Im Mittelpunkt steht seit jeher die Frage: Wie verändert die Mobilität der Zukunft die Sicherheitsanforderungen an unsere Fahrzeuge von morgen? Diesen Ansatz verfolgen wir schon immer, auch bereits in den 60er- und 70er-Jahren, als die Massenmotorisierung zu vielen und zu schweren Unfällen führte. Mercedes-Benz hatte daraufhin die ersten Experimental-Sicherheits-Fahrzeuge (ESF) gebaut und darin viele Systeme zur Verbesserung der Passiven und Aktiven Sicherheit erprobt, die sich heute weiterentwickelt in nahezu allen Pkw wiederfinden. Dazu gehören beispielsweise ABS, Gurtstraffer und Gurtkraftbegrenzer, Airbag und Seitenaufprallschutz.
Fahrzeugsicherheit bei Daimler 2019

Mobilität von morgen - mit Sicherheit voran.
Dieser Artikel wurde ursprünglich im Daimler-Blog veröffentlicht.
Tagtäglich arbeitet mein Team Fahrzeugsicherheit daran, unsere Autos noch sicherer zu machen. Auch in unserem neuen Experimental-Sicherheits-Fahrzeug „ESF 2019“, wie wir es kurz nennen, stecken gut ein Dutzend Innovationen – seriennahe Entwicklungen und Ideen, die weit in die Zukunft reichen. Die wichtigsten Highlights des ESF 2019 möchte ich Ihnen hier kurz vorstellen.
6 Min. Lesedauer
Inhalt
- Mehr als ein Dutzend Innovationen in der Fahrzeugsicherheit: von seriennah bis Science Fiction
- Vollautomatisiert Fahren: Mehr Komfort und Reduktion des Verletzungsrisikos
- Neue Ideen für Airbags: ganz schön aufgeblasen
- Kooperative Fahrzeugumfeld-Kommunikation: Mehrfach-Kommunikation mit der Umgebung
- Nachwuchs-Förderung: das Kindersitz-Konzept PRE-SAFE® Child
- Babyphone 4.0: Neue Innovationen für die Sicherheit der Kleinen
- Hallo wach: die innere Uhr des Körpers im Blick






Mehr als ein Dutzend Innovationen in der Fahrzeugsicherheit: von seriennah bis Science Fiction
Das ESF 2019 basiert auf unserem neuen GLE, hat einen Plug-in-Hybrid-Antrieb und fährt in vielen Situationen vollautomatisiert. Ein wichtiger Aspekt bei seiner Entwicklung war also: Was muss sich sicherheitstechnisch ändern, wenn wir zukünftig automatisiert unterwegs sein werden? Denn die allermeisten Unfälle sind heute auf menschliches Versagen zurückzuführen.
Diese Unfallursache fällt bei automatisierten Fahrzeugen weg. Dennoch wird es weiterhin Unfälle geben, so meine Überzeugung. Plötzliches Glatteis oder die verlorene Ladung eines Transporters, das sind nur zwei mögliche Szenarien. Hinzu kommt: Automatisierte und nicht-automatisierte Autos werden noch viele Jahre gemeinsam im Verkehr unterwegs sein. Auch das birgt ein Unfallrisiko.
Vollautomatisiert Fahren: Mehr Komfort und Reduktion des Verletzungsrisikos
Im ESF 2019 kann man weiterhin selbst fahren oder sich vollautomatisiert fahren lassen, etwa im Stau, wenn das Fahren keinen Spaß macht. Wohin dann aber mit Lenkrad und Pedalen? Wir fahren sie ein, wenn das ESF 2019 vollautomatisiert unterwegs ist, erhöhen dadurch den Komfort und reduzieren das Verletzungsrisiko. Außerdem ist so stets ersichtlich, wer das Kommando hat: ein Fahrer aus Fleisch und Blut oder das intelligente Auto.
Bleiben wir bei Letzterem, und stellen wir uns vor, Sie lassen sich bequem chauffieren. Da Sie ja weder Lenkrad noch Pedale erreichen müssen, werden Sie vermutlich die Lehne Ihres Sitzes flacher stellen und/oder den ganzen Sitz nach hinten rücken, um mehr Platz für die Beine zu haben. Diese größere Innenraum-Flexibilität macht es für uns Sicherheitsexperten schwer, da wir dann nicht mehr genau wissen, wie die Passagiere im Auto sitzen.
Die Information über die exakte Position ist jedoch wichtig für Rückhaltesysteme wie Gurte, Gurtstraffer und Airbags. Daher haben wir beim ESF 2019 die Gurte in den Sitz integriert, damit er sich unabhängig von der Stellung des Sitzes immer in einer definierten Position befindet. Und auch bei den Airbags haben wir uns viel Neues einfallen lassen:
Neue Ideen für Airbags: ganz schön aufgeblasen
Da es in vollautomatisiert fahrenden Autos keine festen Sitzpositionen mehr gibt und auch das große, runde Lenkrad ausgedient hat, zeigt das ESF 2019 beim Thema Airbag frische Ideen.






