Verantwortungsvoll investieren – das ist die Idee hinter dem Konzept von ESG: Investoren orientieren sich nicht nur am finanziellen Erfolg von Unternehmen, sondern auch an deren Leistungen in den Bereichen Umwelt, Soziales und Corporate Governance. Ein Gespräch mit Andreas Kusche, IR-Manager bei Daimler, und Dr. Rupini Deepa Rajagopalan, Leiterin des ESG Office der Privatbank Berenberg, über die Bedeutung nachhaltiger Investments, persönliches Engagement und die Rolle von Wirtschaftsunternehmen.
Frau Rajagopalan, mit gerade einmal 33 Jahren haben Sie nicht nur Ihren Doktortitel in der Tasche. Sie hatten bereits eine Junior-Professur inne und leiten jetzt das ESG-Office einer der traditionsreichsten Banken der Welt. Was treibt Sie an?
Ich habe mich schon in meiner Jugend für Zahlen begeistert. Deshalb hatte ich mich früh für eine Karriere im Bank- und Finanzwesen entschieden. Während meines Masterstudiums in Schottland bin ich erstmals mit Nachhaltigkeitsthemen in Kontakt gekommen. Ich war schnell fasziniert von der Idee, dass auch der Finanzsektor zu einer besseren Welt beitragen könnte. Deshalb habe ich mich bei meiner anschließenden Promotion an der Universität Reading (England) auch auf das Thema konzentriert. Nach der Promotion wurde ich Junior Professorin für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Hamburg, bis ich mich 2018 dazu entschied, wieder in den Finanzsektor zurückzukehren. So kam ich zu Berenberg.
…und damit zu einer Hamburger Privatbank, die eine große Historie in Bezug auf Nachhaltigkeit hat. Was genau machen Sie dort?
Seit März 2018 leite ich hier das ESG-Office. Die Abkürzung ESG steht für Umwelt/ Environment (E), Soziales (S) und Corporate Governance (G). Diese nicht-finanziellen Kriterien dienen der Bewertung von Investitionen oder Unternehmenspraktiken. ESG-Informationen werden von Finanzmarktakteuren, also Pensionsfonds oder Vermögensverwaltern, zusätzlich zur fundamentalen und wirtschaftlichen Analyse verwendet. Ziel ist es, Risiko und die Rendite bei Investitionen in Unternehmen zu verstehen. Ein langfristig orientiertes Unternehmen hat letztlich ein intrinsisches Interesse, nachhaltig zu agieren, weil so zum Beispiel Risiken und Kosten reduziert werden.
Herr Kusche, Sie verantworten die Kapitalmarktkommunikation bezüglich ESG bei Daimler. Hat die Bedeutung von Nachhaltigkeit bei Investoren zugenommen?
Wir sehen in der Tat auf Kapitalmarktseite ein gesteigertes Interesse an Fragestellungen rund um das Thema Nachhaltigkeit. Dabei ist die Bandbreite der Themen riesig. Für den Automobilsektor sind vor allem der Klimaschutz und damit die Reduktion von CO2-Emissionen, die Schonung von Ressourcen und die Transparenz in unseren Lieferketten die zentralen Gesprächsthemen. Immer verbunden mit der Frage nach der operativen Umsetzung. Letztlich geht es uns darum, gemeinsam mit den Investoren zu schauen, was ihnen bei der Bewertung von Nachhaltigkeit bei Unternehmen hilft. Für unsere Investoren sind ESG-Faktoren immer mehr ein Instrumentarium zur Bewertung der Risiken in ihren Portfolios. Die EU geht hier mit ihrem „Green Deal“ und dem „Aktionsplan für die nachhaltige Finanzierung von Wachstum“ ganz klar voran.
Wie wirkt sich das bei Daimler konkret aus?
Nun, die Anzahl der Anfragen mit ESG-Bezug ist bei uns in den letzten ein, zwei Jahren merklich gestiegen. Gerade auch von institutionellen Investoren nimmt das Interesse zu. Ein Beleg dafür ist das diesjährige Schreiben von BlackRock an die CEOs der von ihnen gehaltenen Unternehmen. BlackRock als weltgrößter Vermögensverwalter sieht Klimarisiken als Investitionsrisiko, fordert von den Unternehmen dem Klimawandel aktiv zu begegnen und richtet zukünftig sein Abstimmungsverhalten auf den Hauptversammlungen daran aus.
Frau Rajagopalan, wenn Sie ein Unternehmen nach ESG-Kriterien bewerten müssen, wie gehen Sie vor?
Es gibt verschiedene Wege der ESG-Integration. Das beginnt etwa mit Ausschlusskriterien, durch die wir bestimmte Produkte, Sektoren und Staaten von vornherein ausschließen. Das bekannteste Beispiel dafür sind sicherlich die Hersteller von Landminen. Dazu gehört aber auch, nicht in Unternehmen zu investieren, die etwa gegen die zehn Prinzipien des UN Global Compact zu Menschenrechten, Arbeit etc. verstoßen. Darüber hinaus tauschen wir uns direkt mit den Unternehmen zu Umwelt-, Sozial- und Governance-Themen aus und verwenden ESG-Scores, um potenzielle Auswirkungen auf die Performance von Unternehmen und Ländern zu identifizieren. Immer öfter, beispielsweise, wenn kleinere Unternehmen aus Kapazitätsgründen keine Offenlegung ihrer Daten leisten können, führen wir eigene Analysen im direkten Kontakt mit den Unternehmen durch. So können wir wirklich nachhaltige Unternehmen identifizieren und auch die uns zur Verfügung gestellten Informationen überprüfen.
Herr Kusche, welche konkreten Nachhaltigkeits-Initiativen bei Daimler würden Sie einem potenziellen ESG-Investor nennen?
