Cornelia Funke zählt zu den international erfolgreichsten und bekanntesten deutschen Kinder- und Jugendbuchautoren – ihre Werke verkaufen sich millionenfach. Neben dem Schreiben engagiert sie sich für zahlreiche Organisationen und Projekte. Besonders Themen rund um Kinder- und Frauenrechte sowie Umwelt- und Artenschutz liegen ihr am Herzen. Ein Gespräch über blühende Fantasien, harte Realitäten und einen Mercedes namens Rosa.
Frau Funke, Sie haben mal gesagt: „Die Realität ist fantastisch“. Wie fantastisch ist denn das Jahr 2021?
Ausgesprochen fantastisch, jedenfalls wenn man das Wort in seiner eigentlichen Bedeutung nimmt. Also nicht im Sinne von „fantastisch gut“, sondern im Sinne von „all das, was wir uns in unseren wildesten Vorstellungen ausmalen können – und noch viel mehr“. Denn wer hätte gedacht, dass ein winziges Virus unser Verhalten in kürzester Zeit drastischer verändern würde, als ein riesengroßes Thema wie der Klimawandel? Ich glaube, das hat uns alle maßlos überrascht.
Inwieweit nehmen solche aktuellen Themen wie die Corona-Pandemie oder eben auch der Klimawandel, Einfluss auf Ihr Schaffen als Künstlerin und Geschichtenschreiberin?
Ich wäre eine sehr schlechte Geschichtenerzählerin, wenn ich solche Dinge nicht aufgreifen würde. Auch Märchen waren und sind ja ein Spiegel einer Gesellschaft zu einer bestimmten Zeit. Ich hoffe also sehr, dass sich das auch in meiner Arbeit widerspiegelt, denn im Grunde versuche ich ja, für all diejenigen, die meine Geschichten lesen, die Welt in Worte zu fassen. Ich glaube aber fest daran, dass es besser ist, so etwas eher unterbewusst einfließen zu lassen. Meine Leser sind alle viel zu klug, um von mir missioniert werden zu wollen. Aber natürlich fließt das, was ich über die Welt denke, was ich in den USA in politischer Hinsicht erlebt habe oder was der Klimawandel gerade in Kalifornien bewirkt, in meine Arbeit ein.
Als Wahlkalifornierin sind Sie ja selbst unmittelbar vom Klimawandel betroffen. Wie erleben Sie die Situation vor Ort?
Ich würde fast sagen, dass Kalifornien inzwischen das Schaufenster des Klimawandels geworden ist. In den 15 Jahren, die ich jetzt hier lebe, hat sich das Wetter dramatisch verändert. Wir hatten noch nie viel Regen und Feuer ist hier etwas ganz Selbstverständliches - das zeigen schon Berichte aus dem 16. Jahrhundert. Inzwischen ist die Dürre aber gnadenlos. Außerdem gibt es mittlerweile viele Pflanzenarten, die hier nicht hergehören und zu einem Problem für das Ökosystem werden, etwa, weil sie länger brennen. Dadurch hat sich die Lage insgesamt dramatisch verschlechtert. Die Feuersaison liegt inzwischen nicht mehr im Oktober – sie erstreckt sich über das gesamte Jahr. Was ich hier in den letzten Jahren gesehen habe, macht traurig: Eine wunderschöne und eigentlich auch reiche Landschaft, die durch zunehmende Bebauung und exzessive, wasserintensive Landwirtschaft zerstört wird.
Nehmen Sie denn Unterschiede im Nachhaltigkeitsverständnis zwischen den USA und Europa wahr?
Es gibt sicher Unterschiede zwischen den USA und Europa. Ich glaube aber nicht, dass die so entscheidend sind. Weltweit gibt es aus meiner Sicht eine klare Unterscheidung zwischen den Menschen, die sich der Probleme bewusst und bereit sind, große Opfer zu bringen. Und dann die anderen, die für sich entschieden haben: „Mir ist jetzt das wichtig, was mir gerade Spaß macht. Ob dieser Spaß bedeutet, dass künftige Generationen auf diesem Planeten nicht mehr leben können, ist mir eigentlich egal“. Ich habe das Gefühl, dass da wirklich zwei Pole entstanden sind und man sich unwillkürlich fragt: Wie kann man bloß den Dialog zwischen beiden herstellen? Und wie lässt sich das in politisches Handeln übersetzen?
Glauben Sie vor diesem Hintergrund, dass wir die Ziele des Pariser Klimaabkommens erreichen werden?