Der Fahrer-Airbag sitzt in der Armaturentafel und nicht mehr im Lenkrad wie heutzutage. Dadurch sind wir unabhängiger vom Lenkrad und seiner Position und Form. Zugleich kann der Airbag bei einem Unfall einen größeren Bereich abdecken.
Die nächste Neuentwicklung ist der integrale Seitenairbag. Er umhüllt die Passagiere im Falle eines Seitenaufpralls und umschließt neben Schultern und Armen auch den Kopf. Untergebracht ist dieser Airbag in den Seitenwangen der Sitzlehnen.
Noch etwas mehr Fantasie braucht es, um das Prinzip des neuartigen Fond-Airbags zu verstehen. Vielleicht assoziieren Sie eine Hüpfburg oder denken an die neuen aufblasbaren Zelte mit Luftschläuchen statt Stangen. Unser innovativer Fond-Airbag besitzt ebenso Schläuche, die zu Röhren aufgeblasen werden. Dadurch entsteht ein flügelförmiges Gerüst. Zwischen den beiden Flügeln entfaltet sich ein großer, zeltartiger Airbag und füllt sich dabei mit Luft.
Diese Luft kann wegen spezieller Ventile in der Hülle nicht wieder austreten, wenn der Passagier beim Unfall in den Airbag eintaucht. So kann die Belastung für Kopf und Halswirbelsäule deutlich gesenkt werden. Der neue Airbag entfaltet sich sanfter und kann möglichen Hindernissen ausweichen. Damit wird ein Airbag für den Rücksitz, der bei frontalen Unfällen wirkt, erstmals eine reale Möglichkeit.
Kooperative Fahrzeugumfeld-Kommunikation: Mehrfach-Kommunikation mit der Umgebung
Bleiben wir noch ein bisschen im Verkehrsalltag. „Bitteschön, nach Ihnen“ – nicht immer geht es auf den Straßen so höflich zu. Aber es gibt solche Gesten, und in vielen Situationen hilft es, wenn Autofahrer miteinander kommunizieren. Beispiel Zebrastreifen: Sicher beim Überqueren der Straße fühlt man sich als Fußgänger doch eigentlich erst, wenn man dem Fahrer eines herannahenden Autos in die Augen geblickt hat.
Bei automatisiert fahrenden Autos fällt diese Form der Verständigung weg. Umso wichtiger ist es, dass diese Fahrzeuge kommunizieren, welche Absichten sie haben. Denn damit selbstfahrende Autos akzeptiert werden, müssen sie Vertrauen schaffen durch Kommunikation. Stellen Sie sich vor, Sie stehen an einem Zebrastreifen und ein fahrerloses Auto naht. Woher wissen Sie, ob es halten wird oder nicht?
Das ESF 2019 kommuniziert gleich auf mehrfache Weise mit seiner Umgebung. „Kooperative Fahrzeugumfeld-Kommunikation“ nennen wir Ingenieure das übrigens. Eine Möglichkeit ist die Projektion auf die Heckscheibe. Bleiben wir beim Fußgänger-Beispiel. Lässt das ESF jemanden die Straße überqueren, erscheint auf der Heckscheibe zunächst ein entsprechendes Symbol.
Daran kann der nachfolgende Verkehr erkennen, warum das ESF hält. Eine Kamera filmt zudem den Fußgänger vor dem Fahrzeug, und das Bild wird live auf die Scheibe projiziert. Damit wird das ESF für andere Verkehrsteilnehmer „durchsichtig“. Unsere Überlegung: So wird das Verhalten eindeutig kommuniziert und der nachfolgende Verkehr nicht zu einem Überholmanöver animiert.






