Mit dem Beirat für Integrität und Nachhaltigkeit von Mercedes-Benz kommen nun noch einige Termine in Ihrem Kalender dazu. Was hat Sie an dieser Aufgabe gereizt?
Kai Niebert: Mercedes-Benz ist ein Unternehmen, das in Deutschland tief verwurzelt ist und zugleich international eine große Rolle spielt. Mich interessiert, wie es ein solches Unternehmen schafft, sich selbst immer wieder aus sich heraus zu erneuern. Und: Wie motiviert man die Mitarbeitenden, beim Umbau mitzuwirken? Ich glaube, es ist wichtig, die Perspektive der Zielgruppen einzunehmen. Man sollte nicht davon ausgehen, dass Klimaneutralität für die Breite der Gesellschaft ein Wert an sich ist. Ingenieurinnen und Ingenieure aber haben zum Beispiel einen ureigenen Antrieb zur Innovation und Effizienzsteigerung. Diese Denkweisen kann man stärken und nutzen.
Welche Denkweisen werden Sie in die Beiratsarbeit einbringen?
Kai Niebert: Ich möchte gemeinsam überlegen, wie wir die Transformationskultur im Unternehmen stärken können. Und wie man es schafft, auf die eigenen Stärken wie Innovationskraft zu vertrauen. Das ist nicht nur eine Aufgabe für das Topmanagement, sondern auch für einzelne Abteilungen und Gewerke. Ich komme aus einer Handwerkerfamilie und weiß, was es heißt, etwas mit den eigenen Händen zu schaffen. Ich kann mir vorstellen, dass es nicht einfach ist, wenn sich plötzlich alles verändert und neue Ziele ausgegeben werden. Deshalb müssen wir die Kolleginnen und Kollegen konkret unterstützen – und zugleich auch auf einer übergeordneten Ebene in Deutschland und Europa die Rahmenbedingungen schaffen, damit Mercedes-Benz auf dem globalen Markt bestehen kann.
Sie lehren in Zürich Nachhaltigkeitsdidaktik: Welchen Beitrag kann die Wissenschaft leisten?
Kai Niebert: Egal ob Energie- oder Mobilitätswende: Häufig waren wir von sehr voraussetzungsvollen Studien geprägt: Es gibt viele Arbeiten, in denen Ziele formuliert werden, die nur erreicht werden können, wenn die Sonne mindestens x Tage scheint und deshalb y Gigawatt Strom erzeugt werden. Diese Studien lassen Transformation als einen planbaren Prozess erscheinen. Aber die Wirklichkeit sieht anders aus. Das kennt jeder aus seinem eigenen Leben: Man nimmt sich grob vor, wohin man will und macht sich dann auf den Weg, auch wenn die Pfade manchmal verschlungener werden als geplant.
Eines Ihrer Forschungsgebiete ist die Kreislaufwirtschaft. Wie beurteilen Sie die Potenziale?
Kai Niebert: Ich durfte die Bundesregierung bei der Ausarbeitung der Strategie zur Kreislaufwirtschaft beraten und glaube, dass wir das Thema zu häufig vom Ende her denken: Wie kann ich ein Produkt recyceln? Konsequenterweise sollten wir aber schon in der Entwicklungsphase ansetzen und alle Produkte so gestalten, dass sie recyclingfähig sind. Mercedes-Benz arbeitet daran bereits – und das ist auf mehreren Ebenen wichtig: Kreislaufwirtschaft reduziert nicht nur Kosten und Ressourcenverbrauch, sondern macht die deutsche Wirtschaft auch unabhängiger von Rohstoffimporten. Das ist gerade in der aktuellen globalen Lage entscheidend. Wir brauchen eine gesellschaftliche Debatte darüber, wie wir auch in Deutschland wieder stärker Rohstoffförderung und -recycling betreiben können – ohne dabei die Umwelt zu gefährden.
Auch in unserem Beirat können unterschiedliche Überzeugungen aufeinandertreffen. Was braucht es, damit so ein interdisziplinärer Austausch funktioniert?
Kai Niebert: Der Austausch muss ehrlich sein. Wir werden auf dem Weg in ein nachhaltiges Deutschland noch in viele Sackgassen laufen. Um dort wieder rauszukommen, wird es wichtig sein, dass wir alle voneinander und miteinander lernen können – und wollen.
Was würden Sie gern lernen?
Kai Niebert: Ich würde gern verstehen, wo die Chancen und Potenziale von Mercedes-Benz bei der Gestaltung der Mobilität der Zukunft liegen. Meine bislang spannendsten Gespräche hatte ich mit einer Gruppe von Ingenieurinnen und Ingenieuren: Ich finde es unglaublich bereichernd, wenn ich mal keine Strategiepapiere vor mir habe, sondern mit den Menschen rede, die die Maßnahmen umsetzen – und ich dabei vielleicht feststelle: Oh, so einfach ist das gar nicht! Machen setzt immer Können und Wollen voraus. Ich will lernen, wie wir das Können und das Wollen in einer Organisation wie Mercedes-Benz weiter stärken können.