So kommt der CO₂-Fußabdruck eines Pkw zustande: die Arbeit an der Ambition2039

Titel

Jäger der Null.

Die einen nennen es schlicht „Dekarbonisierung“ – die anderen das wohl ambitionierteste Ziel, das Mercedes-Benz je verfolgt hat: Bis 2039 will das Unternehmen eine komplett CO₂-neutrale Pkw-Neuwagenflotte anbieten. Wir haben das Team begleitet, das über die Ansteuerung der Ambition2039 wacht und mit innovativen Projekten dazu beiträgt, dass Mercedes seinen CO₂-Fußabdruck kontinuierlich minimiert – und zwar über den gesamten Lebenszyklus: die Arbeitsgruppe Ambition2039. Ein Bericht über ungeschönte Zahlen, technologischen Fortschritt und Menschen mit einer gemeinsamen Vision.

14 Min. Lesedauer

von Carolin Emmerich,
erschienen am 10. Dezember 2020

„Die Null.“ Manchmal kann eine Antwort simpel sein. Zum Beispiel, wenn man Martin Henßler fragt, was ihn antreibt. Über Monate hat er Pkw-Stücklisten studiert, Werkstoffinformationen von Bauteilen eingegeben, Lieferantendaten recherchiert. Er hat Umwelt- und Energiedaten der Standorte zusammengetragen, Kraftstoff- und Stromverbrauch einkalkuliert. Unzählige Tools, Datenbanken und Berechnungsmethoden bemüht. Seit sechs Jahren berechnet der promovierte Umweltschutzingenieur die CO₂-Emissionen aller Baureihen und Antriebsarten bei Mercedes-Benz Pkw. In den nächsten Jahren wird Henßler als Einer der Ersten sehen, ob die Dekarbonisierung bei Mercedes-Benz greift. Wann die Null real wird.

Henßler ist ein Zahlenmensch, dem die Umwelt am Herzen liegt. Er sehe es als seine Verantwortung an, Transparenz zu schaffen und einen Beitrag zu leisten, die Welt lebenswert zu halten, erzählt er. Neben seinen CO₂-Berechnungen erstellt er mit seinen Kollegen Umwelt- und Ökobilanzen für Fahrzeuge und schaut sich dabei den gesamten Lebenszyklus an: vom Abbau der Rohstoffe, der Produktion einzelner Bauteile, der Montage des Fahrzeugs über den Fahrbetrieb, die Kraftstoff- oder Stromherstellung bis hin zum Recycling.

Martin Henßler sieht es als seine Verantwortung an, mit seinen Berechnungen Transparenz zu schaffen.
Martin Henßler sieht es als seine Verantwortung an, mit seinen Berechnungen Transparenz zu schaffen.

Obendrein veröffentlicht Henßler noch wissenschaftliche Arbeiten – und merkt bei all dem: Das Interesse an seinem Fachgebiet hat in den vergangenen Jahren merklich zugenommen. „Der Wandel im Unternehmen ist spürbar“, erzählt der 37-Jährige. „Die Nachfrage nach Ökobilanzen für unsere Produkte, Herstellverfahren und Bauteile ist stark gewachsen.“ Nicht nur für die Kunden ist Umweltfreundlichkeit ein zunehmend wichtiges Kriterium. Auch seitens der Öffentlichkeit, Politik und des Kapitalmarkts steigen die Anforderungen an Transparenz und Offenlegung von Klimaschutzaktivitäten. Bis 2050, so sieht es das Pariser Klimaschutzabkommen vor, muss die weltweite Klimaerwärmung verglichen mit dem vorindustriellen Niveau auf deutlich unter zwei Grad Celsius begrenzt werden. Besser noch auf 1,5 Grad. Die daraus resultierenden Vorgaben erhöhen den Druck vor allem im Hinblick auf die CO₂-Emissionen. „Damit wir bis 2050 eine klimaneutrale Fahrzeugflotte auf den Straßen haben, müssen wir diese CO₂-neutralen Fahrzeuge schon zehn Jahre früher auf den Markt bringen – das entspricht in etwa der Haltedauer eines Pkws“, sagt Daimler-Ingenieur Henßler. „Hieraus haben wir auch das Jahr aus unserer Ambition2039 abgeleitet.“

Arbeitskreis Ambition2039 – Ein Team jagt die Null

Der Arbeitskreis Ambition2039 tauscht regelmäßig Updates aus zum Status der einzelnen Lebenszyklusphasen. Im Moment natürlich rein virtuell.
Der Arbeitskreis Ambition2039 tauscht regelmäßig Updates aus zum Status der einzelnen Lebenszyklusphasen. Im Moment natürlich rein virtuell.

