Auf dem Weg zu Lösungen für die mobile Zukunft.

Im Gespräch mit Ola Källenius, Daimler-Vorstandsmitglied für Konzernforschung & Mercedes-Benz Cars Entwicklung, und Renata Jungo Brüngger, Daimler-Vorstandsmitglied für Integrität und Recht.

Daimler hat seine Nachhaltigkeitsstrategie neu justiert. Worum ging es Ihnen dabei?

Renata Jungo Brüngger: Damit Nachhaltigkeitsaktivitäten eine substanzielle Wirkung haben, muss man sie regelmäßig überprüfen und an aktuelle Entwicklungen anpassen. Wir sind dazu zum Beispiel kontinuierlich mit unseren Stakeholdern im Austausch. Gerade im persönlichen Kontakt bekommen wir offenes Feedback und wertvolle Hinweise zu unseren Nachhaltigkeitsaktivitäten. Maßgeblich für die Weiterentwicklung sind unsere Selbstverpflichtungen, die uns dauerhaft begleiten, sowie die Umsetzung der UN Sustainable Development Goals (SDGs). Dabei haben wir uns auf die Nachhaltigkeitsziele fokussiert, die durch unser Geschäftsmodell und unsere Wertschöpfungskette beeinflusst werden und bei denen wir tatsächlich Veränderungen bewirken können. Ergebnis dieser 360-Grad-Betrachtung ist unsere „Nachhaltigkeitsstrategie 2030“.

Also ein neuer und präziserer Fokus, aber kein grundsätzlich neuer Weg?

Ola Källenius: So ist es. Unser Engagement entspricht den Prinzipien und Werten, an denen wir uns schon lange orientieren. Eine grundlegende Richtschnur für unsere Geschäftsstätigkeit stellen zum Beispiel die zehn Prinzipien des UN Global Compact dar, dem wir als Gründungsteilnehmer besonders verbunden sind. Er ist als internationaler Referenzrahmen eine wichtige Grundlage für unsere internen Grundsätze und Richtlinien.

... zu denen auch die Achtung der Menschenrechte gehört?

Renata Jungo Brüngger: Richtig, die Achtung und Wahrung der Menschenrechte ist für Daimler von grundlegender Bedeutung. Zu den fünf Sustainable Development Goals, auf die wir uns konzentrieren, zählt deshalb auch „Menschenwürdige Arbeit“. Wir haben für den Schutz der Menschenrechte einen Ansatz entwickelt, der systematische Kontrollen vorsieht, das Human Rights Respect System. Mit diesem Ansatz prüfen wir sowohl unsere eigenen Gesellschaften als auch unsere Lieferketten auf menschenrechtliche Risiken. Wir schaffen damit auch über unsere direkten Zulieferer hinaus Transparenz und leiten wo nötig entsprechende Maßnahmen ein.

Im Zuge der öffentlichen Debatte um den Diesel ist auch Daimler in die Kritik geraten. Was setzen Sie dem entgegen?

Renata Jungo Brüngger: In der öffentlichen Wahrnehmung hat die Automobilindustrie Vertrauen verloren, das ist richtig. Auch deswegen haben wir selbst ein Interesse daran, Transparenz und Klarheit herzustellen. Deshalb kooperieren wir vollumfänglich mit den Behörden. Gleichzeitig leisten wir einen signifikanten Beitrag, um die Luftqualität in den Städten zu verbessern. So wollen wir auch zeigen, dass wir Teil der Lösung sind. Dabei setzen wir auf technische Innovation, die wir für zielführender halten als Fahrverbote.

Genügt das, um Vertrauen zurückgewinnen?

Ola Källenius: Wir haben ein ganzes Paket von Maßnahmen aufgelegt, um die Emissionen im Fahrbetrieb auf der Straße schnell und effektiv zu reduzieren. Dazu gehören vor allem freiwillige Software-Updates. Für diese Updates können wir auf unsere inzwischen umfangreichen Erfahrungen aus dem Feld und der Entwicklung unserer neuen Motorengeneration zurückgreifen. Bei der ganz überwiegenden Zahl unserer Diesel werden wir die NOX-Emissionen im realen Fahrbetrieb deutlich reduzieren.

Wären nicht auch Veränderungen am Fahrzeug sinnvoll?

Ola Källenius: Damit ist keine kurzfristige Verbesserung möglich. Man muss sich klar machen: Es geht um mehrere Hundert Fahrzeugkonfigurationen, und sehr oft ist nicht genug freier Bauraum vorhanden. Hinzu kämen Entwicklungs- und Absicherungszeiträume von drei bis fünf Jahren. Unter diesen Voraussetzungen ließen sich mit Hardwareänderungen schnelle und weitreichende Verbesserungen nicht erreichen, zumal es um bereits in Kundenhand befindliche Fahrzeuge geht.

