Der Nachtfahrsimulator bei Mercedes-Benz in Sindelfingen

S-Klasse_Scheinwerfer_Titelbild

Es werde Licht.

Dunkelheit, Regen und Schnee – wann bekommt man das alles auf Wunsch von der Wetterfee geliefert? Richtig, so gut wie nie. Oder zumindest nur dann, wenn man es gerade wirklich nicht brauchen kann. Dabei ist es für die Lichtentwickler von Mercedes-Benz entscheidend, die neuesten Innovationen gerade bei solchen extremen Witterungsbedingungen zu testen. Und weil es die eben nicht auf Bestellung gibt, nutzen sie eine clevere technische Lösung: ein weltweit einmaliger Nachtfahrsimulator.

9 Min. Lesedauer

von Nina Kotschner,
erschienen am 03. September 2020

Es ist kurz vor 19 Uhr an einem Frühlingsabend. Die Sonne steht schon tief. Im Mercedes-Benz Technology Center in Sindelfingen, kurz MTC genannt, neigt sich der Tag dem Ende zu. Die letzten Kolleginnen und Kollegen verlassen das Entwicklungsgelände in den wohlverdienten Feierabend.

Nur für Andreas Hauser und seine Kollegen aus der Scheinwerfererprobung fängt der Arbeitstag erst richtig an. Normalerweise. Doch heute ist auch in der Abteilung Lichttechnik keiner mehr anzutreffen. Keine Lagebesprechung. Keine Nachtfahrt. „Seitdem wir den Lichtsimulator haben, erproben wir vieles virtuell – und das zu ganz normalen Arbeitszeiten“, erzählt Andreas Hauser am nächsten Morgen.

Bei Andreas Hauser (rechts) dreht sich im Job alles um Scheinwerfer und Licht. Hier zeigt er unserer Autorin den Nachtfahrsimulator von Mercedes-Benz in Sindelfingen.
Bei Andreas Hauser (rechts) dreht sich im Job alles um Scheinwerfer und Licht. Hier zeigt er unserer Autorin den Nachtfahrsimulator von Mercedes-Benz in Sindelfingen.

Im Arbeitsalltag von ihm und seinen Kolleginnen und Kollegen dreht sich alles um Licht. Die Beleuchtung eines Autos erfüllt mehrere Zwecke. Vor allem geht es ums Sehen und Gesehen werden: Je besser die Fahrbahn bei Nachtfahrten ausgeleuchtet ist, umso früher erkennt der Fahrer potenzielle Gefahren. Wer sich um die Verbesserung von Pkw-Scheinwerfern kümmert, trägt auch einen wesentlichen Teil dazu bei, dass Autofahren in der Dunkelheit noch sicherer wird. Denn leider gilt immer noch: Sobald die Sonne untergeht, steigt das Unfallrisiko. Ein gefahrener Kilometer bei Nacht ist statistisch gesehen doppelt so unfallträchtig wie einer bei Tag. Dass die absoluten Unfallzahlen das auf den ersten Blick nicht widerspiegeln, liegt nur daran, dass die durchschnittliche Fahrleistung am Tag höher ist als nachts.

Natürlich ist ein gutes Lichtbild bei Nachtfahrten nicht nur für die Sicherheit, sondern auch für den Fahrkomfort entscheidend. Und zuletzt ist die Form der Lichter natürlich auch ein Markenzeichen. Es gibt selbsternannte Experten, die jede Baureihe alleine an den Scheinwerfern erkennen können. Innovative Lichtquellen wie die revolutionäre Generation der DIGITAL LIGHT® Scheinwerfer von Mercedes-Benz können Licht in sehr hoher Auflösung erzeugen. Sie ermöglicht ganz neue Funktionen, etwa die Projektion von Hilfsmarkierungen oder Warnsymbolen auf die Fahrbahn. DIGITAL LIGHT besitzt in jedem Scheinwerfer ein Lichtmodul mit drei extrem lichtstarken LED, deren Licht mit Hilfe von 1,3 Millionen Mikrospiegeln gebrochen und gerichtet wird. Pro Fahrzeug beträgt die Auflösung also über 2,6 Millionen Pixel.

