1. Herr Pischetsrieder, zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zur Wahl zum neuen Aufsichtsratsvorsitzenden der Daimler AG! Für die, die Sie nicht kennen: Wie würden Sie sich beschreiben? Und was fasziniert Sie nach über vier Jahrzehnten in der Branche noch immer an der Autoindustrie?
Zunächst einmal danke ich meinen Aufsichtsratskolleginnen und -kollegen für das entgegengebrachte Vertrauen. Mein Dank und meine höchste Anerkennung gilt auch ausdrücklich meinem Vorgänger, Dr. Manfred Bischoff. Manfred hat das Unternehmen seit Jahrzehnten an entscheidenden Stellen mitgeprägt und die Arbeit des Aufsichtsrats als dessen Vorsitzender in den letzten 14 Jahren perfekt orchestriert. Es ist mir eine Ehre, in seine Fußstapfen zu treten.
Zur eigentlichen Frage: In wenigen Worten vorstellen würde ich mich als „weltoffener Bayer“, „Ingenieur mit Leib und Seele“ und „Auto-Enthusiast, der ein immenses Interesse an dessen technischer Fortentwicklung hat“. Ähnlich wie bei Manfred ist das Thema Automobil eines, das mich von frühauf begleitet: Mein Großonkel ist der Erfinder des Mini Cooper. Nicht nur deshalb war für mich klar, dass ich Maschinenbau studieren will. Zudem wollte ich schon immer Dinge gestalten und die Weichen für die Zukunft stellen: Das hat mich zunächst zu BMW, dann zu VW geführt, wo ich jeweils zum Vorstandsvorsitzenden berufen wurde. Seit 2014 bin ich Mitglied des Aufsichtsrats der Daimler AG. Ganz ehrlich, ein Branchenwechsel kam für mich nie in Frage: Die Autoindustrie war und ist heute mehr denn je ein Treiber für Fortschritt und Innovation. Deshalb wird sie für mich auch nie an Faszination verlieren. Gerade die Elektrifizierung und Digitalisierung bieten jetzt unglaublich viele neue Möglichkeiten, die es zu gestalten gilt. Und gerade deshalb ist es mir ein Herzensthema, unser Unternehmen in die Zukunft zu begleiten. Ich kann mir keine spannendere Aufgabe vorstellen!
2. Was bedeutet diese Neuerfindung des Automobils, von der oft gesprochen wird, für die programmatischen Schwerpunkte des Aufsichtsrats in den kommenden Jahren?
Das Auto hat sich immer weiterentwickelt, doch jetzt steht es vor der größten Transformation seit 135 Jahren. Die zentralen Herausforderungen sind Dekarbonisierung und Digitalisierung. Wir haben nun zwei Möglichkeiten: Diesen Herausforderungen mit Skepsis entgegenzublicken und der vermeintlich „guten alten Zeit“ hinterher zu trauern – oder sie mit Mut, Freude und Entschlossenheit anzunehmen. Ich persönlich stehe für Letzteres. Und das Feld ist ja auch gut bestellt: Gemeinsam mit dem Vorstand hat der Aufsichtsrat unter Leitung von Manfred Bischoff viele Initiativen auf den Weg gebracht – gerade was Digitalisierung und Elektrifizierung angeht: Von der Elektro- und Software-Offensive bis hin zu wichtigen strategischen Partnerschaften. All das werden wir weiter forcieren und die Chancen, die sich daraus für uns ergeben, aktiv angehen.
Natürlich ist der Aufsichtsrat gefordert, die Transformation von der Spitze zu fördern und auch einzufordern. Ein Aufsichtsratschef muss in solchen Zeiten großer Veränderung aber auch Mittler und Vermittler sein. Was ich damit sagen will: Die Transformation wird nur gelingen, wenn Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Kapitaleigner in die gleiche Richtung marschieren. Besonders wichtig ist es mir, die Belegschaft auf diesem Weg mitzunehmen. Es bedarf nicht nur Investitionen in Technologien und Standorte, sondern auch in die Qualifikation. Hier sind sich Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter einig. Wir alle haben eines fest im Blick: Eine erfolgreiche und unabhängige Zukunft für dieses großartige Unternehmen. Die Umsetzung von „Projekt Fokus“ ist dabei ein ganz wichtiger Faktor, weil die Einzelunternehmen dadurch noch gezielter investieren können, große unternehmerische Freiheit bekommen und ihre Stärken voll ausspielen können. Deshalb unterstütze ich das Vorhaben mit ganzer Kraft.
3. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten für Daimler oder Mercedes, weil sie Autos lieben. Sie selbst beschreiben sich als „Auto-Enthusiasten“. Was entgegnen Sie Kolleginnen und Kollegen, die auch mit Skepsis sehen, was das Auto der Zukunft und auch ihren künftigen Platz im Unternehmen betrifft?
Wer mich kennt, der weiß, dass ich durchaus ein Faible für ältere Autos habe. Doch das eine schließt das andere ja nicht aus. Im Gegenteil: Nur, wenn man sich der Tradition des Automobils und seiner gesellschaftlichen Bedeutung bewusst ist, kann man auch dessen Zukunft erfolgreich gestalten. Das Auto war schließlich schon immer auch der Spiegel der Gesellschaft und hat sich mit ihr und den Bedürfnissen der Menschen gewandelt. Heute weist der Weg ganz klar in Richtung CO₂-Neutralität und digitaler Vernetzung. Was bleibt, ist der Wunsch nach individueller Mobilität.
Bei Daimler haben wir diesen Spurwechsel beherzt eingeschlagen. Wer noch zweifelt, dem sage ich aus eigener Erfahrung: Ein E-Auto kann genau so viel Spaß machen wie ein V8-Zylinder, und ist zudem besser für Klima und Umwelt. Auch kann man an einem schönen Sonntag schon mal dem Charme eines älteren Automobils erliegen; im Alltag bin ich aber froh über die vielen digitalen Helfer, die das Fahren in einem Mercedes von heute so viel komfortabler und sicherer machen. Ich bin sicher: In spätestens 25 Jahren ist der Verbrenner höchstens noch etwas für Sammler und Nostalgiker. Bei Mercedes verharren wir nie im Hier und Jetzt, sondern sind Pioniere wie Generationen vor uns in diesem Konzern. Bei Daimler und Mercedes-Benz haben wir die allerbesten Vorrausetzungen, um auch in Zukunft weiterhin an der Spitze zu stehen: Tradition und Erfahrung, Innovationsstreben und Ingenieurkunst, ein Management, das vorausschauend handelt und das wichtigste: engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die zum Teil seit Jahrzehnten den Stern im Herzen tragen. Wer bei Daimler, Daimler Truck oder Mercedes-Benz arbeitet, der hat allen Grund mit Zuversicht nach vorne zu blicken!