Nachwuchs-Förderung: das Kindersitz-Konzept PRE-SAFE® Child
Bereits seit 2002 gibt es PRE-SAFE® bei Mercedes-Benz. Dieses System durfte ich mitentwickeln. Der Grundgedanke: Mit Hilfe seiner Sensoren erkennt das intelligente Auto, dass ein Unfall droht. Registriert es solche Anzeichen, wird PRE-SAFE® aktiv, noch bevor es tatsächlich knallt. Wir sprechen auch von einer „virtuellen Knautschzone“. Dringt ein Objekt oder ein Verkehrsteilnehmer in diesen Bereich ein, können noch wertvolle Maßnahmen zum Schutz der Passagiere und der Unfallpartner umgesetzt werden. Welche Schutzmaßnahmen für die Insassen dann im Vorfeld stattfinden, wird z.B. in diesem Video zu den Sicherheitsfeatures moderner Autos anschaulich erläutert.
Beim ESF 2019 zeigen wir mit dem Kindersitz-Konzept PRE-SAFE® Child, wie auch die Kleinsten vorsorglich geschützt werden könnten. Bei diesem Sitz können vor einem Crash präventiv die Gurte des Sitzes gestrafft werden. Das Kind wird dadurch besser in seinem Sitz fixiert. Die Belastungen für seinen Körper sinken erheblich, sollte es zum Unfall kommen. Zudem sind im Sitz Seitenaufprallschutz-Elemente integriert, die ebenso bei Gefahr ausgefahren werden können.






Babyphone 4.0: Neue Innovationen für die Sicherheit der Kleinen
Ich erinnere mich noch, als meine Kinder klein waren: Die Kindersitze hinten auf die Rückbank einzubauen, war eine ziemliche Fummelei mit den Gurten. Kein Wunder also, dass Kindersitze häufig falsch montiert werden, selbst im Isofix-Zeitalter. Unser Lösungsansatz: Symbole direkt am Sitz und entsprechende Animationen im Media-Display helfen in Zukunft bei der korrekten Montage.
Ebenso praxisgerecht: Der Sitz überwacht Temperatur, Puls, Atmung und den Schlafzustand des Kindes, damit sich die Eltern keine Sorgen machen müssen – sozusagen ein Babyphone 4.0. Geht es dem Kind gut, leuchtet ein entsprechendes Smiley-Symbol auf dem Media-Display. Und im Stand lässt sich sogar live ein Videobild zuschalten.
Hallo wach: die innere Uhr des Körpers im Blick
Nicht nur den Kleinsten an Bord soll es gut gehen. Auch die Großen sollen fit bleiben, schließlich können sie ja im ESF 2019 durchaus das Steuer übernehmen. Wach und munter zu bleiben, ist nicht immer einfach: Wenn im Winter die Tage sehr kurz sind und man den Eindruck hat, es wird nie so richtig hell, fühlen wir uns müde. Das ESF 2019 wirkt dem mit einer tageslichtähnlichen Beleuchtung aus der Sonnenblende entgegen.
Weil das Tageslicht ein Taktgeber für unsere innere Uhr ist, bleibt der Fahrer wacher und leistungsfähiger. Vitalisierende Innenbeleuchtung haben wir das System genannt und es bereits in mehreren Studien in Lkw und Pkw erprobt. Es funktioniert auch als Lichtdusche, damit wir nach einer automatisierten Fahrt am Ziel frisch aussteigen. Auch das ist ein Beitrag zur Mobilität von morgen.