Ich hoffe natürlich sehr, dass wir sie erreichen. Aber es würde mich leider auch nicht völlig überraschen, wenn wir es nicht täten. Allein, dass wir den entschiedenen Versuch unternehmen, ist aber schon ein wichtiger Schritt. Ich halte es für falsch, sich einfach in Pessimismus und Zynismus zu flüchten. Denn das führt meist dazu, dass man gar nichts tut. Wir müssen Initiative ergreifen. Sollte dies am Ende nur kleine Änderungen bringen, sind diese trotzdem wertvoll.
Nach so vielen Jahren in den USA haben Sie sich entschlossen, das Land in Richtung Italien zu verlassen. Wie schwer ist Ihnen diese Entscheidung gefallen?
Sehr schwer und sie ist auch jetzt noch nicht leicht. Jedes Mal, wenn ich all die Menschen sehe, an denen ich hier unglaublich hänge, ist es besonders schwer. All diese Menschen wissen aber, dass ich das erstmal tue, um einfach mal eine Pause zu machen, mal zurückzutreten. Um den Kopf wieder ein bisschen zu de-amerikanisieren und wieder stärker europäisch zu denken. Ich kann mir nicht vorstellen, Amerika aus meinem Leben zu streichen, aber ich möchte auch gerne wieder ein Zuhause in Europa haben. Zumindest eine Zeit lang.
Werden sich die Romane von Cornelia Funke, die sie in Italien schreibt, anders lesen als die, die in Malibu entstanden sind?
Das hoffe ich doch sehr und bin ich schon sehr gespannt darauf, was dieser Umzug mit meinen Werken machen wird. Das Verrückte ist, dass meine Figuren heute schon in Italien leben – sei es im „Tintenherz“ oder in „Herr der Diebe“. Das scheint ein Omen gewesen zu sein. Es ist also nur passend, dass ich das nächste „Tintenherz“-Buch in Volterra zu Ende schreiben werde.
Neben dem Schreiben und Malen engagieren Sie sich schon Ihr ganzes Leben für zahlreiche Organisationen und Projekte. Welche liegen Ihnen besonders am Herzen?
Ich glaube daran, dass man die größte Wirkung erzielt und die größten Veränderungen erreicht, wenn man überall ein paar kleine Kiesel in den Teich wirft. Entsprechend unterstützt meine Stiftung "Saum des Himmels" deshalb kleine Organisationen und Initiativen in den USA, Deutschland und anderen Ländern, in denen meine Bücher erscheinen. Beispielsweise die „TreePeople“, eine Non-Profit-Umweltschutzgemeinschaft in Los Angeles, die die Einwohner dazu animiert, Bäume zu pflanzen. Oder ArtworxLA, eine pädagogische Organisation, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die Schulabbruchrate an den Highschools mit Hilfe von kreativen Projekten zu verringern. Außerdem unterstütze ich "#6-Fighting Extinction", eine Kampagne der "Biodiversity Foundation", die sich für den Schutz der Artenvielfalt einsetzt.
Apropos Biodiversität: Sie sind Botschafterin der UN Dekade Biologische Vielfalt. Warum ist Ihnen das wichtig?
Die Erhaltung der biologischen Vielfalt auf unserem Planeten ist eine unschätzbar wichtige Aufgabe – für die es aber noch nicht ausreichend Bewusstsein gibt. Zumindest ist davon auszugehen, wenn wir uns die politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen ansehen, für die wir alle auf direkte oder indirekte Weise verantwortlich sind. Mir war es wichtig, dieses Bewusstsein zu wecken oder wenigstens dazu beizutragen. Wir müssen alles dafür tun, um die Vielfalt zu erhalten, oder wir werden uns irgendwann all diese Wunder nur noch in der Fantasie ausmalen... und irgendwann wird auch das nicht mehr gehen, weil unsere Fantasie nicht mehr von der Vielfalt leben kann. Wir müssen lernen, die Vielfalt, und den Reichtum dieser Welt zu entdecken, bevor er verlorengeht. Und das müssen wir auch unsere Kinder lehren. Denn sie werden nur beschützen, was sie kennen und lieben.
Geschieht das Ihrer Meinung nach zu selten?
Ja. Als ich aufgewachsen bin, hatte ich fast den halben Tag Zeit, um mit Freunden zu spielen – gerade auch draußen, in der Natur. Heute bleibt für dieses Naturerlebnis im Alltag kaum noch Zeit und die Schule fördert nicht nur, sondern überfordert auch zunehmend – und lehrt auch nur selten etwas für die wirkliche Welt. Ein Beispiel: Es gibt Studien, die darauf hinweisen, dass aus den Lexika immer mehr Naturbegriffe verschwinden, weil sie durch technische Begriffe verdrängt werden. Wenn Worte wie „Weidenbaum“ oder „Eiche“ entfernt werden, damit Begriffe wie „Chat“ Platz finden, entspräche das – so die Begründung – der Lebensrealität der Kinder. In Wirklichkeit formen wir die Kinder auf diese Weise aber, indem wir ihnen bestimmte Worte nehmen. Wenn Kinder irgendwann nur noch den Begriff „Baum“ kennen – aber nicht mehr wissen, was das für ein Baum ist oder was er vielleicht kann.
