„Transparenz ist der erste Schritt für mehr Klimaschutz.“

„Transparenz ist der erste Schritt für mehr Klimaschutz“.

Schneller und wirksamer CO₂ reduzieren – das ist die große Herausforderung der nächsten Dekade. Welche Rolle spielen Unternehmen wie Mercedes-Benz dabei? Im Interview diskutieren Maxfield Weiss, Executive Direktor bei CDP Europa, und Timo Brechenmacher, Mercedes-Benz AG aus dem Bereich strategische Nachhaltigkeit für die Lieferkette, über die Macht der Daten und das Potenzial einer auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Lieferkette.

Lassen Sie uns folgendes Szenario durchspielen: Jedes Unternehmen innerhalb einer Wertschöpfungskette würde ernsthaft daran arbeiten, die eigenen CO₂-Emissionen zu senken. Wäre das nicht genug, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen?

Timo Brechenmacher: Vermutlich wäre das so. Klimaschutz sollte ein fester Bestandteil jeder unternehmerischen Geschäftsstrategie sein. Deshalb ist es uns wichtig, neben unseren eigenen Klimaschutzmaßnahmen auch all unsere Geschäftspartner für den Klimaschutz zu sensibilisieren und sie dazu anzuhalten, eigene Maßnahmen umzusetzen. An diesem Punkt arbeiten wir mit CDP zusammen, denn um unser Ziel einer CO₂-neutralen Lieferkette bis spätestens 2039 zu erreichen, benötigen wir aussagekräftige Informationen zum CO₂-Fußabdruck unserer Lieferanten. Transparenz ist der erste Schritt für mehr Klimaschutz.

Über CDP

Die non-profit Organisation CDP betreibt ein globales System zur Offenlegung von Umweltdaten. CDP bewertet die Umweltleistung von Unternehmen und liefert den Kapitalmärkten und Unternehmen Daten, die sie für eine umfassende und umweltbezogene Entscheidungsfindung benötigen. Derzeit nutzen über 10.000 Unternehmen, Städte, Regionen und Staaten CDP zur Offenlegung von Umweltdaten. Zudem ist CDP Gründungspartner der 2015 gegründeten Science Based Targets Initiative (SBTi), die Unternehmen und Finanzinstituten einen Rahmen bietet, um Emissionsziele entsprechend dem Grad der Dekarbonisierung festzulegen, der erforderlich ist, um die Temperaturziele des Pariser Abkommens zu erreichen. Mehr Informationen (auf Englisch) finden Sie hier. 

Maxfield Weiss: Aus meiner Sicht ist die Offenlegung von Umweltdaten tatsächlich die entscheidende Handlungsgrundlage. Nur was gemessen wird, wird auch gemanagt, wie es so schön heißt. Das ist die Aufgabe, der wir uns bei CDP gestellt haben, und die wir seit 20 Jahren erfolgreich bearbeiten. Wir haben die Offenlegung und die Verfügbarkeit von vergleichbaren Daten vorangetrieben und damit auch ehrgeizigere Maßnahmen gegen die Umweltkrise ermöglicht. Wir unterstützen Einkäufer*innen in Unternehmen, die Kapitalmärkte und Regierungen dabei, den Übergang zu einer klima- und ressourcenschonenden Wirtschaft zu beschleunigen.

Timo Brechenmacher: Es gibt noch einen weiteren Aspekt, warum Offenlegung und Transparenz so relevant sind. Wer erst einmal damit beginnt, einen jährlichen Fortschrittsbericht zu veröffentlichen, will nicht hinter den bisherigen Erfolgen zurückbleiben. Wer sich Ziele setzt, will sicherstellen, sie zu erreichen. Das verdeutlicht die Macht von Daten und zeigt, wie Transparenz zum Handeln führen kann.

Maxfield Weiss: Das stimmt, dieser Zusammenhang lässt sich anhand von Zahlen belegen. Von den Lieferanten, die im Rahmen unseres Lieferkettenprogramms erstmals Daten offenlegen, setzen 38 Prozent Maßnahmen zur CO₂-Reduktion um. Bei denen, die zum dritten Mal berichten, sind es schon 69 Prozent. Das zeigt ganz klar, wie wichtig Transparenz ist.

In welchen Bereichen arbeiten Mercedes-Benz und CDP zusammen?

Maxfield Weiss: Mercedes-Benz übermittelt seit 2003 Daten an CDP und gehört zu den führenden Unternehmen in unseren jährlichen Umweltscores. Zudem arbeiten wir für Transparenz über den CO₂-Fußabdruck im Bereich der Lieferkette zusammen. Letzter Punkt, der uns verbindet: Mercedes-Benz hat seine Klimaschutzziele von der Science Based Targets Initiative bestätigen lassen und unterstützt damit die Ziele des Pariser Klimaabkommens.

