New Electric Car (NECAR)

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Wie wir bei Daimler den Brennstoffzellenantrieb entwickelt haben.

Dieser Artikel wurde ursprünglich im Daimler-Blog veröffentlicht.

Die Überraschung ist perfekt: Am 13. April 1994 stellt die damalige Daimler-Benz AG NECAR vor, das erste Fahrzeug mit einem unter Alltagsbedingungen arbeitenden Brennstoffzellenantrieb. Vor 25 Jahren ist es die Initialzündung für viele wegweisende Entwicklungen.

5 Min. Lesedauer

von Gerald Hornburg, Maschinenbauingenieur in der Verfahrenstechnik
erschienen am 11. April 2019

Der aktuelle Höhepunkt ist der Mercedes-Benz GLC F-CELL (Wasserstoffverbrauch kombiniert: 0,34 kg/100 km, CO₂-Emissionen kombiniert: 0 g/km, Stromverbrauch kombiniert: 13,7 kWh/100 km[1]).

Dieser Moment der Weltpremiere hat mich extrem stolz gemacht: Endlich stand unsere Entwicklung im Rampenlicht. NECAR war 1994 eine echte Sensation. Es hatte eine PEM-Brennstoffzelle als Energielieferant, und man konnte mit ihm wirklich tadellos unter Alltagsbedingungen Kilometer zurücklegen. Die Bezeichnung NECAR steht für „New Electric Car“. Später erhielt es den Namen NECAR 1, weil ja bereits 1996 NECAR 2 und danach weitere Brennstoffzellenfahrzeuge kamen. Wenn ich „wir“ sage und hier auch hauptsächlich aus dieser Perspektive berichte: Wir waren ein kleines, kreatives Pionierteam.

Gehen wir noch ein klein wenig weiter zurück, ins Jahr 1988 und zum Vorgängerunternehmen Daimler-Benz. Als damals integrierter Technologiekonzern war es neben dem Automobilbau auch beispielsweise in der Luft- und Raumfahrt und der Digital- und Computerelektronik tätig. Ich sehe das als ganz wichtige Phase an. Denn das Unternehmen hatte ein äußerst breites Know-How-Spektrum für herausragende technische Produkte auf vielen Gebieten.

Ich arbeitete bei Dornier, wo wir für die bemannte Raumfahrt Brennstoffzellensysteme entwickelten – allerdings noch alkalische, die ausschließlich für Wasserstoff/Sauerstoff-Betrieb geeignet waren. Aber dann gab es eine neue Brennstoffzellentechnologie – die protonenleitende PEM (Proton Exchange Membrane). Sie machte die Verwendung in Elektroautos denkbar, und genau das schlugen wir vor. Wie es oft ist: Sie wurde erst einmal abgelehnt. Zu utopisch, hieß es. Wir waren mit unserer Idee einfach zu früh.

Unsere Aufgabe: Einen Prototyp für den Brennstoffzellenantrieb bauen

Das änderte sich 1991. Ein neues Daimler-Benz Vorstandsmitglied hatte kurz zuvor die Leitung des Forschungsbereichs übernommen. Es war zwar skeptisch, dass unser Konzept funktioniert, hatte aber ein offenes Ohr. Und sagte schließlich im November 1991: „Beweist, dass es funktioniert. Baut einen Demonstrator.“

Ein hoher Wirkungsgrad, null Emissionen, ein normaler Tankvorgang und mit Wasserstoff ein idealer Energieträger für eine hohe Reichweite, das hat überzeugt, uns die Entwicklungsfreiheit zu geben. Das sind auch heute noch die bestechenden Vorteile des Brennstoffzellenantriebs.

Es ging also los. Aber wir hatten nur zwei Jahre Zeit, um mit einem Vier-Mann-Team ein Brennstoffzellenaggregat aufzubauen, das in einem Auto zuverlässig als Energielieferant funktioniert. Der Erprobungsträger für so ein neuartiges Elektrofahrzeug wurde parallel von Kollegen in Untertürkheim aufgebaut. Er war schnell definiert: Es wurde ein Transporter MB 100 genommen. Denn wir wussten, dass wir für das Brennstoffzellenaggregat und den Wasserstofftank Platz brauchten.

Arbeiten wie in einem heutigen Start-up-Unternehmen

Ansonsten standen wir mit ziemlich leeren Händen da. Man konnte ja keine Komponenten fertig kaufen, die exakt zu einem Brennstoffzellenfahrzeug passten. Wir mussten Vorhandenes umbauen oder mit einer gezielten Spezifikation bei Lieferanten bestellen. In keiner Schublade lagen fertige Konzepte. Jedes Detail musste komplett von der Basis neu durchdacht werden. Die Zellstapel („Stacks“) für die Umwandlung von Wasserstoff in elektrischen Strom kauften wir bei Ballard Power Systems in Vancouver. Ein CAD-System (Computer Aided Design) hatten wir zum Konstruieren übrigens auch noch nicht zur Verfügung.

Wir behalfen uns mit einem normalen Büro-Grafikprogramm und fertigten viele Handskizzen und ein Holzmodell an. Die Arbeitstage waren voll und mancher auch sehr lang, aber sie waren spannend. Jetzt kann man sich ungefähr vorstellen, wie wir damals gearbeitet haben. Heute würde man das als Start-up-Atmosphäre bezeichnen.