Die Idee der Erhaltung der Arten haben Sie auf spielerische Weise in einem Ihrer Romane aufgegriffen. In „Die Feder eines Greifs“ gibt es ein eigenes Schutzprogramm für vom Aussterben bedrohte Fabelwesen. Schaffen Kinder den „Transfer“ zur Realität?
Ich habe mir die Frage selbst gestellt, als ich „Die Feder eines Greifs“ geschrieben habe und habe deswegen neben Fabelwesen auch sehr viele echte Tierarten involviert. Ich wollte verhindern, dass die Kinder denken, es ginge nur um Drachen und Einhörner. Ich hoffe, dass sie die anderen Tiere ebenso in Erinnerung behalten werden, wie die Fantasielebewesen, denn im Grunde genommen sind alle Geschöpfe fantastisch. Meine Fabelwesen sind eine Art Übersetzer zwischen der menschlichen Gattung und den anderen. Ich arbeite gerade am Feinschliff des dritten Buches. Da wird dieses Thema noch eine stärkere Rolle spielen.
Sie haben mal gesagt, dass die mächtigste Spezies dieses Planeten mitunter auch die nutzloseste sei…
Wenn wir für einen Moment innehalten und darüber nachdenken würden, welcher anderen Art auf unserem Planeten wir nutzen, dann würden uns nicht sehr viele einfallen, oder? Die Erde könnte sehr gut ohne uns auskommen, während sie ohne Insekten schon nach ein paar Wochen enorme Probleme hätte. Diese Aussage hat schon zu einigen heißen Diskussionen mit meinen Freuden geführt, die dann immer auf unsere Kunst und unserer Kultur verweisen. Aber die kommen ja auch den Menschen zugute – und nicht diesem Planeten. Von daher fürchte ich, dass wir Menschen in Summe keine gute Umweltbilanz haben.
Glauben Sie trotzdem an das Gute im Menschen?
Ich bin ein großer Menschenfreund und ich glaube leidenschaftlich an das Gute in einigen Menschen. Ich glaube nur nicht an das Gute unserer Spezies in Gänze. Ich fürchte, in dieser Hinsicht sind wir noch sehr unterentwickelt. Wir sind ja aber auch noch eine sehr junge Spezies.
Ein Blick in die Zukunft: Wie viel von heute gängigen Fantasiegebilden wird, sagen wir mal 2050, Realität sein? Denken wir mal an Dinge wie fliegende Autos, den verbreiteten Einsatz künstlicher Intelligenz, bedingungsloses Grundeinkommen…
Ich würde sagen, alles bis auf das bedingungslose Grundeinkommen. Ich bin leider relativ pessimistisch, was die soziale Gerechtigkeit betrifft. Dass ich an alles andere glaube, liegt vermutlich daran, dass ich mit acht Jahren begonnen habe, Star Trek zu schauen und deshalb früh von den technischen Möglichkeiten überzeugt war. Wenn ich mir heute so eine alte Folge anschaue, fällt mir auf, wie optimistisch die noch waren und wie sehr die daran geglaubt haben, dass die Welt mal eine bessere sein würde.
Jetzt kennen wir Ihre Lieblingsserie. Welches Ihrer Bücher liegt Ihnen denn besonders am Herzen?
Ich glaube, das kann ich nicht beantworten. Ich würde vielleicht bei einem Buch sagen „das ist am besten geschrieben“ und bei einem anderen „das hat die beste Geschichte“. Aber es gibt keines, von dem ich sagen würde, dass es wichtiger oder bedeutsamer wäre, als die anderen. Vielleicht habe ich so ein paar heimliche Lieblinge. Ich hänge zum Beispiel sehr an dem Bilderbuch „Die Brücke hinter den Sternen“, in dem es um Verlust und Trauer geht und zu dem ich solche unglaublichen Echos von Kindern und Eltern bekomme. Andererseits aber auch an einem kleinen, albernen Buch wie dem „Piratenschwein“. Ich freue mich, dass ich so viele verschiedene Bücher geschrieben habe.
Sie haben mal gesagt, dass Sie am Anfang des Schreibens noch gar nicht wissen, wie das Buch eigentlich enden wird. Es erfordert Mut, sich darauf einzulassen. Sind sie insgesamt ein mutiger Mensch?