„Wir“ – das ist in diesem Fall ein interdisziplinäres Team aus Einkäufern, Entwicklern, Logistikern, Produktionern, Strategen und Vertrieblern, die sich um das Monitoring und die Steuerung der CO₂-Emissionen für die Ambition2039 kümmern. Sie alle arbeiten dafür, dass die Dekarbonisierung der Fahrzeuge gelingen kann und sprechen dabei gern vom CO₂-Walk – einer Berechnung, die nur auf ein Ergebnis abzielt: Null CO₂-Emissionen. „Um das zu erreichen, verfolgen wir einen relativ simplen Ansatz“, erklärt Henßler: „CO₂ vermeiden, wann immer es geht. CO₂ reduzieren, so lange es geht. CO₂ kompensieren, wenn nichts Anderes mehr geht.“ Einen kleinen Zwischenerfolg feierte der Arbeitskreis Ambition2039 im vergangenen Jahr: Da nämlich hat die Science Based Target Initiative wissenschaftsbasiert die Klimaziele bestätigt, die sich Mercedes-Benz Cars & Vans bis 2030 gesteckt hat. „Das war schon etwas Besonderes und es tat gut, von berufener Stelle zu hören, dass wir mit unserer strategischen Ausrichtung auf dem richtigen Weg sind“, erinnert sich Henßler.

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Der Großteil der CO₂-Emissionen eines Fahrzeuges entsteht freilich erst, wenn es das Werksgelände verlassen hat und beim Kunden in Benutzung ist. Doch auch die vorherigen Lebenszyklusphasen haben nicht unerheblichen Einfluss auf den späteren CO₂-Fußabdruck.

Noch kein Auto – schon CO₂ im Gepäck

7,8 Tonnen schwer ist der CO₂-Rucksack, den ein Pkw schon hat, bevor er überhaupt als solcher erkennbar wird. Diese Emissionen entstehen in der vorgelagerten Wertschöpfungskette – bei den Lieferanten. Mit Ausbau der Elektromobilität und ohne weitere Maßnahmen werden die CO₂-Emissionen in der Lieferkette erstmal weiter wachsen. Denn die Produktion der für Elektroautos benötigten Teile hinterlässt einen deutlich größeren CO₂-Fußabdruck als die für konventionelle Fahrzeuge. Beim EQC, beispielsweise, fallen ca. 16 Tonnen CO₂-Emissionen an – beim konventionellen GLC sind es acht.

Michaela Hofmeister verantwortet im Mercedes-Benz Einkauf das Thema Governance, Integrity und Qualitätsmanagement und ist Teil des Arbeitskreis Ambition2039. Zu ihren Aufgaben gehört es, gemeinsam mit den externen Partnern für Sicherheits- und Rechtsstandards in der Lieferkette und die Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen zu sorgen. „Wenn wir als Unternehmen bis 2039 klimaneutral wirtschaften wollen, dann schaffen wir das nicht ohne unsere Lieferanten“, erzählt die Diplom-Kauffrau. „Es genügt nicht, unsere Fabriken auf Grünstrom umzustellen und die Effizienz unserer Fahrzeuge zu steigern – wir müssen auch gleichzeitig dafür sorgen, dass beispielsweise unsere Batterien CO₂-neutral produziert werden und dass wir dort einkaufen, wo wir auch produzieren.“ Doch nicht nur die Ökobilanz der eingekauften Batterien schlägt ins Kontor. Auch hinter der Produktion von Stahl, Aluminium oder Kunststoffen stecken extrem energieaufwendige Prozesse. Das alles wirkt sich negativ auf die CO₂-Bilanz eines Mercedes aus – und treibt auch Henßler um, der bei seinen Lebenszyklusberechnungen in der Lieferkette mit mehr CO₂ jonglieren muss, als ihm lieb ist. Hier setzen Hofmeister und ihr Team an. „Den viel beschworenen Spurwechsel fahren wir auch im Einkauf“, macht Hofmeister klar. Mit mehr als 2000 direkten Lieferanten arbeiten sie zusammen, um potenzielle Umweltrisiken identifizieren und mit Hilfe gezielter Maßnahmen minimieren zu können. Das ist umso wichtiger, da es für die Produktion und Verarbeitung zahlreicher Werkstoffe bislang keine einheitlichen Vorgaben für Unternehmen gibt.

