Dr. Wolfram Heger

Wir lernen von unseren Kritikern.

Der 13. Daimler Sustainability Dialogue steht vor der Tür – erstmals digital, aber keineswegs weniger bedeutsam: der Klimawandel, die globale Pandemie und eine massive Debatte über Rassismus befeuern den weltweiten Diskurs. Alles ist in Bewegung: Menschen gehen auf die Straße, die Präsidentschaftswahl in den USA steht kurz bevor. Zur selben Zeit muss sich die Automobilbranche neu erfinden, um den Weg für die emissionsfreie Mobilität freizumachen. Der Anspruch „Build back better“¹ steht im Raum – wie das gelingen kann, darum wird es wohl auch bei unserem Dialog mit Vertretern aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft Anfang November gehen. Wer diese Runde nicht verpassen will, der kann hier einen von 50 Zugängen zur Paneldiskussion gewinnen. Quasi zum Aufwärmen haben wir mit einem Wegbereiter des Stakeholder-Dialogs, Dr. Wolfram Heger, darüber gesprochen, warum der kritische Austausch für Daimler so wichtig ist.

Herr Dr. Heger, Sie begleiten den Stakeholder-Dialog bei Daimler seit zwölf Jahren – wie kamen Sie eigentlich zum Daimler Sustainability Dialogue – oder er zu Ihnen?

Ich gehöre quasi zum Inventar des Dialogs. Manche sagen vielleicht auch ich sei ein Dinosaurier, weil ich mich schon sehr lange vor dem ersten Dialog 2008 für den Dialog mit Stakeholdern eingesetzt habe. Schon damals war ich davon überzeugt, dass ein solcher Austausch mit der Zivilgesellschaft unverzichtbar ist – aber es gab noch nicht das richtige Format dafür. Sie müssen wissen: Zu der Zeit haben einige Gruppierungen wie beispielsweise Nichtregierungsorganisationen (NGO’s) und unser Unternehmen einfach nicht miteinander gesprochen. Das wollten und mussten wir ändern.

Gesagt, getan?

Genau, nur ganz so schnell ging es nicht. Im ersten Schritt mussten meine Kollegen und ich erstmal darlegen, warum ein Dialogformat für uns der richtige Weg ist. Wir haben zu Anfang auch Gegenwind bekommen. Doch schließlich waren alle davon überzeugt, dass der Dialog – auch mit unseren Kritikern – gewinnbringend ist. Dieser Vision folgen wir heute noch. Und übrigens nicht nur wir: Auch für viele unserer Stakeholder gehört der Daimler Sustainability Dialogue fest ins Herbstprogramm.

Warum ist der Dialog für uns wichtig?

Ich bin fest davon überzeugt, dass dieses Format dazu beiträgt, uns zukunftsfähig zu machen. Denn viele Rahmenbedingungen, die unser Kerngeschäft maßgeblich bestimmen, werden zunehmend in der Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Stakeholdern entwickelt. Deshalb brauchen wir den Dialog. Dabei bringt es uns weiter, wenn Daimler nicht nur positiven Stimmen zuhört. Ein Unternehmen, das in der Mitte der Gesellschaft steht, braucht den Austausch mit seinem gesamten Umfeld. Das ist ganz wichtig, um einerseits zu erfahren, was auf unser Unternehmen zukommt und was von ihm erwartet wird. Zum anderen ist der Sustainability Dialogue ein Ort, an dem wir von Experten lernen können.

Was zeichnet den Daimler Sustainability Dialogue seit je her aus?

Er schafft einen Raum für Vertrauen. Dadurch, dass die Veranstaltung den „Chatham House Rules“² unterliegt, können alle Teilnehmer offen Probleme oder Dilemmata thematisieren, Lösungen diskutierten und wirklich etwas bewegen: Wie kommen wir nachhaltiger aus der Krise? Welche Weichen stellt die Politik? Oder auch, ganz aktuell, wie passen eigentlich Nachhaltigkeit und Luxus zusammen? Es ist ungemein wertvoll zu wissen, dass wir solche Fragen auf den Tisch legen können, auch wenn wir nicht immer nur Zustimmung erfahren.

Und bewegt sich dann wirklich etwas, wenn alle zu Wort gekommen sind?

Das ist genau das Ziel der Veranstaltung: Kontroverse Themen zu gemeinsamen Lösungen führen. Diese werden auf der Veranstaltung in Workshops erarbeitet. Experten von Daimler arbeiten in Kleingruppen mit den externen Teilnehmern zusammen, um konkrete Herausforderungen zu Menschenrechten, Datenverantwortung oder Umweltthemen zu beleuchten. Die vereinbarten Ziele werden dann unterjährig weiterverfolgt und auf dem Sustainability Dialogue im nächsten Jahr die Fortschritte vorgestellt. Das Format hat inzwischen auch in einem unserer wichtigsten Märkte Schule gemacht, zum Beispiel in China. Die Diskussionskulturen sind zwar in jedem Land andere, die Absicht bleibt aber die gleiche: In den Dialog treten, um gemeinsam und nachhaltig besser zu werden.

