Bei Daimler gibt es über 250 „Jobsharer“ auf Führungsebene – Tendenz steigend. Als Jobsharing wird gemeinhin ein Arbeitszeitmodell bezeichnet, bei dem sich zwei Menschen in Teilzeit einen Arbeitsplatz teilen. Das hört sich nicht nur in der Theorie gut an, das ist es auch in der Praxis. Meine Stelle in der Daimler-Konzernkommunikation ist seit Ende 2016 „ein Fall für zwei“. Seit Anfang des Jahres teile ich mir nun mit Kristin Stegen die Leitung einer Abteilung. Von meiner vorherigen Tandempartnerin, Tini Mayer, habe ich mich aus dem besten Grund überhaupt trennen müssen: Sie ist mit Kind Nummer zwei in Elternzeit.
Jobsharing bei Daimler

Geteilte Arbeit, doppelte Freude?
Dieser Artikel wurde ursprünglich im Daimler-Blog veröffentlicht.
Es gibt heute fast nichts, was nicht geteilt wird: Fahrzeuge mit SHARE NOW, Schlafplätze per Couchsurfing, Grünparzellen mittels „Garden Sharing“ oder man wird per „Dog Sharing“ zum Teilzeit-Herrchen. Auch in der Arbeitswelt setzt sich der Trend zum Teilen durch.
6 Min. Lesedauer
Modell für jedermann/frau?
Die meisten Jobsharer, die ich „beim Daimler“ kenne, sind Frauen. Sie wollen sich neben dem Job Zeit für die Kinderbetreuung nehmen – oder brauchen sie schlichtweg. Gibt es auch Männer unter den Jobsharern? Ich frage nach bei Angela Lechner, die im Personalbereich für flexible Arbeitsmodelle zuständig ist. Sie berichtet, dass jedes sechste Tandem im Unternehmen ein „gemischtes Doppel“ sei. Die Kombination „Mann-Mann“ sei zwar selten, aber vorhanden.
Auch die Gründe für einen Job im Tandem sind vielfältiger als man vielleicht denkt: die Pflege von Angehörigen zählt dazu, eine Lehrtätigkeit oder ein intensives Hobby. Der große Vorteil von Jobsharing: Man kann auch Positionen übernehmen, die in „normaler“ Teilzeit schwierig sind. Bei Daimler gibt es bis ins obere Management Jobsharer/innen.
Eine Rechnung, die aufgeht
Reduzierte Stundenzahl bedeutet auch reduziertes Gehalt – für uns geht die Rechnung dennoch auf: Eine anspruchsvolle Aufgabe, ein motiviertes Team, ein Chef, der uns viel Freiraum lässt, wie wir uns im Tandem organisieren und gleichzeitig mehr Freizeit.
Mir gibt mein „freier Mittwoch“ – Kristin hat freitags frei – zum Beispiel die Gelegenheit, unsere 3-jährige Tochter früher aus der Kita abzuholen. Und ich kann mich um private Dinge kümmern, die donnerstags bis dienstags liegen bleiben.
Meine drei Argumente für Jobsharing
Vom Arbeiten im Tandem profitiert man nicht nur persönlich, sondern auch das Team, die Führungskraft und das Unternehmen insgesamt. Hier sind meine drei Argumente pro Sharing:
1. Mehr Kompetenzen: Die „eierlegenden Wollmilchsau“ lässt grüßen
Im Doppelpack kann man natürlich mit deutlich mehr Berufserfahrung aufwarten: Gemeinsam bringen es Kristin und ich auf gut 30 Jahre im Job – mit Anfang 40. Wir haben in Summe ein echtes „Studium Generale“ absolviert: von Mathematik über Germanistik bis hin zu BWL, Journalistik und Kunstgeschichte. Auslandserfahrung haben wir in Indien, Japan, England und Schweden gesammelt. Und in unserer bisherigen Laufbahn haben wir uns mit Themen wie Redenschreiben, Marketing, Auditierungen sowie HR- und Nutzfahrzeugkommunikation beschäftigt. Lange Liste, kurzer Sinn: Als Duo bringt man nicht nur mehr Erfahrungen und Stärken mit ein, sondern auch mehr Netzwerke und Kontakte.
2. Mehr Präsenz: Kein Entscheidungsstau zur Urlaubszeit
Zwar arbeiten Kristin und ich jeweils „nur“ vier Tage in der Woche – aber in Summe sind wir besser erreichbar. Urlaube planen wir entsprechend. Weiterer Vorteil: Kein Entscheidungsstillstand, wenn eine von uns länger „out of office“ ist. Nach der Rückkehr ist man nicht erstmal zwei Tage mit dem Abarbeiten von E-Mails beschäftigt: Das Allermeiste hat die Tandempartnerin längst erledigt. „erl“ ist auch das Kürzel, mit dem wir Mails versehen, damit die andere Bescheid weiß. Dass wir doppelt auf Mails antworten, kommt vor – ist aber die Ausnahme. Und dass wir uns bei der Antwort nicht einig sind, ist die Ausnahme von der Ausnahme. Wobei unterschiedliche Perspektiven ein weiteres Tandem-Plus sind.