In mancher Hinsicht ja – in anderer gar nicht. Ich habe Angst vor tiefem Wasser, würde nie von einer Klippe ins Meer springen und fahre furchtbar schlecht Fahrrad. Dafür bin ich mutig, was Veränderungen betrifft. Davor habe ich keine Angst, weil es mich eher beängstigt, wenn etwas immer gleichbleibt. Ich glaube einfach nicht, dass das dem Leben entspricht. Von daher könnte man auch sagen, dass ich eigentlich eher meiner Natur folge. Und die ist einfach so, dass ich mich gerne überraschen lasse, dass ich gerne etwas Neues habe.
Ist das Ihr Erfolgsgeheimnis beim Schreiben?
Als ich sehr jung war, hat mal jemand zu mir gesagt: „Du hast überhaupt keine Frustrationstoleranz“. Ich glaube heute, dass das wahrscheinlich eines meiner Geheimnisse ist. Das heißt, wenn ich ein Buch planen würde und dann schon klar wüsste, wo es endet, würde ich mich so zu Tode langweilen beim Schreiben, dass ich einfach nicht diszipliniert wäre. Also muss ich mich austricksen, indem ich nicht weiß, was passiert. Und bisher haben die Bücher mir immer gesagt, was passiert.
In gewisser Weise haben Sie Ihr Leben Kindern gewidmet. Gibt es besondere Momente, die Sie mit einem Ihrer kleinen Leser oder Leserinnen erlebt haben?
Oh, da gibt es wirklich unglaublich viele. Briefe von Eltern, die mir geschrieben haben, dass ihr todkrankes Kind immer „Drachenreiter“ vorgelesen bekommen wollte. Eine Soldatin, die im Irakkrieg war und von der ich gehört habe, sie habe immer „Tintentod“ gelesen und die Wüste überlebt. Ein indischer Teenager, der mir um den Hals gefallen ist und sagte „Sie sind meine Kindheit!“. Oder ein junger Mann, der auf der ComicCon in Seattle plötzlich vor mir stand und fragte „Sind Sie Cornelia Funke?“ und fast keine Luft mehr bekam, als ich das bejaht habe. Und der dann sagte, er habe als Kind Asthma gehabt und meine Bücher gelesen, wenn er im Bett bleiben musste. Das sind die Momente, in denen man selbst keine Luft mehr bekommt. Sehr kostbare Momente. Und ein Grund dafür, dass ich so gerne schreibe. Gleichzeitig erinnern einen solche Begegnungen auch immer wieder an die Verantwortung, die man als Geschichtenerzähler hat. Daran, dass man Geschichten schreiben muss, die zwar Schutz vor der Welt bieten, die Welt aber trotzdem auch spiegeln. Die dem Leser ein Gefühl von Sicherheit geben, ohne dass man etwas verschweigt. Das ist der Spagat – und der Antrieb.
Kommen wir zu einem weiteren emotionalen, wenn auch nicht ganz so emotionalen Thema: Dem Auto.
Das ist ein sehr emotionales Thema. Ich liebe mein Auto – ein rotes E-Klasse Cabrio namens Rosa. Es war das erste Auto, das ich mir selbst gekauft habe und das nicht mal mein Sohn fahren durfte. Ich hänge sehr an Rosa und bin traurig, weil ich sie nicht mit nach Italien nehmen kann. Italien erlaubt neuerdings nur noch Italienern ältere Autos einzuführen. Nun wird Rosa wohl eine Spende an die GO Campaign
Sie haben Ihren Führerschein erst sehr spät gemacht. Warum?
Ich glaube, ich war 47. Mein Vater ist nie Auto gefahren – wir hatten als Familie damals gar keins. Wir haben in einer Kleinstadt gelebt und sind eigentlich immer bei Freunden mitgefahren. Als ich nach Hamburg zog, gab es eine U-Bahn und ich konnte mir ohnehin kein Auto leisten. Später ist mein Mann gefahren und da wir alles zusammen gemacht haben, habe ich auch dann nicht Autofahren gelernt. Als mein Sohn noch ganz klein war, habe ich irgendwann mal mit dem Führerschein angefangen. Da ich in dieser Zeit kaum zum Schlafen kam, habe ich aber wieder aufgehört. Als wir schließlich in den USA waren und mein Mann starb, musste ich es lernen. Und das in L.A.! Und dann habe ich, während ich Autofahren lernte, gemerkt, dass eine große Leidenschaft da war.
Trotzdem kommen nicht viele Autos in Ihren Büchern vor.