Welcher Dialog ist Ihnen besonders positiv in Erinnerung geblieben und warum?

Das ist nicht ein einzelner Dialog, sondern vielmehr das, was wir gemeinsam über die Jahre erreicht haben: Wir konnten jedes Jahr ein bisschen mehr Vertrauen aufbauen. Viele der Teilnehmer sind bereits seit Jahren dabei – ein Beleg dafür, dass der Dialog funktioniert. Der Erfolg der Veranstaltung spiegelt sich auch in den stetig gestiegenen Teilnehmerzahlen wider: Wir sind 2008 mit rund 60 Gästen gestartet, heute kommen über 250 Gäste, um mit uns zu diskutieren und das zu bewerten, was wir uns im Vorjahr zum Ziel gesetzt haben.

Wo gab es Herausforderungen und warum?

Einige Kollegen hatten anfangs das Gefühl, sie müssten sich wappnen, anstatt in dem offenen Dialog eine Chance zu sehen. Das Risiko schwieriger Fragen, auf die man möglicherweise keine Antwort hat, schien für einige sehr groß. Heute hilft uns das Vertrauen, dass der Dialog auf beiden Seiten geschaffen hat. Alle Teilnehmer wissen: Meinungsverschiedenheiten sind okay. Es ist auch in Ordnung, nicht auf alles sofort eine perfekte Antwort zu haben. Wir sind hier, um darüber zu sprechen. Wo früher manchmal Konfrontation in der Luft lag, spürt man mittlerweile eine große Bereitschaft, die Sicht des jeweils anderen zu verstehen.

Wer nimmt an einem Daimler Sustainability Dialogue teil – und aus welchen Gründen?

Wir laden einen Querschnitt der Gesellschaft ein – von NGOs bis zu Vertretern der Kommunen und Verbände, aus der Wirtschaft, aber auch Analysten und Investoren. Persönlichkeiten, von denen wir lernen können, das besser zu machen, woran wir arbeiten. Und sie kommen zu uns, weil Sie wissen, dass wir deren Ideen – sofern das sinnvoll und möglich ist – auch tatsächlich aufgreifen.

Über die letzten zwölf Jahre hat sich der Daimler Sustainability Dialogue als konstruktive Austauschplattform mit Interessensvertretern aus Politik, Wissenschaft und Gesellschaft bewährt.
Über die letzten zwölf Jahre hat sich der Daimler Sustainability Dialogue als konstruktive Austauschplattform mit Interessensvertretern aus Politik, Wissenschaft und Gesellschaft bewährt.

Haben Sie ein Beispiel?

Ja, sicher. Die Ergebnisse des allerersten Dialogs vor zwölf Jahren haben gezeigt, dass das Thema Menschenrechte für Unternehmen in Zukunft immer wichtiger wird und klare Verantwortlichkeiten im Unternehmen braucht. Daher gibt es seit dem zweiten Dialog eine eigene Arbeitsgruppe dazu. Bei dieser vergewissern wir uns übrigens heute noch, ob wir zum Beispiel mit unserem Human Rights Respect System auf dem richtigen Weg sind: Haben wir die für uns relevanten Menschenrechtsrisiken auf dem Schirm? Fehlt uns noch eine wichtige Kennzahl? Wie gut ist unsere Risikoanalyse wirklich? Wie lösen wir konkret Dilemmata? Ohne die vielen Diskussionen in den Workshops wäre unser systematischer Ansatz zur Achtung der Menschenrechte heute in vielen Feldern kein branchenweiter Benchmark. Mittlerweile kümmern sich unser Social Compliance und mein Bereich gemeinschaftlich darum, dass Regeln und Standards zu Menschenrechten umgesetzt werden. Der Nachhaltigkeitsdialog hat daher auch eine Legitimationsfunktion: Es gibt nicht immer die eine Lösung, aber die Lösung, die wir finden, wird von verschiedener, auch externer Seite für gut befunden und im Zweifel adjustiert. Die wohl größte Motivation der Stakeholder, bei unserem Dialog mitzumachen.

Wer muss unbedingt vertreten sein, damit es ein sinnvoller Dialog ist?

