Interview mit Manuel Michel

Wir müssen jetzt anfangen Wachstum und Ressourcenverbrauch zu entkoppeln.

13. März 2023 – Wie lassen sich die Batterien von heute als Rohstoffminen für den Bedarf von morgen nutzen? Dieser Frage widmet sich Mercedes-Benz gemeinsam mit Technologiepartnern und Wissenschaftlern in einer Pilotfabrik, die zurzeit im süddeutschen Kuppenheim entsteht. Im Interview berichtet Manuel Michel, Leiter Batterierecycling, von den wichtigsten Aufgaben und erklärt, warum Hightech-Verfahren einen Beitrag zur sozialen Nachhaltigkeit leisten.

Herr Michel, warum investiert Mercedes-Benz einen zweistelligen Millionenbetrag, um ein eigenes Batterierecycling aufzubauen?

Ein zentraler Aspekt war, dass wir ein nachhaltiges System im Sinne der Kreislaufwirtschaft aufbauen wollen. In unserer Pilotfabrik wird nicht nur die Energieversorgung bilanziell CO₂-neutral sein, wir wollen auch möglichst viele Rohstoffe aus der Batterie ohne Qualitätsverlust zurückgewinnen. Mit diesem Anspruch gehen wir über die gesetzliche Definition von Recycling hinaus, die beispielsweise auch die Verbrennung von Materialien, also ein thermisches Recycling, einbezieht. In Kuppenheim vermeiden wir Downcycling und stellen stattdessen Rezyklate mit höchstmöglichen Reinheitsgraden her. Das ist eine Hightech-Anlage, die hier gerade entsteht und in der wir künftig gemeinsam mit Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft wichtiges Know-how aufbauen. Mindestens genauso wichtig ist der Beitrag, den wir damit zur Transformation unseres Konzerns leisten.

Wo liegen die Herausforderungen beim Thema Batterierecycling?

Es gibt Bereiche, da stehen wir noch am Anfang. So zum Beispiel bei der Retoure und dem Transport der Batterien. Also wie und auf welchem Weg kommen die Batterien zu uns? Dann geht es auch darum, das Recyclingverfahren weiter zu optimieren. Wir arbeiten zum Beispiel mit einem zweistufigen Prozess, der ohne Verbrennung auskommt (siehe Infokasten). An dieser Stelle kommen auch unsere Partner ins Spiel, denn wir sind ja Experten für die Entwicklung und Produktion von Fahrzeugen, und weniger Spezialisten für chemische Prozesse beim Recycling. Spannend ist für uns auch die Frage, wie wir künftige Batterien entwickeln und konstruieren müssen, um eine optimale Recyclingfähigkeit zu erreichen. Und nicht zuletzt geht es darum, die batteriefähigen Sekundärrohstoffe, zum Beispiel Kobalt, Nickel oder Lithium, zurück in die Lieferkette zu bekommen, um tatsächlich Kreisläufe zu schließen. Das hört sich einfacher an, als es ist, denn die Rohstoffverarbeitung geschieht weit vorne in der Wertschöpfungskette.

Auch das Recycling verbraucht Ressourcen. Wie hoch ist der Umweltvorteil gegenüber der Verwendung von Primärrohstoffen?

Die Antwort ist sehr komplex und hängt von vielen Faktoren ab. Das verwendete Verfahren spielt eine Rolle, aber natürlich auch die spezifische Zusammensetzung der Batterie und die Herkunft der verwendeten Primärrohstoffe. Unsere Kollegen aus dem Konzernumweltschutz haben in verschiedenen Ökobilanzen berechnet, dass der CO₂-Fußabdruck einer vollständig aus Rezyklaten hergestellten Batterie deutlich geringer ist gegenüber einem konventionell hergestellten Akku.

Wie beurteilen Sie das Batterierecycling unter sozialen Gesichtspunkten?

Es ist Teil unserer gesellschaftlichen Verantwortung, knappe Ressourcen zu schonen und Materialien so lange wie möglich im Nutzungskreislauf zu halten. Dabei helfen innovative Recyclingverfahren. Sie sind neben der Wiederaufbereitung und der möglichst langen Weiterverwendung beispielsweise in einem stationären Energiespeicher eine dritte wichtige Säule. Wir gehen heute davon aus, dass sich die Relevanz des Batterierecyclings insbesondere ab den 2030er Jahren erhöht, wenn die heute verbauten Fahrzeugbatterien sukzessive ausgemustert werden. Wir müssen jetzt damit anfangen, entsprechende Verfahren zu entwickeln, um Wachstum und Ressourcenverbrauch stärker voneinander zu entkoppeln.

Wie bauen Sie die Expertise am Standort auf – qualifizieren Sie in erster Linie Mitarbeitende auf die neuen Jobprofile um?

Ja, das funktioniert sehr gut. Wie in den bestehenden Werken auch brauchen wir Produktionsplaner, Verfahrenstechniker und Mitarbeitende, die Hightech-Anlagen bedienen können. Auch Beschäftigte, die Jahrzehnte in der Getriebemontage gearbeitet haben, lassen sich mithilfe gezielter Lernpfade für den Umgang mit Batterietechnologien auf neue Jobprofile qualifizieren. Die Mercedes-Benz Group bietet mit seiner Qualifizierungsoffensive Turn2Learn entsprechende Möglichkeiten an. Hinzu kommen Kolleginnen und Kollegen aus den Querschnittsfunktionen wie zum Beispiel Personal, Instandhaltung und Controlling. Das sind Arbeitsplätze, die auch weiterhin erhalten bleiben.

Perspektivisch bauen Sie mit dem Batterierecycling eine Rohstoffquelle auf, die Sie unabhängiger von volatilen Märkten, aber auch vom Abbau kritischer Rohstoffe machen wird. Was bedeutet dieser Teilrückzug für die Menschen am Anfang der Lieferkette?

Das ist eine wichtige Frage, die zeigt, wie komplex die Transformation zur Klimaneutralität ist. Für solche Veränderungen können nur gemeinsam Lösungen gefunden werden. Eine Vielzahl von Partnern entlang der gesamten Wertschöpfungskette und darüber hinaus muss die Verantwortung gemeinsam schultern und Wege finden, wie die Transformation gelingen kann und die Menschen entlang der Wertschöpfungskette dabei mitgenommen werden. Innovative Konzepte und Pioniere, die in ihrem jeweiligen Einflussbereich die ersten Schritte tun, sind hier ganz entscheidende Leuchttürme.

Grundlage der neuen Recyclingfabrik ist ein innovatives mechanisch-hydrometallurgisches Verfahren, das vollständig auf energie- und materialintensive Verbrennungsprozesse verzichtet. Stattdessen werden die Materialien in einem ersten Schritt mechanisch zerlegt. Anschließend werden chemische Verbünde aufgelöst, um insbesondere die wertvollen Bestandteile der Batteriezelle als sortenreine Metalle zurückzugewinnen. Das patentierte Recyclingverfahren erzielt aktuell eine Rückgewinnungsquote von mindestens 96 %, die gemeinsam mit den Technologiepartnern bis 2025 weiter erhöht werden soll.

Manuel Michel beschäftigt sich seit 2019 intensiv mit Kreislaufwirtschaft und dem Recycling von Lithium-Ionen-Batteriesystemen. Er ist innerhalb der Mercedes-Benz Group AG für die Pilotfabrik in Kuppenheim verantwortlich. Zuvor war der Wirtschafts- und Maschinenbauingenieur in der Forschung und Entwicklung von Mercedes-Benz für die Optimierung von Verbrennungsmotoren zuständig.