DIGITAL LIGHT® Scheinwerfer von Mercedes-Benz erzeugen Licht in sehr hoher Auflösung. Für manche Auto-Experten sind die Scheinwerfer auch ein echtes Wiedererkennungsmerkmal einer Baureihe.
DIGITAL LIGHT® Scheinwerfer von Mercedes-Benz erzeugen Licht in sehr hoher Auflösung. Für manche Auto-Experten sind die Scheinwerfer auch ein echtes Wiedererkennungsmerkmal einer Baureihe.

Bevor ein Scheinwerfer ins Serienfahrzeug kommt, heißt es: Testen, testen, testen

Doch wer kümmert sich eigentlich darum, dass die Scheinwerfer, die in einem Mercedes-Benz verbaut sind, auch den hohen Ansprüchen der Marke an Sicherheit genügen? Genau da kommen die Lichtsysteme-Tester aus Sindelfingen ins Spiel. Und weil die Beleuchtung am Fahrzeug bei Tageslicht nun einmal nicht ihre großen Stärken ausspielen kann, finden die meisten ihrer Erprobungen nachts statt. Eine neue Technologie ermöglicht es den Entwicklern nun aber viele, der benötigten Testszenarien auch am Tag durchzuführen: der Nachtfahrsimulator.

„Ein Vorteil des Simulators für uns ist, dass wir so die Zahl der Nachtfahrten reduzieren können“, sagt Andreas Hauser. Dass solch eine Innovation ihm und seinen Kolleginnen und Kollegen entgegenkommt, ist gut zu verstehen: Während der Sommermonate müssen sie schließlich bis in die späten Abendstunden warten, bis es überhaupt dunkel wird und sie die Lichtsysteme unter realen Bedingungen testen können. Und im Winter geht die Sonne zwar schon nachmittags unter – aber ein großer Spaß sind Testfahrten bei Schnee und Eisglätte auch nicht.

Aber natürlich geht es bei dem innovativen Simulator um weit mehr als um Bequemlichkeit: Er erlaubt es den Lichtexperten, die Scheinwerfer in kürzerer Zeit deutlich intensiver zu testen – und das ohne dass deshalb ein Auto mehr auf der Straße ist. Auch für den praktischen Testbetrieb ist der Simulator eine Erleichterung: „Wir sind dank ihm komplett unabhängig von den Witterungsbedingungen und können verschiedene Szenarien auf Knopfdruck simulieren.“ Hinzu kommt: Im Simulator kann die exakt gleiche Fahrsituation beliebig oft wiederholt werden. So müssen die Lichtentwickler nur wenige Parameter verändern – und sehen umgehend, wie sich das Lichtbild verändert. Apropos Parameter: Natürlich können im Lichtsimulator auch Scheinwerfer simuliert werden, die es noch gar nicht als Bauteil zum Anfassen (und Einbauen) gibt. So können die Erkenntnisse der Erprobungen frühzeitig in die Entscheidungen im Entwicklungsprozess einfließen.

So sieht der Nachtfahrsimulator aus

Andreas Hauser lässt mich in der Sitzkiste, die inmitten des Projektionsschirms steht, Platz nehmen. Es handelt sich um eine E-Klasse, die knapp hinter der B-Säule abgetrennt wurde. Sie ist mit der kompletten Technik ausgestattet, die für ein reales Fahrgefühl benötigt wird. Zwar wurden aus dem ehemaligen Erprobungsfahrzeug alle technischen Bestandteile ausgebaut, die für die Simulation des Lichtbildes nicht relevant sind. Trotzdem ertönen typische Autogeräusche, sobald man den Startknopf drückt. „Das trägt einfach zum realen Fahrgefühl bei“, erklärt der Lichtentwickler, „und darum spielen wir den Sound ein.“

Die „Sitzkiste“, wie dieses Element des Simulators intern genannt wird, erinnert mit etwas Fantasie schon von außen an ein Fahrzeug-Cockpit. Sitzt man erst einmal darin, taucht man schnell in die virtuelle Welt ein.
Die „Sitzkiste“, wie dieses Element des Simulators intern genannt wird, erinnert mit etwas Fantasie schon von außen an ein Fahrzeug-Cockpit. Sitzt man erst einmal darin, taucht man schnell in die virtuelle Welt ein.