Michaela Hofmeister verantwortet im Mercedes-Benz Einkauf das Thema Governance, Integrity und Qualitätsmanagement. Sie ist überzeugt: „Es geht nicht ohne die Lieferanten.“
Michaela Hofmeister verantwortet im Mercedes-Benz Einkauf das Thema Governance, Integrity und Qualitätsmanagement. Sie ist überzeugt: „Es geht nicht ohne die Lieferanten.“

„Unsere wichtigsten Lieferanten lassen wir von der Organisation CDP (ehemals Carbon Disclosure Project) bezüglich ihrer Umweltauswirkungen bewerten“, erklärt Hofmeister. Und längst sind Qualität und Preis nicht mehr die einzigen Vergabekriterien, wenn es um neue Projekte geht. „Ich freue mich, dass mehr und mehr auch CO₂- und Rezyklatziele darüber entscheiden, ob wir mit Lieferanten zusammenarbeiten“, berichtet die Managerin. „Die Forderung nach Transparenz über relevante Umweltkennzahlen haben wir jetzt auch in den Lieferantenverträgen festgehalten.“ Darüber hinaus hat sich Mercedes-Benz dazu bekannt, künftig ausschließlich Batteriezellen mit Kobalt und Lithium aus zertifiziertem Abbau zu beziehen. Das Unternehmen geht sogar noch einen Schritt darüber hinaus und erweitert die Auditierung der Minen um den Bergbaustandard der Initiative Responsible Mining Assurance (IRMA). So lassen sich neben Kinderarbeit und anderen sozialen Belangen unter anderem auch Umweltrisiken beim Abbau der Rohstoffe minimieren.

„Das Gefühl, etwas zum Besseren zu verändern, kostet Kraft, macht aber auch unheimlich viel Spaß.“

Michaela Hofmeister

Es sei so, als würde man gerade ein weißes Blatt Papier neu beschreiben, vergleicht Hofmeister. „Das Gefühl, etwas zum Besseren zu verändern, kostet Kraft, macht aber auch unheimlich viel Spaß.“

Vor einigen Monaten erst hat Mercedes-Benz mit Farasis Energy und CATL zwei strategische Partnerschaften auf den Weg gebracht. Hier sollen durch den Bezug CO₂-neutral produzierter Batteriezellen deutlich über 30 Prozent am CO₂-Fußabdruck der Gesamtbatterie eingespart werden. Ähnliche Initiativen sollen auch beim Thema Stahl und Aluminium ins Laufen kommen, doch hier sind die Herausforderungen nicht geringer: Damit beispielsweise Stahl grün produziert werden kann, braucht es große Mengen an regenerativ erzeugtem Strom – zum einen für den Betrieb der Schmelzöfen und zum anderen für die Erzeugung von grünem Wasserstoff, der zur Roheisenerzeugung in Direktreduktionsanlagen eingesetzt wird.

In einem idealen Szenario, das Henßler freilich schon berechnet hat und das vorsieht, dass der Einkauf zusammen mit den Lieferanten weitreichende Maßnahmen im Bereich der Aluminium-, Stahl-, Polymer- und Batterieherstellung umsetzt, entfielen in zehn Jahren signifikant weniger CO₂-Emissionen auf die Lieferkette eines durchschnittlichen Mercedes als heute. Doch wie realistisch ist das? Michaela Hofmeister lacht: „Nicht so unrealistisch wie es vielleicht zunächst scheint. Aber hinter jeder einzelnen Maßnahme, die wir umsetzen wollen, stecken langwierige und intensive Verhandlungen mit den Lieferanten und auch bei uns im Haus – nicht zuletzt über Finanzen.“ Denn es ist nicht von der Hand zu weisen: Nachhaltigkeit kostet Geld. Wie viel genau investiert werden muss, um die Anflugkurve 2039 im Bereich der Lieferkette zu erreichen, wird aktuell berechnet.

Je kürzer der Transportweg, umso besser

Andrej Nikolow bringt in den Arbeitskreis Ambition2039 die Werte für die Inbound- und Outbound- Logistikprozesse ein.
Andrej Nikolow bringt in den Arbeitskreis Ambition2039 die Werte für die Inbound- und Outbound- Logistikprozesse ein.