Ganz klar im Fokus steht derzeit die „Ambition2039“ für Mercedes-Benz und der Weg zum CO2-freien Güterverkehr bei Daimler Trucks. Die Erreichung unserer CO2-Emissionsziele ist kurzfristig, aber auch mittel- und langfristig das entscheidende Kriterium für unseren Beitrag zu den Klimazielen von Paris, zu denen wir uns verpflichtet haben. Hier müssen wir uns in den nächsten Jahren beweisen und unsere Ambition mit Handeln untermauern. Gerade der ganzheitliche Ansatz im Rahmen der „Ambition2039“ ist dabei entscheidend. Hier können wir heute schon mit Blick auf die Umsetzung gute Beispiele nennen, wie unsere CO2-neutralen Produktionsstätten in Hambach oder in Jawor.
Und in Zukunft?
…werden Batterietechnologien und deren Einfluss auf den Einsatz von Risikomaterialien eine entscheidende Rolle spielen. Eng damit verbunden ist die Achtung von Menschenrechten in unseren Lieferketten und das Recycling der Batterien. Gerade die Komplexität von Lieferketten ist auch für Investoren immer wieder überraschend. Da helfen Instrumente wie unser Human Rights Respect System in der Kommunikation sehr.
Werden also Investoren in einigen Jahren nur noch auf unser Unternehmen setzen, wenn wir im Bereich Umwelt und Soziales mit Nichtregierungsorganisationen mithalten können?
Es ist ja nicht so, dass das Thema komplett neu ist. Nachhaltigkeitsthemen sind bei Daimler schon seit langer Zeit verankert. Zum Beispiel im Hinblick auf Umweltschutz, Energieeffizienz, die Ökobilanz unserer Fahrzeuge, aber auch soziale Themen wie Menschenrechte oder Diversität, um nur ein paar zu nennen. Mit unserer nachhaltigen Geschäftsstrategie als integralem Bestandteil der Konzernstrategie richten wir die unternehmerischen Entscheidungen direkt an Nachhaltigkeitskriterien aus. Aber natürlich geht es weiterhin darum, wirtschaftlich erfolgreich zu sein – auch im Interesse unserer Aktionäre. Immer wichtiger wird es daher werden, eine Antwort auf die Frage zu geben, wie gut wir auf den Klimawandel und die damit verbundenen physischen Risiken und Übergangsrisiken für unser Unternehmen und unser Geschäftsmodell vorbereitet sind. Aber es wird auch darum gehen, ob wir Chancen erkennen und ergreifen. Auf diesem Weg hilft uns auch der intensive Austausch mit Investoren, mit unseren Stakeholdern und mit NGOs.
Frau Rajagopalan, was ist Ihr Eindruck? Fragen Ihre Kunden tatsächlich nach ESG-Produktportfolios, weil sie sich mit dieser Denkweise identifizieren, oder weil behauptet wird, dass nachhaltige Produktportfolios tatsächlich mehr Gewinn bringen?
Meiner Ansicht nach gibt es zwei Arten von Investoren. Da sind zum einen Investoren wie Kirchen und Stiftungen, die teilweise schon seit Jahrzehnten gemäß ihrer eigenen Wertvorstellungen investieren. Die wissen sehr genau, was sie wollen und was nicht. Zum anderen wächst aber inzwischen die Zahl der Anleger, die ihr Geld nicht nur vermehren wollen, sondern auch wissen wollen, in welche Unternehmen und Produkte sie investieren. Sie wollen nachhaltig investieren und suchen deshalb verstärkt nach ESG-Produkten oder nachhaltigen Strategien. Das Investment ist also kein Selbstzweck, sondern das Geld soll auch etwas erreichen. Dabei bedeutet nachhaltig zu investieren nicht, dass man auf die Rendite verzichten muss. Ich bin der festen Überzeugung, dass verantwortungsvolle oder nachhaltige Geschäftsmodelle sowie eine gute Corporate Governance dazu führen, dass Unternehmen langfristig erfolgreicher sind. Wenn Sie in unsere Fondsportfolien schauen, werden Sie qualitativ hochwertige Unternehmen finden, die nachhaltig agieren, sehr erfolgreich sind und es unserer Überzeugung nach auch weiter sein werden. Sie haben das Potenzial, langfristig den breiten Aktienmarkt zu schlagen, also Alpha für den Anleger zu generieren.
Engagieren Sie sich auch im Privaten für Nachhaltigkeit?
Ja, sehr stark. Ich glaube, die Leidenschaft für ESG darf nicht an der Bürotür enden. Vor kurzem habe ich den Frankfurter Standort von "Women in Sustainability" gegründet, ein professionelles Netzwerk für Frauen, die sich für eine positive Veränderung für eine nachhaltige Zukunft einsetzen.
Wie ist das bei Ihnen, Herr Kusche?
Bei dieser Frage habe ich immer die Aussage eines Klimaforschers, Anders Levermann, in Erinnerung, den ich einmal als Referent auf einer Nachhaltigkeitskonferenz erleben durfte. Er stellte sehr bildhaft dar, dass Verzicht keine Lösung für das Klimaproblem ist. Wenn wir in 30 Jahren das globale Ziel von Netto-Null CO2-Emissionen erreichen wollen, sind größere Anstrengungen erforderlich, als dies jeder Einzelne bewerkstelligen kann. Jede Teilhabe an unserer Gesellschaft ist mit CO2-Emissionen verbunden. Aber natürlich denke ich im Alltag zunehmend daran, welche Auswirkungen mein Handeln hat. Nicht zuletzt wird mir das bewusst, wenn ich meine zwei Söhne sehe, die auch 2100 noch einen lebenswerten Planeten vorfinden sollten.