also schon bei der Karosserie sowie den Aggregaten an und erfordert letztlich eine Optimierung einer Vielzahl von Bauteilen, die Einfluss auf das Gesamtfahrzeuggeräusch haben.

Beim AVAS geht es zusätzlich darum, im wahrsten Sinne des Wortes die „Lücke zu füllen“ – einen Sound zu ergänzen, wo eigentlich keiner ist – der sich aber perfekt ins Gesamtfahrzeuggeräusch einfügt. Das Klangmuster sollte auf der einen Seite dezent und auf Dauer nicht störend sein, aber gleichzeitig gut hörbar und intuitiv zuzuordnen.

Zur Feinabstimmung nutzen die Ingenieure und Sound-Designer neben großen Fahrzeugprüfständen auch das Akustikstudio. Hier werden Klänge bis ins Detail analysiert, bewertet und gemeinsam perfektioniert.

Kann der Kunde bei seinem Elektrofahrzeug einen individuellen Klang auswählen?

Nein. Jedes Fahrzeug hat seinen definierten AVAS-Klang, der das jeweilige Gesetz erfüllt und nicht verändert oder an persönliche Wünsche angepasst werden kann.

In welchen Modellen wird AVAS verbaut?

In allen Mercedes-Benz Elektrofahrzeugen und Plug-in-Hybriden, die nach dem 01.07.2019 neu zertifiziert werden, wird AVAS serienmäßig verbaut.

Müssen unsere bereits zugelassenen Elektrofahrzeuge / Plug-in-Hybride nachträglich mit AVAS ausgestattet werden?

Nein. Die Vorgaben gelten für alle neu zertifizierten Fahrzeugtypen. Für unsere bisherigen Elektrofahrzeuge und Plug-in-Hybride stand die Ausrüstung mit einem Soundgenerator als Sonderausstattung zur Verfügung. Eine Nachrüstung des Soundgenerators ist nicht zwingend erforderlich.

Wie klingt denn nun das Geräusch eines EQC?

Die Mercedes-Benz Akustikingenieure haben mit vielen verschiedenen Maßnahmen einen besonderen Geräuschkomfort erzielt. Im EQC sind die elektrischen Antriebe beispielsweise über Gummilager zweifach entkoppelt: einerseits die Antriebseinheit gegenüber ihrem Hilfsrahmen, andererseits der Hilfsrahmen gegenüber der Karosserie.

Die aufwändige Entkopplung wird durch Geräuschisolation und viele Detailmaßnahmen an den Komponenten ergänzt. Ergebnis: Der EQC ist im Innenraum extrem leise. Und von außen betrachtet – sagen wir mal so: Das AVAS erzeugt bei langsamer Fahrt ein gut hörbares Geräusch, mit dem das Fahrzeug unaufgeregt und komfortabel über die Straße rollt – ohne künstlich zu wirken. Und beim Rückwärtsfahren erklingt ein intuitiv erkennbarer Intervallsound. Hören Sie am besten selbst!

Wie wird man eigentlich Sound-Designer für Autos?

Sound-Designer und Akustikingenieure kommen oft aus ganz unterschiedlichen Berufsfeldern. Angefangen vom Elektrotechnikingenieur bis zum Tontechniker, oft mit einer Leidenschaft für Sound und Musik. Eine wichtige Fähigkeit ist das „analytische Hören“ – also Geräusche bewusst wahrzunehmen und zu verstehen, warum etwas passend und gut klingt – oder warum nicht.

Das alles kann man lernen – doch am Ende zählt, ob das Sound-Design dem Kunden gefällt. Der perfekte Klang ist sicherlich auch eine subjektive Ansicht. Deshalb ist der Weg dorthin oft eine aufwändige und zielgerichtete Zusammenarbeit vieler Beteiligter.

Andrea Häussler

Sie ist Redakteurin für Forschungs- und Entwicklungsthemen bei Mercedes-Benz Cars. Am besten gefällt ihr an ihrem aktuellen Job, das spannende und breite Themenfeld.

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