Wie gelingt Ihrer Meinung nach die Transformation in eine nachhaltigere Zukunft?
Hermann Ott: Früher habe ich an detaillierten Plänen mitgearbeitet, wie die Welt nachhaltig werden könnte, wenn sich alle Staaten einigen würden. Mittlerweile glaube ich nicht mehr, dass eine solche globale Transformation im Konsens möglich ist. Deshalb entwickle ich gerade eine Theorie des „Muddling-through“, also des „funktionalen Durchwurschtelns“. Das bedeutet, dass viele Einzelaktionen, die nicht zentral koordiniert sind, trotzdem eine starke Dynamik entfalten können. Hier können soziale und technologische Sprunginnovationen entstehen, die nicht vorhersehbar sind und große Wirkung entfalten. Auf der ganzen Welt engagieren sich Hunderte Millionen Akteure für mehr Nachhaltigkeit: Einzelpersonen, lokale Initiativen, Städte, internationale Gremien und eben Unternehmen. Ich bin sehr gespannt, was da noch auf uns zukommt!
Welche Rolle spielen Unternehmen in dieser Transformation?
Hermann Ott: Unternehmen spielen vor allem eine wichtige Rolle als Multiplikatoren, als Treiber von Technologien und als wichtige globale Akteure. Mercedes-Benz kann mit seiner Erfahrung, seinem Know-how und seiner wirtschaftlichen Stärke viel bewegen.
Sie sprechen über Know-how: Was können Ingenieurinnen, Ingenieure und andere technische Experten zur Transformation zu einem nachhaltigeren Mobilitäts- und Wirtschaftssystem beitragen?
Hermann Ott: Sehr viel – davon bin ich schon seit Langem überzeugt. Deutschland hat hier einen großen Wettbewerbsvorteil aufgrund seiner hervorragenden Ingenieurtradition und seines dualen Ausbildungssystems. Niemand will zurück in vorindustrielle Zeiten. Die Zukunft wird also eine technologische sein – aber diese Technologie muss so gestaltet werden, dass sie uns ein Überleben im Rahmen der natürlichen Grenzen ermöglicht. Eine erdangepasste Technologie.
Was braucht es dafür konkret?
Hermann Ott: Am Wuppertal Institut haben wir den Dreiklang aus Effizienz, Konsistenz und Suffizienz entwickelt. Effizienz bedeutet, besser zu werden und Wirkungsgrade zu erhöhen. Konsistenz heißt, neue nachhaltige Technologien zu entwickeln. Und Suffizienz bedeutet, insgesamt weniger Energie und Ressourcen zu verbrauchen. Hier hoffe ich, dass sich gerade die deutsche Automobilindustrie noch stärker hervortun wird. Aber während ich zuversichtlich bin, dass wir Energie und Industrie klimaneutral machen können, wird die Landwirtschaft eine große Herausforderung bleiben.
In einem Interview mit der Tagespresse sagten Sie kürzlich, dass Klimapolitik und Nachhaltigkeit heute keine Frage der Ideologie mehr seien. Wie meinen Sie das genau?
Hermann Ott: Nachhaltigkeit war früher vielleicht eine Überzeugungsfrage, heute ist es eine wirtschaftlich vernünftige Entscheidung. Solarenergie etwa ist inzwischen die günstigste Form der Stromerzeugung. Selbst ohne Klimakrise wäre die Mobilitätswende sinnvoll. Unternehmen verfolgen nachhaltige Maßnahmen heute nicht allein aus ethischen Gründen, sondern vor allem, weil sie ökonomisch richtig sind. Das gilt auch für den Mercedes-Benz Konzern, der in Nachhaltigkeitsrankings ja schon sehr gut dasteht.
Was fasziniert Sie persönlich an der Arbeit im Beirat von Mercedes-Benz?
Hermann Ott: Die erste Sitzung war wirklich ein schönes Erlebnis. Besonders beeindruckt haben mich die Kolleginnen und Kollegen im Beirat – ihre Vielfalt, Expertise und die offene Art der Zusammenarbeit. Da kann das Unternehmen stolz sein, so einen Beirat nicht nur zu haben – sondern ihn tatsächlich auch in die Geschäftsstrategie miteinzubeziehen.
Wie wollen Sie sich in den kommenden Jahren im Beirat einbringen?
Hermann Ott: Ich war sehr positiv überrascht über die Offenheit, mit der der Vorstand gegenüber dem Beirat gesprochen hat – und hatte umgekehrt auch den Eindruck, dass die Mitglieder des Beirats nicht aus falscher Rücksichtnahme mit ihrer Meinung hinter dem Berg halten. Denn genau dafür sind wir da: Unabhängigkeit, tiefe Expertise, neue Perspektiven. Wenn man Entscheidungen in komplexen Situationen treffen muss, ist das sehr wertvoll. Und mein Eindruck ist, dass dies dem Vorstand bewusst ist. Das macht mir große Hoffnung, dass wir das Unternehmen gut auf dem Weg in die Zukunft begleiten können.