Auch Andrej Nikolow kann vom Spagat zwischen Kosten- und Emissionsdruck ein Lied singen. Für die Berechnung der Ökobilanzen bringt er die Werte für die Inbound- und Outbound-Logistikprozesse ein: Das sind jene Emissionen, die einerseits bei der Zulieferung benötigter Güter anfallen und andererseits bei Vertrieb und Zustellung an die Verteilzentren. Um seinem Kollegen Henßler die notwendigen Daten zu liefern, greift er auf eine Vielzahl von Systemen zurück. Das ist hoch komplex. Für jeden einzelnen Verkehrsträger, sei es Flugzeug, Bahn, Lkw oder Schiff, gibt es unterschiedliche Herangehensweisen zur Berechnung der Emissionen. Durch die zunehmende Digitalisierung der Logistikketten und die Entwicklung neuer Systemanwendungen soll die Ausgabe eben dieser Berechnungen künftig erleichtert werden. Ein Projekt, in das sowohl der Zahlenmensch Henßler als auch der Planer Nikolow große Hoffnungen setzen.

Wenn Nikolow gefragt wird, welche Hebel er in der Logistik ansetzen kann, um möglichst nachhaltig zu werden, kommt die Antwort prompt: „Je kürzer der Transportweg, umso besser. Das vermeidet nicht nur CO₂, sondern schont auch Ressourcen.“ Für die Wege, die nicht vermieden werden können, muss die optimale Strecke und der jeweils beste Verkehrsträger genutzt werden. „Bei beiden Variablen kommt es auf Effizienz an – hinsichtlich Kosten und CO₂“, erklärt der Logistiker. Beim Seeverkehr konnten in den letzten Jahren beide Potenziale verbunden werden. „Dadurch, dass Schiffe jetzt langsamer und konstanter fahren, sparen wir zugleich CO₂ und Kraftstoffkosten.“ Seit Anfang des Jahres sind die Inbound-Transporte auf der Schiene in Deutschland und Österreich auf Ökostrom umgestellt. Es seien nicht wenige große Veränderungen, sondern die Kombination aus vielen kleineren Projekten, die den ökologischen Fußabdruck in der Logistik nachweislich minimieren, erklärt Nikolow.

Dass sich Daimler zu einer umweltfreundlichen Logistik bekennt, ist für Sebastian Bühler, technischer Planer für Energie- und CO₂-Einsparungen in der Produktion, Beleg für einen ganzheitlichen Nachhaltigkeitsansatz. Bühler ist Teammitglied der GreenProduction, einer Unternehmenseinheit, die sich um die Transformation der Produktion in Richtung Nachhaltigkeit kümmert. Neben seiner Planertätigkeit ist er im Green Lab Dekarbonisierung aktiv und leitet eine Daimler Photovoltaik-Projektgruppe. „Seit ich 16 bin, engagiere ich mich für erneuerbare Energien – ich kann nicht anders“, erzählt er lachend.

Unterwegs zur CO2-neutralen Produktion

Gemeinsam mit seinen Kollegen durchforstet Sebastian Bühler alle Produktionsstandorte, um weitere Potenziale für den Einsatz erneuerbarer Energien zu finden.
Gemeinsam mit seinen Kollegen durchforstet Sebastian Bühler alle Produktionsstandorte, um weitere Potenziale für den Einsatz erneuerbarer Energien zu finden.

Durchschnittlich 0,7 Tonnen Kohlenstoffdioxid pro Fahrzeug entstehen im Moment in der Fahrzeugproduktion. Ab 2022 soll die Produktion in den eigenen Werken der Mercedes-Benz AG CO₂-neutral sein. Dabei ist es die klare Maßgabe, Emissionen, die in der Produktion und bei der Energieversorgung der Werke anfallen, konsequent zu reduzieren oder – wenn möglich – ganz zu vermeiden. Bei der Reduktion setzt das Unternehmen auf drei strategische Säulen: die kontinuierliche Steigerung der Energieeffizienz, die Nutzung von Grünstrom sowie die Implementierung einer nachhaltigen Wärmeversorgung. Zur Nutzung von Grünstrom gehört auch der Ausbau der regenerativen Eigenerzeugung an den verschiedenen Standorten.