Dann tauchen wir vollständig in die virtuelle Welt ein: „Hier wird der Tag zur Nacht“, sagt Andreas Hauser noch, bevor er mit seinem Handy das Licht in dem fast vollständig schwarz gestrichenen Raum ausknipst. Und tatsächlich: der Raum ist derart abgedunkelt, dass man nicht mal die eigene Hand vor Augen sieht. „Das ist auch nötig. Nur so kommen die Vorteile des ganz speziellen Projektionssystems zum Tragen“, erklärt er, bevor er über ein Tablet vier Hightech-Beamer hochfährt. Der ganze System-Boot dauert etwa eine Minute. Und die ist durchaus willkommen: Denn das menschliche Auge braucht Zeit, vom photopischen Sehen, dem sogenannten Tagsehen, aufs skotopische Sehen bei Dunkelheit umzuschalten. Wird draußen in der Natur der Tag langsam zur Nacht, stößt unser Gehirn automatisch diesen Mechanismus an – ohne dass es uns so richtig bewusst ist. „Er ist wichtig, damit unser Auge bei Nacht kleinste Helligkeitsunterschiede überhaupt wahrnehmen kann“, erklärt Andreas Hauser: „Für die Qualität unserer Scheinwerfer ist es wichtig, dass wir dem Auge genug Zeit für die Umstellung geben. So können wir beim Testen auch die Nuancen in der Leuchtdichte erkennen und anschließend die Lichtverteilung der Scheinwerfer weiter optimieren.“

Auf einem großen halbrunden Projektionsschirm erstrahlt die Abkürzung VTD. Das steht für Virtual Test Drive, eine umfangreiche Fahrsimulationssoftware, die vom Hersteller speziell für Mercedes-Benz um eine hochauflösende Lichtapplikation erweitert wurde. „Diese Lichtsoftware in Verbindung mit dem Projektionssystem ist einmalig in der Automobilindustrie“, erläutert Andreas Hauser voller Stolz: „Dafür können wir uns insbesondere beim Kollegen Martin Borowski aus der Lichtvorentwicklung bedanken. Er ist so etwas wie der Vater des Nachtfahrsimulators in Sindelfingen, seit er diesen federführend konzeptioniert und umgesetzt hat.“

Kurvenfahrten sind für die Lichttester ein komplexes Szenario. Der Simulator beherrscht aber auch diese Disziplin.
Kurvenfahrten sind für die Lichttester ein komplexes Szenario. Der Simulator beherrscht aber auch diese Disziplin.

Vor der Sitzkiste befindet sich eine weiße, halbrunde, um 180 Grad gebogene Leinwand. Darauf projizieren vier Projektoren, die an der Decke angebracht sind, die Straße und das Lichtbild. Durch die gebogene Leinwand bekommt der Fahrer ein weiteres Sichtfeld als das bei einer geraden der Fall wäre. Dadurch wirkt die simulierte Fahrumgebung noch realer. Und in den Rückspiegeln stecken kleine Monitore, die das virtuelle Verkehrsgeschehen hinter einem abbilden.

Als säße man in einem echten Auto

Dazu Andreas Hauser: „Man fühlt sich, als säße man in einem echten Auto. Wenn dann noch das Licht ausgeht und man nur noch die Projektion der Straße vor sich sieht, fühlt man sich so, als würde man auf einer Straße fahren – und nicht im Testlabor in Sindelfingen.“

Dass Simulatoren die reale Welt täuschend echt abbilden, ist in anderen Bereichen ja schon gang und gäbe: Bei der Pilotenausbildung werden ähnliche Simulatoren zum Beispiel schon sehr lange verwendet, um Starts und Landungen zu simulieren und Routine in die Abläufe der Piloten zu bringen.