Ist die Elektromobilität der Weg aus dem Dilemma? Daimler investiert ja massiv in den emissionsfreien Antrieb.

Ola Källenius: Langfristig geht es ohne Zweifel in Richtung Null-Emissions-Mobilität. Wir haben den Schalter bereits umgelegt und investieren rund 10 Milliarden Euro, um den Anteil der Elektrofahrzeuge in unserer Flotte zu erhöhen. Zu unserer batterieelektrischen Pkw-Modellfamilie der Marke EQ ist 2017 der EQA hinzugekommen, ein Konzeptfahrzeug auf Basis der A-Klasse. Unser Portfolio an Plug-in-Hybriden bauen wir konsequent weiter aus. Dazu gehört auch der GLC F-CELL(Vorserienmodell vorgestellt auf der IAA 2017): Die ersten Exemplare dieses SUV mit Brennstoffzellenantrieb und Batterie gehen 2018 an Kunden. Ebenfalls ab 2018 ist der eVito lieferbar, ein vollelektrischer Serien-Van. Ihm werden der eSprinter und der eCitan folgen. Bei den Trucks haben wir den ersten vollelektrischen Leicht-Lkw in einer Kleinserie bereits auf der Straße: der Fuso eCanter ist der erste Vertreter unserer neuen Elektromarke E-FUSO. Und 2021 will Mercedes-Benz mit dem eActros nachziehen, dem ersten Elektro-Lkw für den Verteilerverkehr ab 18 Tonnen.

Viele Kunden sind in puncto E-Mobilität bis jetzt noch zögerlich.

Renata Jungo Brüngger: Je höher die Reichweite der Autos und je besser die Ladeinfrastruktur ist, umso schneller wird der Durchbruch der Elektromobilität kommen. Natürlich spielt auch der Preisunterschied zu Fahrzeugen mit klassischem Verbrenner eine Rolle. Wir arbeiten intensiv an höheren Reichweiten. Die Batteriezellen, die Ende des Jahrzehnts auf den Markt kommen, werden eine wesentlich höhere Energiedichte aufweisen als heutige Produkte. Und sie werden die E-Autos deutlich günstiger machen. Das Thema Ladeinfrastruktur gehen wir zum Beispiel im Gemeinschaftsunternehmen IONITY an, in dem wir zusammen mit anderen Automobilherstellern bis Ende 2020 eine flächendeckende Ladeinfrastruktur in Europa aufbauen wollen. Ich bin sicher, dass die Nachfrage nach Elektroautos steigen wird.

Ola Källenius: Dann wird die Elektromobilität ihre Vorteile voll ausspielen können. Elektrofahrzeuge müssen für uns attraktive Fahrzeuge sein. Nicht nur die Reichweite ist wichtig, es zählen auch Fahrspaß, Sicherheit, Service, Vernetzung und Alltagstauglichkeit. Unsere Marke EQ bietet das alles. EQ umfasst ein komplettes elektromobiles Ökosystem aus Produkten, Dienstleistungen und innovativen Technologien. Das reicht vom Fahrzeug über Wallboxen und Ladeservices bis hin zum stationären Batteriespeicher für zu Hause.

Sind Sie auf einen Nachfrageboom vorbereitet?

Ola Källenius: Wir investieren sehr stark in weitere Produktionskapazitäten. Allein in den globalen Ausbau unserer Batterieproduktion für Elektroautos und Plug-in-Hybride stecken wir eine Milliarde Euro. In China errichtet Beijing Benz Automotive (BBAC), unser Joint Venture mit der chinesischen BAIC Motor Corporation, zurzeit ein Batteriewerk. Es wird die Basis für die lokale Produktion von Elektrofahrzeugen schaffen. Auch im US-amerikanischen Tuscaloosa entsteht ein Batteriewerk. Und am Standort unserer Tochter ACCUMOTIVE im sächsischen Kamenz bauen wir bereits die zweite Batteriefabrik, eine der modernsten und größten in Europa. Daneben setzen wir unsere Elektrooffensive in der Fahrzeugproduktion fort. Mit den Werken Bremen, Sindelfingen, Rastatt und Hambach besitzen wir bereits vier Kompetenzzentren für die Herstellung von Elektrofahrzeugen. Zudem entwickeln wir das Werk Untertürkheim zum Hightech-Standort für Elektrokomponenten weiter. Auch das Werk Hamburg wird künftig an der Produktion von EQ-Serienfahrzeugen beteiligt sein.

Wann wollen Sie Fahrzeuge auf die Straße bringen, die voll automatisiert fahren?