Und wie bei heutigen Start-ups ging es dann recht schnell: Mit intensiver Arbeit schafften wir es und brachten das Brennstoffzellenaggregat als Energielieferant für ein Elektrofahrzeug zum Laufen. Genau zwei Jahre nach Projektstart brachten wir Mitte November 1993 mit dem Lastwagen das Modul nach Untertürkheim. Es wog 850 Kilogramm, war zwei Kubikmeter groß und lieferte gerade mal eine Netto-Leistung von etwa 35 kW aus einer Stack-Leistung von 50 kW.

Neues elektrisches Fahrzeug von Daimler fährt das erste Mal im November 1993

Ein Gabelstapler setzte das Modul in den MB 100. Mit acht Schrauben wurde es im Laderaum befestigt, der Hochvolt-Stecker verbunden, das Kühlwasser geprüft. Was jetzt kam, begeistert mich bis heute: Alle Systeme funktionierten vom Fleck weg und waren „grün“. Ein toller Job, auch von den Fahrzeugkollegen in Untertürkheim. Zur Sicherheit haben wir dann noch einen guten Tag lang alles auf Herz und Nieren geprüft, bevor der große Moment kam. Der Zündschlüssel wurde umgedreht und das Gaspedal betätigt: NECAR fuhr in Untertürkheim das erste Mal, und dann ging es sofort auf die Einfahrbahn. Das war für uns ein bewegender Moment, und es gab sogar von manchem gestandenen Ingenieur einen kleineren Freudentanz auf dem Werksgelände.

Die Brennstoffzelle hatte eine Stack-Leistung von 50 kW und arbeitete perfekt als Kraftwerk für den in den MB 100 eingebauten 30-kW-Elektromotor – und das alles ohne Hybridbatterie. Die Höchstgeschwindigkeit betrug 90 km/h und die Reichweite 130 Kilometer. Aus heutiger Sicht ist das wenig. Aber 1993 war das ein riesiger Durchbruch.

Endlich waren wir am Ziel. Und nicht nur das. Denn mit dem NECAR hatten wir Neuland betreten oder vielmehr befahren, und wir ahnten zugleich, dass es jetzt erst richtig spannend werden würde. Man kann es sagen, ohne rot zu werden: Mit unserem Pilotprojekt hatten wir die Tür in die Epoche des Brennstoffzellenantriebs im Automobil aufgestoßen.

Initialzündung für die Epoche des Brennstoffzellenantriebs

Wir brauchten dann noch ein paar Monate, bis NECAR fertig für die Premiere im April 1994 war. So war etwa die Luftversorgung für die Brennstoffzelle noch zu laut, und wir haben die Geräuschdämmung verbessert. Dann aber waren wir sicher, dass das Fahrzeug auch die Öffentlichkeit überzeugt. Die Präsentation vor der internationalen Presse im Forschungszentrum Ulm war ein voller Erfolg. Die Journalisten waren begeistert, und ihre Berichte regten weltweit auch andere Autohersteller an, über die Brennstoffzelle nachzudenken. Wir hatten echte Pionierarbeit geleistet.

NECAR war die Initialzündung für alle nachfolgenden Brennstoffzellenfahrzeuge von Daimler, mit denen wir die Technik immer weiterentwickelten. Denn serienreif war sie ja noch lange nicht. Aber heute ist sie es, und deshalb freue ich mich auch über den GLC F-CELL: In ihm steckt viel unseres Pionierwissens. Er ist ein tolles Brennstoffzellenfahrzeug, sogar mit Plug-in-Technik.

Eine Anekdote noch zum Schluss: NECAR brauchte ja für die weitere Erprobung eine Straßenzulassung, und damals war die Abgassonderuntersuchung, kurz ASU, in Deutschland vorgeschrieben. Obwohl das Fahrzeug natürlich null Emissionen hatte, musste es geprüft werden. Vollkommen unsinnig, aber im Ergebnis lustig: Die Prüfingenieure stellten fest, dass die Luft, die hinten herauskam, sauberer war als die angesaugte, mit der das Brennstoffzellensystem arbeitete.

[1] Angaben zu Kraftstoffverbrauch, Stromverbrauch und CO₂-Emissionen sind vorläufig und wurden vom Technischen Dienst für das Zertifizierungsverfahren nach Maßgabe des WLTP-Prüfverfahrens ermittelt und in NEFZ-Werte korreliert. Die EG-Typgenehmigung und eine Konformitätsbescheinigung mit amtlichen Werten liegen noch nicht vor. Abweichungen zwischen den Angaben und den amtlichen Werten sind möglich.

Gerald Hornburg

Gerald Hornburg ist Maschinenbauingenieur mit der Vertiefungsrichtung Verfahrenstechnik. Die Brennstoffzelle war und ist prägend für sein Berufsleben: Er war einer von vier Ingenieuren, die für das 1994 vorgestellte NECAR das Brennstoffzellenaggregat aufbauten. Heute ist er Chief Engineer in der Vorentwicklung der Mercedes-Benz Fuel Cell GmbH.

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