Besonders und herausfordernd zugleich an der Konstruktion der Lichttester ist die Simulation von absoluter Dunkelheit. Außerhalb der glitzernden Großstadt-Lichter sieht man auf nächtlichen Überlandfahrten nämlich vor allem tiefschwarz. Dafür braucht es im Simulator einen extrem hohen Schwarzwert, sonst würde die Leinwand einfach nur grau schimmern. Das wäre keine Situation, in der unsere Tester die Lichtverteilung aussagekräftig beurteilen können. Die Lösung dafür sind Projektoren, die speziell für solche Simulationen entwickelt wurden. Deren patentierte Technik ist einzigartig auf dem Markt und macht die optimale Nachtsimulation erst möglich, die unsere Lichtingenieure in Sindelfingen brauchen, um neueste Entwicklungen zu testen.

Je länger die Simulation dauert, umso mehr fühlt sie sich wie eine echte Autofahrt an – auch unsere Autorin hat diese Erfahrung bei ihrem Besuch im Testlabor gemacht.
Je länger die Simulation dauert, umso mehr fühlt sie sich wie eine echte Autofahrt an – auch unsere Autorin hat diese Erfahrung bei ihrem Besuch im Testlabor gemacht.

Für Andreas Hauser ist die Fahrt in einem Simulator vergleichbar mit einem Computerspiel. Die Fahrzeugbewegungen fehlen zwar, beim Beschleunigen oder bei der Durchfahrt einer Kurve wird der Fahrer nicht in den Sitzt gedrückt. Aber nach einigen Minuten im Simulator taucht man in eine ganz eigene Welt ein: „Irgendwann vergisst man, dass man im Simulator sitzt und es fühlt sich einfach sehr real an.“

Das Licht kommt nicht aus den Scheinwerfern, sondern aus dem Steuergerät

Damit die Hardware-Komponenten das tun, was sie tun sollen, braucht es natürlich die passende Software. Sie lässt die zuvor programmierte Fahrstrecke ablaufen, integriert Fahrzeugbewegungen und Assistenzsysteme und bildet die Lichtverteilung realitätsgetreu ab. Anders als bei einem echten Erprobungsfahrzeug kommt das Licht beim Simulator nämlich nicht einfach aus den Scheinwerfern – die Software leitet die eingestellten Parameter über ein digitales Steuergerät an die Projektoren weiter. Das Ergebnis wird dann auf der Leinwand in die Testumgebung integriert und abgebildet. Die Software fügt also, wenn man so möchte, alle Einzelteile zusammen. Das jeweilige Lichtsystem ist in den meisten Fällen in verschiedenen Entwicklungsstufen vorhanden. Im Simulator können die Entwickler also auf Knopfdruck die verschiedenen Arbeitsstände abbilden und so vergleichen. Das ist in der Realität am Auto nicht umzusetzen.

Die komplex programmierte Software macht es außerdem möglich, auf einer beliebigen Strecke zu fahren. Meistens nutzen die Kolleginnen und Kollegen virtuelle Standardstrecken. Es ist aber auch möglich, reale Strecken nachzubilden.

Gesteuert wird der Simulator über einen Tablet-Computer. Auf dem kann man zum Beispiel Fußgänger am Straßensystem erscheinen lassen, die dann vom Assistenzsystem erkannt werden. Auf Knopfdruck können ebenso mehrere Autos in der Simulation erscheinen oder eine Baustelle simuliert werden. In allen diesen Situationen kann die Lichtverteilung getestet werden, die Möglichkeiten sind nahezu unbegrenzt.

Kurven sind für die Lichttester besonders komplex

So können bestimmte Fahrszenarien auch immer wieder und unter verschiedenen Wetterbedingungen abgefahren werden. Das macht es den Lichttestern einfach, systematisch zu prüfen, wie sich der Lichtalgorithmus verhält.