Da geht’s bei den externen Teilnehmern nicht um eine bestimmte Organisation. Es geht vielmehr um Wissensträger, die sich nicht davor scheuen, ihre Position klar zu vertreten. Gleichzeitig ist das ernsthafte Interesse an einem konstruktiven Dialog Voraussetzung. Auf Unternehmensseite müssen diejenigen dabei sein, die an den Themen arbeiten. Das muss nicht immer nur der Chef sein.

Welcher Austausch, den Sie mal bei einem Dialog geführt haben, ist Ihnen in besonderer Erinnerung geblieben und warum?

Da fällt mir eine Geschichte ein, die uns in den ersten drei Jahren begleitet hat: Wir wollten beim ersten Dialog unbedingt eine namhafte NGO dabeihaben. Als Antwort auf unsere Einladung kam ein Fax mit den Worten: „Wir haben mit Daimler nichts zu besprechen“ zurück. Im zweiten Jahr haben wir es wieder probiert – und dieselbe Antwort bekommen. Doch im dritten Jahr ist die Jugendorganisation unser Einladung gefolgt und hat teilgenommen. Seither ist diese Organisation fester Bestandteil einer Arbeitsgruppe des Dialogs!

Mit wem stehen Sie vielleicht heute noch in Kontakt?

Wir nutzen unser über die Jahre gewachsenes Netzwerk auch im Arbeitsalltag intensiv. Vor allem in den Situationen, in denen ich mal kurz eine Einschätzung brauche oder eine Frage brennt. Dann nehme ich einfach den Hörer in die Hand.

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¹ Der Ausdruck „Build back better“ wird u. a. von der Organisation World Business Council of Sustainable Development (WBCSD ) als ein Ausdrucks der Notwendigkeit zum Umdenken geprägt. Die Pandemie rücke demnach Schwachstellen in unseren Systemen und Institutionen in den Fokus. Sie biete uns aber auch die Chance, eine widerstandsfähigere und nachhaltigere Welt zu gestalten. So könnten Unternehmen und politische Entscheidungsträger mit dem Aufbau einer grünen und integrativen Zukunft beginnen, die wir bräuchten.

² Bei Veranstaltungen (oder Teilen von Veranstaltungen), die unter die Chatham-House-Regel fallen, ist den Teilnehmern die freie Verwendung der erhaltenen Informationen unter der Bedingung gestattet, dass weder die Identität noch die Zugehörigkeit von Rednern oder anderen Teilnehmern preisgegeben werden dürfen. (Quelle: Royal Institute of International Affairs )

3 Fragen an den Projektleiter Dr. Karsten Schröder

Was beschäftigt Sie in der Nacht vor dem Dialog?
Das ist immer aufregend, da geistert so einiges durch meinen Kopf. Zum Beispiel die Frage, welche Themen wohl auf den Tisch kommen. Oder ob wir für eine fruchtbare Diskussion ausreichend unterschiedliche Positionen auf dem Panel haben. In diesem Jahr liegt aber ganz sicher der Technikplan unter meinem Kopfkissen. Wir treffen uns im Projektteam nun seit acht Monaten virtuell, um ein Event auf die Beine zu stellen, das noch nie zuvor digital stattfand.

Gibt es unter den besonderen Bedingungen dieses Jahr auch Vorteile, die dem Dialog zu Gute kommen?
Ja, allerdings. Im vergangenen Jahr hat uns beispielsweise die Panelbesetzung ein paar Nerven gekostet. Renommierte Experten sind ja meistens viel beschäftigte Leute. Sie für unseren Dialog zu gewinnen, fällt uns in der digitalen Welt deutlich leichter. Eine Staatssekretärin wie unsere Panelistin Rita Schwarzelühr-Sutter hätte niemals während einer Sitzungswoche zu uns nach Stuttgart kommen können. Jetzt kann sie aber teilnehmen, weil wir uns virtuell treffen. Dieses Format ist also deutlich barrierefreier – übrigens auch für Zuschauer. Deshalb verlosen wir 50 „Live-Tickets“ unter unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Im Nachgang stellen wir auch Ausschnitte der Veranstaltung für Interessierte zur Verfügung.

Wer wäre Ihr liebster Gast auf dem Panel?
Aktuell freue ich mich erstmal, dass auch in diesem Jahr Persönlichkeiten mit uns diskutieren, die große Expertise und Gestaltungswillen mitbringen. Aber klar, es stehen auch weiterhin Kandidaten auf unserem Wunschzettel. Ohne einzelne hervorzuheben, kann ich sagen, was alle vereint ist eine klare Haltung zu Nachhaltigkeit und dass wir viel von ihnen lernen können. Unser Ziel ist es, unterschiedliche, auch kontroverse, Positionen zum Thema Nachhaltigkeit an einen Tisch bringen. Nur so können wir gemeinsam Lösungen finden, die Klimaziele, soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Stärke in Einklang bringen.