Das stimmt. Weil sie meistens in anderen Zeiten spielen, in denen es (noch) gar keine Autos gibt. Bei den „Wilden Hühnern“ gab es mal einen alten Wohnwagen – aber ein Auto bislang tatsächlich noch nicht. Eigentlich müsste mal eine Geschichte zu Rosa geben - ich werde das mal im Hinterkopf behalten. [Lacht.]
Es heißt, Sie seien eine leidenschaftliche Schnellfahrerin. Stimmt das?
Ja, aber ich bin nicht „Reckless“! [Lacht.] Und versuche, dass mit meinem Umweltbewusstsein in Einklang zu bringen, was nicht leicht ist. Ich fahre gerne so schnell, wie das Auto es erlaubt, weil ich zugeben muss, dass ich durchaus eine Faszination für eine gut gebaute Maschine habe. Mich beeindruckt, was der Mensch mit der Maschine macht. Das war schon immer so. Mich haben daher auch schon immer all die Konzepte von künstlichem Leben fasziniert, was das wirklich bedeutet – und ob es eines Tages kommen wird, was ich glaube. Und es fasziniert mich heute noch, wie selbstverständlich der Mensch mit der Maschine funktioniert, wenn man in einem gut gebauten Auto sitzt. Das ist für mich etwas Unerklärliches: Diese seltsame Harmonie, die wir, glaube ich, alle kennen, wenn wir ein Auto fahren. Wie selbstverständlich die Maschine die Erweiterung von uns selbst wird. Wie viel Freude wir dabei empfinden können. Ich bin vor kurzem hier in die Berge gefahren. Das ist hier natürlich eine Szenerie, die spektakulär ist. In solchen Situationen fahre ich Rosa nicht zu schnell. Das muss man auch nicht, weil es so schön ist, dass man sich automatisch Zeit lässt. Aber auch in anderer Hinsicht kann einem die Maschine Glück bescheren, einfach dadurch, dass sie so tadellos funktioniert. Ich bin mal in einer brenzligen Situation gewesen. Und wie ich mich auf dieses Auto verlassen kann – also da muss ich, es hilft alles nichts, ein Loblied auf meine Rosa singen.
Wie wird sich Ihrer Meinung nach Mobilität in Zukunft entwickeln?
Ich glaube nicht, dass das Auto verschwinden wird. Deswegen können und müssen wir einfach nur versuchen, individuelle Mobilität nachhaltig zu machen. In unserer Massengesellschaft wird die Sehnsucht, alleine zu fahren, immer stärker, weil wir diese Privatzeit im Auto ja inzwischen fast als kostbar empfinden. Ich sehe das hier bei meiner Assistentin: Die fährt morgens eine Stunde zu mir. Und was sie in dieser Zeit alles hört und erfährt, wie sehr sie diese Zeit auch genießt, das ist ganz schwer zu ersetzen. Aber das gilt sicher nicht für alle Situationen. So sehr ich es mag, in den Bergen zu fahren, so wenig genieße ich den Stadtverkehr. Ich hätte im Stadtverkehr gerne Alternativen und würde mich da gerne in einen Zug setzen. Ich würde mir wünschen, dass Autos etwas Kostbares sind und sie auch so eingesetzt werden. Für etwas Besonderes. Und ich glaube, dann wäre es auch durchaus möglich, das mit der Umweltpolitik in Einklang zu bringen. Denn dass sie selbst in dichtem Stadtverkehr benutzt werden, halte ich für unverantwortlich. Das heißt, wir müssten im Grunde an einem öffentlichen Verkehrssystem arbeiten, das gleichzeitig dieses Gefühl von „privat“ möglich macht. Wobei es natürlich sein kann, dass wir nach COVID Sehnsucht nach Gesellschaft haben und uns plötzlich denken: „Eigentlich ist es doch schön, mit vielen Menschen in einem Zug zu sitzen und nicht ganz isoliert.“ Vielleicht hat sich durch die Pandemie ja in dieser Hinsicht etwas verändert?
Was wünschen Sie sich dahingehend vom Erfinder des Automobils?
Wenn ich heute noch das unbedarfte Mädchen wäre, das mit zwölf Jahren Astronautin werden wollte, würde ich jetzt natürlich sagen: ein fliegendes Auto. Das ist schon immer mein Traum gewesen. Als 62-jährige Frau, die betört ist von der Natur und all dem ist, was uns in Zukunft verloren gehen könnte, würde ich sagen: Autos wie meine Rosa, die ich weiterhin mit Freude und dann auch mit gutem Gewissen fahren kann, weil sie keinen negativen Einfluss auf die Umwelt haben.