Das ist zum Beispiel in Kurven spannend. Die sind für die Lichttester ein besonders komplexes Szenario. Ist ja irgendwie auch verständlich: Schließlich gibt es Rechtskurven, Linkskurven, unterschiedliche Kurvenradien und, als Königsdisziplin, Serpentinen-Strecken. In all diesen Szenarien werden unsere Scheinwerfer erprobt. Und in vielen Fällen geht das jetzt am Simulator. Das spart kräftezehrende Dienstfahrten. Schließlich gibt’s rund um Sindelfingen keine echten Serpentinen.

Ein großer Vorteil des Simulators ist, dass es für einen Test des Lichtbildes unter verschiedenen Verkehrs- oder Wetterbedingungen keinen Ortswechsel mehr braucht – es reicht bereits, die eingestellten Parameter entsprechend anzupassen.
Ein großer Vorteil des Simulators ist, dass es für einen Test des Lichtbildes unter verschiedenen Verkehrs- oder Wetterbedingungen keinen Ortswechsel mehr braucht – es reicht bereits, die eingestellten Parameter entsprechend anzupassen.

Für manche Szenarien benötigt man darüber hinaus ein zweites Auto, das in einem bestimmten Abstand vor dem Testfahrzeug fährt. Um solch eine Situation im realen Straßenverkehr zu erzeugen, muss logischerweise immer ein Kollege in einem zweiten Fahrzeug mitfahren. Im Simulator geht das auf Knopfdruck – und ohne die Gefahr, dass der Test durch einscherende Fahrzeuge verfälscht wird.

Der größte Vorteil des Simulators? Die Geschwindigkeit!

Auch wenn schon die ersten Autos beleuchtet waren (sie waren mit Kerzen ausgestattet): In Sachen Lichtsystemen ist die Entwicklung noch längst nicht am Ende. Sie ist ein Zukunftsthema. Schließlich geht es um ein digitales Entwicklungsfeld. Und ähnlich wie beim Smartphone gibt es einen starken Wettbewerb und ständig Innovationen. Hier verschafft der Simulator den Kolleginnen und Kollegen einen entscheidenden Geschwindigkeitsvorteil: weil sie in ihm die Scheinwerferfunktion unabhängig vom eigentlichen Bauteil bewerten können, können sie die Lichtsysteme im Entwicklungsprozess auch schneller absichern.

Andreas Hauser ist besonders stolz auf den Simulator, weil er bisher weltweit einmalig ist. „Das ist ziemlich cool!“, sagt der Entwicklungsingenieur für Lichttechnik. Und bald wird der Simulator wohl auch die Blendsituation des Gegenverkehrs präzise nachstellen können. „Wir können dann betrachten, wie unser Lichtsystem auf andere Verkehrsteilnehmer wirkt. So kann in Zukunft noch besser sichergestellt werden, dass unsere Fahrzeuge keine anderen Verkehrsteilnehmer blenden.“

Die Entwicklung des Nachtfahrsimulators läuft schon seit mehr als drei Jahren und wird stetig optimiert. Das aktuelle Setup, bei dem die Entwickler vollständig in die Simulation eintauchen, gibt es seit einem Jahr. Aber auch jetzt sind noch Erweiterungen und Verbesserungen geplant.

Was kann der Simulator noch nicht?

Im Simulator kann derzeit nur die Intensität, nicht aber der Farbeindruck der Lichtverteilungen dargestellt werden. Für die Zukunft hoffen die Entwickler auf ein Datenformat, das beide Informationen darstellen kann. So könnten sie dann am Simulator auch bewerten, wie die Scheinwerfer die Farbübergänge der einzelnen Lichtmodule darstellen und wie es mit dem Blausaum aussieht. Mit diesem Begriff bezeichnen Fachleute den blauen Schleier am Rand eines Scheinwerferstrahls, der durch die Aufspaltung des weißen Lichts in seine Spektralfarben an der Scheinwerferlinse entstehen kann und sowohl für den Fahrer als auch andere Verkehrsteilnehmer störend ist.