Darüber hinaus werden alle eigenen Produktionswerke der Mercedes-Benz AG weltweit ab 2022 ausschließlich Strom aus regenerativen Quellen beziehen. Übrig bleiben Emissionen, die durch Erdgas, Heizöl, Flüssiggas, Benzin und Diesel oder direkt in den Werken anfallen – sei es im Heizkraftwerk oder auf Prüfständen – oder indirekt, wie beispielsweise bei der Fernwärmeversorgung einiger Standorte. „Diese verbleibenden Reste kompensieren wir durch CO₂-Zertifikate“, so Bühler. Schritt für Schritt durchforstet er mit seinen Teamkollegen jeden einzelnen Produktionsstandort, um weitere Potenziale erneuerbarer Energien für Henßlers viel bemühten CO₂-Walk zu finden. Als Blaupause dabei dient die kürzlich eröffnete Factory 56 in Sindelfingen, die als Zero Carbon Factory – vollständig CO₂-neutral und mit einem deutlich reduzierten Energiebedarf konzipiert wurde.

„Es motiviert ungemein, wenn man sieht, dass sich etwas bewegt, dass die Veränderung spürbar wird.“

Sebastian Bühler

Besonders stolz sei Bühler gewesen, als er kürzlich auf Instagram einen Film zur Photovoltaikanlage auf der Factory gesehen habe. Die trägt entscheidend zum innovativen Energiekonzept der Zukunftsfabrik bei. In Planung und Umsetzung der Anlage war Bühler maßgeblich involviert. „Ich bin ein großer Freund von Photovoltaik. In einer unternehmensweiten Projektgruppe arbeiten wir gerade daran, neue Photovoltaikanlagen an unseren deutschen Standorten zu realisieren“, schwärmt er. Zusätzlich untersucht er in einem Experten-Schwarm die Möglichkeit, die Mitarbeiter finanziell an diesen Photovoltaikanlagen zu beteiligen. Mit der Idee hatte Bühler im vergangenen Jahr beim Daimler-weiten Digital Life Day den ersten Platz eingefahren. Freilich seien die Projekte manchmal zäh und bisweilen koste es selbst einen Optimisten wie ihn Kraft, immer alle von der Notwendigkeit der Erneuerung zu überzeugen. „Aber es motiviert ungemein, wenn man sieht, dass sich etwas bewegt, dass die Veränderung spürbar wird.“

Tank-to-wheel: Der Löwenanteil im Lebenszyklus von Verbrennern

Wie viel sich gerade im Unternehmen verändert, weiß wohl kaum jemand besser als Thomas Hug. Der Maschinenbau-Ingenieur ist seit 32 Jahren bei Daimler – seit 2008 im Bereich CO₂-Strategie. „Ich kann nur immer wieder feststellen, wir wachsen mit unseren Aufgaben“, erzählt Hug lachend. Noch vor zwölf Jahren hätte man sich kaum vorstellen können, wie man die CO₂-Vorgaben für die Fahrzeugflotte bis 2020 überhaupt schaffen könne. Dank neuer Modelle werde man im CO₂-Flottendurchschnitt bis Ende des Jahres im Vergleich zum Vorjahr „einen Mordssprung“ gemacht haben – um mehr als 20 Prozent, erzählt der CO₂-Stratege. Hug zeichnet für die Lebensphase tank-to-wheel (zu Deutsch: „von der Tanksäule /Ladepunkt bis zum Rad“) verantwortlich. Er bringt in den Arbeitskreis Ambition2039 also jene CO₂-Werte ein, die während des Fahrbetriebs anfallen. Der Löwenanteil im Lebenszyklus von Verbrennern.

Hugs wichtigstes Arbeitsinstrument heißt CO₂FI (CO₂-Flotteninformation). CO₂FI ist ein Tool, das mit Hilfe von Stückzahl-Informationen und Verbrauchswerten Flottenprognosen bis zu zehn Jahren erlaubt. „Diese Informationen kombinieren wir dann mit den Gesetzgebungen in unterschiedlichen Ländern und treffen auf dieser Basis eine Compliance-Aussage“, erklärt Hug. Konkret bedeutet das, dass die Neufahrzeugflotten bei unterschiedlichen Gesetzeslagen immer regelkonform sein müssen. Dies ist Basis für die Entwicklung einer weltweiten CO₂-Strategie. Bis 2030 – also in den nächsten zehn Jahren – soll der Anteil reiner batterieelektrischer sowie PlugIn-hybridischer Modelle (man spricht hier auch von xEVs) mindestens 50% betragen. So ist es festgeschrieben in der Ambition2039. Darüber hinaus gibt es die regulative Sicht: Um den zunehmend strengen gesetzlichen Regelungen zu entsprechen und die CO₂-Bilanz in der Neuwagenflotte kontinuierlich zu verbessern, muss die Hälfte aller weltweit abgesetzten Fahrzeuge in zehn Jahren einen überwiegend elektrischen Antrieb oder Elektroantrieb haben. Mindestens die Hälfte. Das entspräche einer Reduktion der CO₂-Emissionen in der Nutzungsphase (well-to-wheel) um 42% im Vergleich zum Jahr 2018. Im gleichen Zeitraum soll auch der Anteil der Verbrennungsmotorvarianten bei Mercedes-Benz signifikant reduziert werden.