3. Mehr Reflexion: Zwei Blickwinkel, bessere Entscheidungen
Die Tandempartnerin ist die natürliche Sparringspartnerin. Wir sind überzeugt, dass man gemeinsam zu besseren Entscheidungen kommt, als wenn man Dinge allein im „stillen Kämmerlein“ ausbrütet. Oft bringt die andere Aspekte ein, die man selbst nicht auf dem Schirm hatte oder sie hatte schon mal einen ähnlichen Fall oder eine Idee, wo man nochmal nachfragen könnte.
Angesichts dieser Argumente fragen wir uns: Warum arbeiten nicht noch mehr Menschen im Jobsharing? Ein Grund sind sicher die höheren Kosten für den Arbeitgeber: Wir arbeiten beide je mit 30 Stunden auf der Stelle. Das Mehr an Zeit nutzen wir zum einen für den Austausch, zum anderen steuern wir neben dem Linienbetrieb auch jeweils ein Projekt. Ein weiterer Grund ist, dass die Führungskräfte noch nicht durch die Bank Erfahrung mit Jobsharing gesammelt haben – aber es werden mehr. Nicht nur unser Chef ist mittlerweile Tandem-Fan. Und auch Personalkollegin Lechner wird immer öfter von anderen Großkonzernen gefragt, wie das Daimler-Erfolgs-Modell funktioniert.
Meine drei Erfolgsfaktoren für die Arbeit im Tandem
Ich hatte beziehungsweise habe das Glück, dass es mit meinen Jobsharing-Partnerinnen nicht nur fachlich, sondern auch menschlich prima gepasst hat. Diese drei Faktoren sind nach unserer Erfahrung nicht zu unterschätzen:
1. Kompromissbereitschaft: Statt „Jahrmarkt der Eitelkeiten“
Es gibt ja den Spruch „There is no ,I‘ in team“ – im Tandem auch nicht. Wichtige Entscheidungen treffen wir gemeinsam – im Dialog, pragmatisch und uneitel. Dazu gehört auch, sich selbst zurückzunehmen und Kompromisse zu finden, statt nach dem Motto „Es kann nur eine/n geben“ zu agieren. Jobsharing heißt: Geben UND Nehmen.
2. Gemeinsamer Nenner: Diversity ist gut, zuviel Diverses ist schwierig
Man sollte im Tandem ähnliche Ambitionen haben: Wenn der eine Teil mit Vollgas Karriere machen will und der andere im Standgas unterwegs ist, stellen wir uns das schwierig vor. Es hilft auch, beim Führungsverständnis einen gemeinsamen Nenner zu haben: Ein Hierarch alter Schule und einen „Laissez-faire“-Verfechter werden gemeinsam nicht glücklich. Und das Team auch nicht.
3. Vertrauen: Nichts für Kontrollfreaks
„Vertrauen ist der Anfang von allem“ – das hört sich nicht nur in der Bankwerbung gut an, sondern gilt auch im Tandem. Kristin wurde im Bewerbungs-Gespräch gefragt: „Was dürfte Ihre Tandempartnerin auf gar keinen Fall machen?“ Ihre Antwort: „Mir nicht die Wahrheit sagen.“ So banal das klingen mag: Mangelnde Aufrichtigkeit oder bewusst vorenthaltene Informationen sind Gift für eine Tandembeziehung. Jobsharing bedeutet, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen, aber gleichzeitig nicht zu 100 Prozent die Kontrolle zu haben. Wenn man nicht im Dienst ist, muss man der Partnerin vertrauen können – schon den eigenen Nerven zuliebe.
Dankeschön & Werbeblock
Nach diesen Zeilen ist es wenig verwunderlich, dass wir die eingangs gestellte Frage: „Jobsharing: Geteilte Arbeit, doppelte Freude?“ mit „Ja“ beantworten. Kristin, Tini und ich möchten allen danken, die diese Form des Arbeitens möglich machen: Unserem Arbeitgeber, Führungskräften, Team, Familien und der Daimler-Kita sternchen
Deshalb möchten wir ausdrücklich die Werbetrommel für das Modell rühren. Eine gute, interne Anlaufstelle sind bei Daimler neben Angela Lechner die Jobsharing-Communitys im Intranet, in denen über 600 Tandem-Interessierte registriert sind. Auch extern gibt es Plattformen wie zum Beispiel Tandemploy