Wenn Andreas Hauser einen Wunsch an den Nachtfahrsimulator frei hätte, hätte er gerne einen Schieberegler auf dem Tablet, mit dem sich alle wichtigsten Scheinwerferfunktionen anpassen lassen. Dann könnte man einfach so lange an allen Variablen schieben, bis einem das Ergebnis gefällt. Das bleibt aber wohl ein frommer Wunsch. Denn die Technik und die Software, die hinter dem Lichtsimulator stecken, können zwar eine Menge Szenarien und viele unterschiedliche Baureihen abbilden. Dadurch sind sie aber auch ziemlich komplex. Wahrscheinlich zu komplex, um die vielen Parameter an ein paar Schiebereglern darzustellen.

Wird irgendwann mal gar nicht mehr real getestet?

Ob der Simulator eines Tages alle realen Tests ersetzen kann? Andreas Hauser beantwortet die Gretchenfrage mit einem klaren Nein: „Auch, wenn die Simulation einmal perfekt sein sollte, müssen wir unser Lichtsystem unter realen Bedingungen testen. Beim Lichtsystem gibt es ja nicht nur die Softwarekomponente, sondern auch die Hardwarekomponente. Der Scheinwerfer als Bauteil muss genauso überprüft werden. Dieser muss auch dazu in der Lage sein, das abzubilden, was wir bei der Programmierung der Software vorgegeben haben. Das Fahrzeuglicht ist absolut relevant für die Sicherheit eines jeden Mercedes-Benz. Darum muss es ohne Wenn und Aber auch immer in realen Situationen und bei realen Nachtfahrten getestet werden. Nur so können wir unserem Kunden ein Produkt von hoher Qualität liefern.“

Gesteuert wird der Lichtsimulator über einen Tablet-Computer, dessen Funktionen Andreas Hauser unserer Autorin hier erklärt.
Gesteuert wird der Lichtsimulator über einen Tablet-Computer, dessen Funktionen Andreas Hauser unserer Autorin hier erklärt.

Für die Lichtentwickler in Sindelfingen ist das Lichtsystem der Mercedes-Benz Fahrzeuge so etwas wie ihre Handschrift am Gesamtkunstwerk Auto. Was ein gutes Lichtsystem ausmacht? Andreas Hauser denkt nach und sagt dann: „Es unterstützt den Fahrer, aber so unauffällig, dass der es nicht mal bemerkt. Wir versuchen darum, ein sehr störfreies und homogenes Lichtbild zu erzeugen. Es darf also nichts ruckeln oder flimmern. Es ist uns wichtig, die maximal mögliche Ausleuchtung der Fahrbahn zu erreichen und dem Fahrer eines Mercedes-Benz ein optimales Fahrerlebnis bei Dunkelheit zu ermöglichen – ohne jedoch andere Verkehrsteilnehmer zu blenden. Dabei geht es nicht nur um die Reichweite. Sondern auch darum, dem Fahrer ein System an die Hand zu geben, das ihn nicht überfordert, sondern ihn unterstützt, ohne dass er irgendetwas einstellen muss. Nur so können wir einen hohen Fahrkomfort garantieren.“

Der Fahrer steigt in das Auto ein, schaltet den Motor an und den Rest steuert das Fahrzeug von selbst. So wie Andreas Hauser an diesem Sommerabend. Heute steht für ihn nämlich keine dienstliche Nachtfahrt an – die Tests des Tages hat er am Simulator durchgeführt. Dass er dem Sonnenuntergang entgegenfährt, hat also rein private Motive. Und im Gegensatz zu den Sonnenuntergängen, die er im Lauf seines Arbeitstages gesehen hat, ist dieses Mal alles ganz real.

Nina Kotschner

studiert Literatur- und Kulturtheorie in Tübingen und war Praktikantin in der Unternehmenskommunikation von Daimler. Da sie im Rahmen ihres Studiums auch schon in der Lichtentwicklung, genauer gesagt bei der Scheinwerferentwicklung, von Mercedes-Benz unterwegs war, hat sich zu ihrer Schwäche für schöne Autos auch noch die Faszination für Scheinwerfer gesellt.

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