Ganz praktisch: Wie sieht die Kooperation auf der operativen Ebene aus?

Timo Brechenmacher: Hier sind zwei Bereiche zu unterscheiden. Wie Maxfield Weiss bereits ausgeführt hat, beteiligt sich Mercedes-Benz seit mehr als 15 Jahren am Offenlegungssystem von CDP, indem wir klimabezogene Daten teilen. Dahinter steht ein strukturierter Prozess auf Basis eines komplexen Fragebogens, mit dem wir unsere eigenen klimabezogenen, qualitativen und quantitativen Informationen berichten. Das passiert bei den Kolleg*innen im Konzernumweltschutz.

Im Rahmen des Lieferkettenprogramms gehen wir außerdem ganz konkret zum Thema CO₂-Emissionen mit unseren Lieferanten in den Austausch. Wir informieren über das Programm, motivieren zur Teilnahme und stellen sicher, dass sie CDP die dafür notwendigen Informationen übermitteln. CDP unterstützt die Teilnehmer bei der Zusammenstellung der Informationen und erklärt die entsprechenden Standardabläufe. CDP stellt uns die aufbereiteten Ergebnisse zur Verfügung und bewertet die Ausführlichkeit, Transparenz sowie das Engagement des Unternehmens in Nachhaltigkeitsaspekten. Auf diese Weise können wir sehen und verstehen, was unsere Lieferanten konkret für den Klimaschutz tun, und wie aktiv sie bereits sind.

Transparenz in der Lieferkette zielt also auch darauf ab, eigene Maßnahmen besser zu planen?

Maxfield Weiss: Ich sehe unseren Fragebogen als ein Rahmenwerk, das natürlich mit den Aspekten Transparenz und Offenlegung startet. Er kann aber auch als eine Zusammenstellung von Leitlinien verstanden werden, und ist auf die TCFD-Empfehlungen  (Task Force on Climate-related Financial Disclosures) für eine bessere klimabezogene Finanzberichterstattung abgestimmt. Diese Leitlinien basieren auf den Erwartungen der Stakeholder und den Informationen, die die Unternehmen brauchen, um die Chancen und Risiken in ihrer Lieferkette zu verstehen. Zudem bietet er Investoren die Informationen, die sie benötigen, um die Auswirkungen ihrer Investitionsentscheidungen beurteilen zu können. Daher wünschen wir uns, dass Unternehmen den CDP-Fragebogen nicht nur als ein Evaluierungsmittel betrachten, sondern als Hilfsmittel zur Organisation und Strukturierung ihrer Unternehmensentscheidungen.

Wo fallen die höchsten CO₂-Emissionen in der Produktion an?

Maxfield Weiss: Emissionen, die in der Lieferkette entstehen, sind im Durchschnitt elfmal höher als die direkten Emissionen eines Unternehmens. Denn die Emissionen aus den vorgelagerten Stufen des Produktionsprozesses sind häufig höher als die direkten Emissionen aus der Produktion. Das sollte in der strategischen Maßnahmenplanung berücksichtigt werden, um Geschäftsrisiken zu vermeiden, die mit Umweltauswirkungen innerhalb der Lieferkette zusammenhängen.

Timo Brechenmacher: Die Betrachtung des gesamten Lebenszyklus wird auch angesichts der wachsenden Zahl von Elektrofahrzeugen immer wichtiger. Mit Blick auf die Lieferkette rücken damit die Emissionen im Herstellungsprozess bei den Lieferanten in den Fokus, wie sie beispielsweise bei der Batteriezellenherstellung und beim Abbau und der Weiterverarbeitung der Batterierohstoffe entstehen. Weitere Fokusthemen sind die Produktion und Weiterverarbeitung von Stahl, Aluminium und Polymeren.

Welche positiven Einflussmöglichkeiten hat Mercedes-Benz in energieintensiven Bereichen der Wertschöpfungskette, wie der Stahl- oder Aluminiumproduktion?

Timo Brechenmacher: Mit der Ambition 2039 wollen wir bei Mercedes-Benz über die gesamte Wertschöpfungskette CO₂-neutral sein. Dieses Ziel erreichen wir nur zusammen mit unseren Lieferanten. Daher haben wir unsere Lieferanten mit einem ‚Ambition Letter‘ aufgefordert, unsere ehrgeizigen Klimaziele mitzutragen und uns bis 2039 nur noch mit CO₂-neutralen Produkten zu beliefern. Bisher haben über 89 Prozent der Lieferanten gemessen am Einkaufsvolumen  zugestimmt. Damit machen wir CO₂-Neutralität zu einem wichtigen Kriterium innerhalb unserer Beschaffungsprozesse und für Auftragsvergaben: Unterzeichnet ein Lieferant den Ambition Letter nicht, wird er bei Neuvergaben nicht berücksichtigt.

