Was können Unternehmen denn ausrichten?
Renata Jungo Brüngger: Die Aufgabe ist nicht einfach. Wir haben mehr als 60.000 direkte Lieferanten, die wiederum eigene Lieferanten haben. Manchmal besteht eine Lieferkette aus bis zu sieben Unterstufen. Rechtlichen Zugriff haben wir aber nur auf unsere direkten Lieferanten. Wir stellen uns dieser Herausforderung mit unserem Human Rights Respect System. Damit prüfen wir risikobasiert und systematisch unsere eigenen Gesellschaften und unsere Lieferketten auf die Einhaltung von Menschenrechten. Der Dialog mit den Lieferanten ist dabei ganz wichtig. Gerade Daimler als großes Unternehmen kann die Bedingungen sicherlich ein Stück weit beeinflussen. Ein anderer Stellhebel für uns ist die Technologie. Wir arbeiten beispielsweise an Batterien, die weniger Risikorohstoffe wie Kobalt benötigen.
Wo fängt für Sie die Verantwortung von Unternehmen für die Achtung der Menschenrechte an? Wo hört sie auf?
Michael Windfuhr: Viele Unternehmen haben enorm von der Globalisierung profitiert. Die Wertschöpfung hat sich internationalisiert, neue Märkte sind dazugekommen, die Lieferketten länger und komplexer geworden. Die Kehrseite der Medaille ist, dass Firmen nun auch in Ländern unterwegs sind, in denen Menschenrechte nicht ausreichend geschützt sind. Die UN-Leitprinzipien stellen fest, dass Firmen diese Risiken identifizieren und im Bedarfsfall bearbeiten müssen. Das heißt nicht, dass sie alle Risiken selbst abstellen können – ein funktionierender Rechtsstaat ist dafür nach wie vor unerlässlich.
Die Bundesregierung diskutiert derzeit über einen Gesetzentwurf zur menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht von Unternehmen. Was halten Sie davon?
Renata Jungo Brüngger: Daimler arbeitet schon jetzt im Rahmen des Nationalen Aktionsplans für Wirtschaft und Menschenrechte konstruktiv mit der Bundesregierung zusammen. Grundsätzlich halte ich freiwillige Maßnahmen für sinnvoller. Aber wenn es eine gesetzliche Regelung geben sollte, sollte sie einen internationalen Standard setzen. Mögliche Vorgaben müssen für Unternehmen umsetzbar sein.
Wir befinden uns mitten in einem grundlegenden Strukturwandel der Automobilindustrie. Mit Blick auf teils schwierige Arbeitsbedingungen beim Kobaltabbau oder der Umweltbelastung beim Gewinnen von Lithium – wie viele Risiken birgt der Umstieg auf Elektromobilität? Welche menschenrechtlichen Auswirkungen hat der Klimaschutz?
Renata Jungo Brüngger: Es ist richtig, dass für die Elektromobilität Risikorohstoffe wie Kobalt oder Lithium gebraucht werden. Wir arbeiten intensiv daran, sie nachhaltig zu beziehen. Dafür lassen wir unter anderem Audits durchführen. Gleichzeitig bemühen wir uns um strukturelle Verbesserungen vor Ort. Zum Beispiel, indem wir mit der Nichtregierungsorganisation Bon Pasteur kooperieren, die soziale Projekte im Kongo umsetzt. Risiken bestehen aber unabhängig von der Elektromobilität. Im Fall von Glimmer, das für den Glanz im Lack sorgt, haben wir uns Minen in Indien angesehen und einen Lieferanten aus der Lieferkette ausgeschlossen.
Herr Windfuhr, was ist Ihre Perspektive auf die angesprochene Transformation?
Michael Windfuhr: In der Tat entstehen neue Risiken. Umso wichtiger ist es aber, über Nachhaltigkeit nicht nur technisch nachzudenken, sondern einen ganzheitlichen Ansatz zu verfolgen und die sozialen und menschenrechtlichen Risiken, die mit neuen Produkten entlang der Lieferkette entstehen, zu identifizieren und anzugehen. Ich halte es deshalb für richtig, dass Daimler die Achtung von Menschenrechten in seine nachhaltige Geschäftsstrategie als eines der sechs zentralen Ziele mit aufgenommen hat.
Weltweit unterscheidet sich das Verständnis von Menschenrechten. Wie können global tätige Unternehmen wie Daimler damit umgehen?
Michael Windfuhr: Die allermeisten Staaten dieser Erde haben die Menschenrechtskonventionen ratifiziert und sich damit selbst auf deren Einhaltung verpflichtet. Viele moderne Verfassungen enthalten einen Grundrechtekatalog. Rein rechtlich gesehen ist und kann das Verständnis von Menschenrechten also gar nicht so unterschiedlich sein. Nicht zu vergessen die Perspektive der Betroffenen: Wer möchte denn gerne, dass seine Kinder arbeiten müssen? Wer möchte seinen Beruf nicht frei wählen können? Wer möchte als Minderheit diskriminiert werden? Gleichzeitig müssen wir uns auf die wirklich wichtigen Aspekte und Themen der Menschenwürde konzentrieren und diese ins Zentrum unserer Bemühungen stellen.
Abschließend an Sie beide die Bitte, folgenden Satz zu vervollständigen: Am Internationalen Menschenrechtstag im Jahr 2050 werden wir …
Renata Jungo Brüngger: … hoffentlich alle nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen umgesetzt haben und sagen können, dass alle Lieferketten transparent sind.
Michael Windfuhr: … uns noch sehr viel mehr mit den Folgen des Klimawandels beschäftigen als heute. Umso wichtiger, dass wir an der Bewältigung dieses Problems menschenrechtssensibel arbeiten. Ich bin optimistisch, dass wir dann noch die Chance haben, mit dem Wandel umzugehen, wenn wir jetzt schnell und konsequent handeln.