Ola Källenius: Bis zur Marktreife solcher Fahrzeuge bedarf es technisch noch einiger Entwicklungsschritte bei der Sensorik, beim Kartenmaterial und bei der künstlichen Intelligenz. Auch gesetzliche und gesellschaftliche Hürden sind noch zu überwinden. Ich denke aber, zwischen 2020 und 2025 werden wir dem Ziel schon recht nahekommen.

Renata Jungo Brüngger: Auch auf internationaler Ebene besteht noch Handlungsbedarf. Fortschritt darf nicht an nationalen Grenzen haltmachen. Deshalb setzen wir uns für eine internationale Harmonisierung der Gesetze zum automatisierten und autonomen Fahren ein. Die Klärung rechtlicher und ethischer Fragen ist Voraussetzung für die Akzeptanz der neuen Technik in der Gesellschaft.

Ein wichtiger Aspekt beim Thema Vernetzung und autonomes Fahren: Wie halten Sie es mit dem Datenschutz?

Renata Jungo Brüngger: Unsere Kunden können sich darauf verlassen, dass dem Datenschutz in unseren Fahrzeugen ein hoher Stellenwert zukommt. Wir setzen dabei auf einen ganzheitlichen Ansatz: Zum einen ermöglichen Daten neue Dienste und Services und bieten damit einen Mehrwert für unsere Kunden – denken Sie beispielsweise an die Möglichkeit, künftig schneller einen Parkplatz zu finden, wenn Autos den Standort von Parklücken teilen. Gleichzeitig ist der verantwortungsvolle Umgang mit Daten Teil unserer Corporate Digital Responsibility. Dabei setzen wir auf Transparenz, Selbstbestimmung und Datensicherheit. Schon bei der Entwicklung von neuen Diensten und Produkten setzen sich Ingenieure mit den Kollegen des Konzerndatenschutzes und des Rechtsbereichs an einen Tisch, um zusammen Lösungen zu finden. Gerade für das vernetzte Fahren ist Datenschutz ein zentraler Faktor, auch für die Akzeptanz dieser Technologie beim Kunden.

Die Mobilität von morgen folgt neuen Spielregeln. Muss sich mit dem Wandel im Geschäft nicht auch die Arbeitswelt im Unternehmen verändern?

Renata Jungo Brüngger: Wir sind bereits mittendrin. Daimler wandelt sich vom Automobilhersteller zum Mobilitätsdienstleister und wir bauen in Feldern Expertise auf, die weit über unser bisheriges Kerngeschäft hinausgehen. Das hat auch Auswirkungen auf die Unternehmenskultur. Wir wollen eine Kultur der Zusammenarbeit, die uns auch in Zukunft erfolgreich macht. Dafür haben wir 2016 unsere konzernweite Initiative Leadership 2020 gestartet. Mit ihr stoßen wir einen Kulturwandel an, bewahren aber gleichzeitig unsere traditionellen Unternehmenswerte wie Integrität. Im Rahmen von Leadership 2020 haben sich Mitarbeiter und Führungskräfte aller Ebenen Prozesse der Personalentwicklung und Entscheidungsfindung angeschaut, ebenso wie Organisationstrukturen, Arbeitsmethoden und Tools. Es ist beeindruckend, welche Maßnahmen dabei herausgekommen sind und welche schon jetzt umgesetzt wurden. Beispielsweise arbeiten viele Kollegen inzwischen in Swarms zusammen, das funktioniert sehr gut.

Wie wirkt sich dieser Wandel auf die Beziehung zu Ihren Stakeholdern aus?

Renata Jungo Brüngger: Der Austausch mit unseren Stakeholdern ist und bleibt für uns sehr wichtig. Wir haben dafür Formate entwickelt, die sich als sehr erfolgreich und nachhaltig erwiesen haben. Ein wichtiges Instrument ist der „Daimler Sustainability Dialogue“. Dabei kommen einmal im Jahr Stakeholder mit Vertretern unseres Vorstands und Managements zusammen. Wir diskutieren ganz offen in Arbeitsgruppen und nehmen selbstverständlich auch kritisches Feedback entgegen. Gleichzeitig geben wir unseren Stakeholdern Einblicke, was der Wandel der Automobilindustrie für uns bedeutet. Die Anregungen der externen Teilnehmer nehmen wir auf, treiben gemeinsam die Umsetzung vereinbarter Ziele voran und berichten über die erreichten Fortschritte. 2017 haben wir in Stuttgart die zehnte und bislang größte Veranstaltung dieser Art durchgeführt. Wir organisieren den „Daimler Sustainability Dialogue“ aber auch in anderen Ländern. In China fand er 2017 zum Beispiel zum fünften Mal statt. Weitere Veranstaltungen gab es bisher in Japan, Argentinien und den USA.