Zudem beteiligen wir uns als erster Pkw-Hersteller am schwedischen Startup „H2 Green Steel“ und werden künftig CO₂-freien Stahl in unseren Serienfahrzeugen einsetzen. Ein wichtiger Meilenstein, wenn man überlegt, dass eine Limousine von Mercedes-Benz im Durchschnitt zur Hälfte aus Stahl besteht. Darüber hinaus verfolgen wir gemeinsam mit allen unseren Stahllieferanten das Ziel einer grünen Stahllieferkette.

Ganz nach dem Motto: Beschaffung bedeutet Macht?

Timo Brechenmacher: Natürlich spielt der Einkauf bei der nachhaltigen Transformation unseres Unternehmens eine wichtige Rolle. Um den technologischen Wandel voranzutreiben, Technologien stetig zu optimieren und unsere weltweiten Klimaziele zu erreichen, setzen wir auf langfristige und vertrauensvolle Lieferantenbeziehungen. Mit zwei strategischen Partnern für Batteriezellen haben wir den Bezug von Batteriezellen und Modulen aus CO₂-neutraler Fertigung vereinbart, die wir erstmals beim EQS einsetzen.

Maxfield Weiss: Positive Einflussmöglichkeiten durch Kooperation sehen wir auch im Bereich der Klimaziele selbst. Unternehmen, die ihre exponierte Stellung dazu nutzen, wissenschaftsbasierte Ziele festzulegen und andere Unternehmen bei der Einführung eines Best-in-Class-Ansatzes unterstützen, bestärken uns darin. Organisationen, die frühzeitig handeln und sich auf ein wissenschaftsbasiertes Ziel festlegen, können im Hinblick auf künftige Stakeholdererwartungen einen Schritt voraus sein.

Sind verkürzte Lieferketten, weil weniger Akteure involviert sind, ein Weg zu mehr Nachhaltigkeit?

Maxfield Weiss: Kürzere Lieferketten verringern die Anzahl an Lieferanten, die ein Unternehmen managen muss, und fördern somit einen direkteren Austausch. Das versetzt die Einkäufer*innen zugleich in die Lage, mehr Einfluss auf die Einhaltung von Umweltstandards zu nehmen und Geschäftspartner beim Aufbau entsprechender Kompetenzen zu unterstützen. Andererseits gibt es entlang internationaler Lieferketten ein enormes Potenzial für Automobilhersteller wie Mercedes-Benz, Akteure des Wandels zu sein. In Ländern, in denen Nachhaltigkeitsstandards allenfalls unzulänglich durchgesetzt werden oder überhaupt nicht vorhanden sind, sind die Nachhaltigkeitsanforderungen von Geschäftspartnern möglicherweise eine Möglichkeit für verbindliche Standards. Wenn sich Unternehmen aus solchen Ländern zurückziehen, kann das dazu führen, dass zahlreiche Lieferanten Umweltdaten nicht mehr berichten und die eigenen Minderungsziele vernachlässigen.

Wie zuversichtlich sind Sie, dass wir als Weltgemeinschaft das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 erreichen?

Timo Brechenmacher: Ich bin zuversichtlich. Und die Einstellung meiner Kolleginnen und Kollegen motiviert mich sehr. Es kommen viele auf uns im Einkauf zu, weil sie in ihrem Geschäftsbereich etwas dazu beitragen möchten. Bei unseren Lieferanten kann ich denselben Einsatz erkennen. Unsere Ambition 2039 ist langfristig ausgelegt, und ich bin optimistisch, dass wir sie erreichen.

Maxfield Weiss: Die Anzahl der Unternehmen, die an CDP berichten, ist seit der Unterzeichnung des Pariser Abkommens um erfreuliche 70 Prozent gestiegen. Zudem schätzt die Bank of America, dass das nach ESG-Kriterien investierte Vermögen in den nächsten 20 Jahren um 20 Billionen Dollar anwachsen könnten. Das ist sehr vielversprechend. Investitionen in den Klimaschutz spielen dabei eine tragende Rolle. Dennoch müssen wir, seien es Unternehmen oder Organisationen, unsere Umweltschutzmaßnahmen dringend hochfahren und deutlich schneller werden. Das Engagement für ein wissenschaftsbasiertes Ziel und der daraus resultierende Reduktionspfad weisen den Weg.