CO₂-Stratege Thomas Hug ist überzeugt: „Der Mind Change ist jetzt da.“
CO₂-Stratege Thomas Hug ist überzeugt: „Der Mind Change ist jetzt da.“

Thomas Hug ist überzeugt vom Siegeszug der Elektromobilität. „Aus meiner Sicht gibt es aktuell bei Pkw keine konkurrenzfähige Technologie zum batterieelektrischen Antrieb. Alles, was Änderungen der Energieträger beinhaltet, beispielsweise die Herstellung von eFuels, strombasierten Kraftstoffen, bringt für eine Anwendung in der Flotte noch zu viele Verluste mit sich. Es ist viel einfacher, die elektrische Energie direkt in die Batterie einzuspeisen und zum Antrieb zu nutzen.“ Zudem hätten sich Batteriezellen über die letzten Jahre extrem schnell und vielversprechend weiterentwickelt. Jetzt gehe es darum, die nächsten An- und Hochläufe gut hinzubekommen. Und das sind einige. Im Rahmen der Strategie Electric First hat Daimler vier neue Elektrofahrzeuge angekündigt, die auf der kommenden Electric Vehicle Architecture (EVA) basieren werden. Die Luxuslimousine EQS wird das erste Modell auf der neuen Plattform sein, danach folgen der EQE, der EQS-SUV und der EQE-SUV. Zusätzlich sollen AMG, Maybach und die G-Klasse elektrifiziert werden. Auf Basis einer zweiten neukonzipierten elektrischen Fahrzeugplattform, der Mercedes-Benz Modular Architecture (MMA) für Fahrzeuge im Kompakt- und Mittelklasse-Segment, sollen ab 2025 weitere Modelle das Elektrofahrzeug-Portfolio komplettieren. Doch wie genau verändert sich die Mercedes-Neuwagenflotte bis 2039?

„Für die Zeit bis 2039 arbeiten wir derzeit mit verschieden Zukunftsszenarien, um die Anflugkurve in Richtung 2039 zu modellieren.“

Thomas Hug

Hug erklärt: „Für die Zeit bis 2039 arbeiten wir derzeit mit verschieden Zukunftsszenarien, um die Anflugkurve in Richtung 2039 zu modellieren. Die Prognose für 2039 hängt von unterschiedlichen Faktoren ab – Kundennachfragen, politischen Randbedingungen, Infrastrukturaufbau, CO₂-Bepreisung – das alles können wir heute noch gar nicht genau vorhersagen.“

Elektrisch in die Zukunft

Bis 2030 zielt Mercedes-Benz auf einen Portfoliomix, der zu einem überwiegenden Anteil rein batterieelektrische Fahrzeuge beinhaltet. Auf dem Weg dahin gibt es aber noch eine Vielzahl an Herausforderungen – nicht „nur“ hinsichtlich Reichweite und Effizienz: Die größte und wirtschaftlich wichtigste Aufgabe liegt wohl darin, den sogenannten Deckungsbeitrag von Elektrofahrzeugen zu erhöhen. „Das erklärt, warum es hier und da immer wieder Beharrungsmomente gab“, sagt Hug. „Aber jetzt ist der Mind Change da.“ Das liegt nicht zuletzt daran, dass sich die Kosten für Batteriezellen deutlich schneller reduzieren als ursprünglich angenommen. Auch die Fahrzeugplattformen sollen zu Skaleneffekten führen, die sich positiv auf die Profitabilität eines Elektroautos auswirken. Neben der Frage nach der Profitabilität beschäftigt Thomas Hug auch die Frage nach dem Timing. „Ich glaube, die Welt wird sich schneller verändern, als viele das im Moment noch glauben“, mutmaßt er. „Die Eine-Million-Dollar-Frage ist aber, wann wir im Markt von einem Push- zu einem Pull-Szenario kommen.“ Mit anderen Worten: Wann ist der Moment erreicht, in dem die Kundennachfrage nach Elektromodellen rapide ansteigt.

„Die Eine-Million-Dollar-Frage ist aber, wann wir im Markt von einem Push- zu einem Pull-Szenario kommen.“

Thomas Hug

Selbstverständlich weiß auch der selbsternannte Elektrofan Hug, dass Elektrofahrzeuge nur so sauber sind, wie der Strom, mit dem sie fahren. Nur dann, wenn der für die Nutzung verwendete Strom auch aus erneuerbaren Energiequellen stammt, kommt ein Elektroauto in der Nutzungsphase ohne CO₂ aus. Martin Henßler muss deshalb bei den Berechnungen der Ökobilanzen auch immer die CO₂-Werte einkalkulieren, die durch die Kraftstoff- und Stromherstellung in der Nutzungsphase (Well-to-Tank) anfallen. Wie groß der Einfluss der genutzten Energiequelle ist, wird am Beispiel des EQC deutlich: Über den Lebenszyklus von 200.000 Kilometern verursacht der EQC in Summe etwa 32 Tonnen CO₂. Bei der Herstellung des Fahrzeugs werden dabei 16,4 Tonnen CO₂ emittiert. 80 % hiervon entfallen auf Stahl, Aluminium sowie die Batteriezellen. Produktionsseitig sind das die großen Stellhebel. Betrachtet man die Nutzungsphase, so entstehen weitere 15,5 Tonnen CO₂, sofern die Batterie mit dem EU-Strom-Mix geladen wird. Wird der Fahrstrom über die 200.000 Kilometer aber regenerativ gewonnen, so reduzieren sich die Emissionen auf 0,7 Tonnen CO₂.

Doch wie kann das Unternehmen beeinflussen, woher der Kunde zukünftig seinen Strom bezieht? Über ein internes Projekt untersucht ein Projektteam in der Abteilung Business Development Charging Services von Nico Dettmer, wie man Kundenerlebnis und CO₂-Fußabdruck clever verbinden kann. „Unsere Kunden entscheiden sich bewusst dafür, einen elektrischen Mercedes-Benz zu kaufen. Da spielt das Thema Nachhaltigkeit auch eine wesentliche Rolle“, erzählt Nico Dettmer. Wie ein nachhaltiges Ladekonzept für Mercedes-Kunden konkret aussehen soll, wird gerade entschieden.

Martin Henßler ist sich sicher, dass das Unternehmen auch hier „einen großen Schritt in die richtige Richtung“ machen wird. Für den nächsten Nachhaltigkeitsbericht, der im Frühjahr 2021 erscheint, trägt er gerade schon wieder Daten zusammen und stellt Berechnungen an. In Sachen „Ökobilanz“ sei man noch nicht da, wo man gern hinmöchte. Aber die zahlreichen Projekte und Initiativen aus dem Arbeitskreis Ambition2039 stimmen ihn zuversichtlich, dass der CO₂-Walk langfristig in die richtige Richtung geht. „Anders, als der Name vermuten lässt, ist der CO₂-Walk kein Selbstläufer“, erzählt Henßler lachend. Der nächste Schritt wird nur gelingen, wenn Menschen aus allen Bereichen des Unternehmens mit Herzblut dafür arbeiten, Daimler noch besser und nachhaltiger zu machen.

„Es ist unsere Aufgabe, einen CO₂-neutralen Personen- und Güterverkehr anzubieten. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir es mit unseren Produkten erreichen“, sagt Martin Henßler dann. Wo der CO₂-Walk enden soll, ist klar: „Die grüne Null ist und bleibt das Ziel.“

Carolin Emmerich

… arbeitet in der Daimler Nachhaltigkeitskommunikation und ist im wahrsten Sinne des Wortes NACHHALTIG beeindruckt von der Aufbruchsstimmung, die sie während der Recherche für die „Jäger der Null“ gespürt hat. Das Prinzip „Vermeiden – Reduzieren –Kompensieren“ wird sie künftig auch dann anwenden, wenn sie mal wieder die schwarze Null jagt.

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