Premium und Umweltschutz

01Premium-Nachhaltigkeit

Kann Luxus nachhaltig sein?

Dieser Artikel wurde ursprünglich im Daimler-Blog veröffentlicht.

Hand aufs Herz: Es gab schon Zeiten, da ging der Spruch „Man muss sich ja auch mal was gönnen“ leichter über die Lippen als heute. Denn zumindest gefühlt stehen viele Produkte aus dem Premium- oder Luxus-Segment stärker denn je im Verdacht, nicht gut zu sein – für die Umwelt, für die Ökobilanz oder zumindest für die eigene Gesundheit. Aber ist das zwangsläufig so? Oder kann es so etwas wie nachhaltigen Luxus geben?

10 Min. Lesedauer

von Sven Sattler, Autor
erschienen am 29. August 2019

Der Duden definiert „Luxus“ als „kostspieligen, verschwenderischen Aufwand, der den normalen Rahmen übersteigt“. Nur ist das mit Definitionen eben so eine Sache – sie sind sehr abhängig davon, wen man fragt. Für den einen ist Luxus ein erstrebenswertes Gut, um sich selbst etwas Gutes zu tun, oder ein Ausdruck individueller Freiheit. Dabei muss es nicht nur ums Geld gehen – auch eine große Menge an Freizeit kann als (immaterieller) Luxus empfunden werden.

Ein anderer nutzt das Wort Luxus wiederum als Synonym für teuren Schnickschnack oder aus der Zeit gefallene Protzerei. Und überhaupt: Wo fängt Luxus an? Ist ein Abendessen in einem schönen Restaurant schon Luxus? Fängt Luxus erst beim teuren Sportwagen an? Oder gar erst bei der Villa im Tessin?

Auf den ersten Blick ist die Frage nach dem Luxus eine philosophische. Sie kann aber auch relevant fürs Geschäft sein – nämlich dann, wenn das eigene Unternehmen Produkte mit Premium-Charakter herstellt. So wie Daimler zum Beispiel mit den Pkw von Mercedes-Benz. Mit dem Versprechen „Das Beste oder nichts“ bekennt sich die Marke mit dem Stern eindeutig zum Premium-Segment.

Mit einem Bruttolistenpreis von mindestens 90.000 Euro liegt das Flaggschiff, die S-Klasse, auch zweifelsohne in dem preislichen Bereich, der von den meisten Menschen als premium wahrgenommen wird. Und wenn man sich die Preise ansieht, die gepflegte Mercedes-Oldtimer bei Auktionen oder auf den einschlägigen Internet-Portalen erzielen, wird klar: Die Chancen stehen nicht so schlecht, dass ein Mercedes auch in ein paar Jahren noch als begehrenswert wahrgenommen wird.

So weit, so gut. Doch: Die Strategie von Daimler besteht natürlich nicht alleine darin, begehrenswerte Fahrzeuge zu bauen. Ein Grundprinzip dieser Strategie heißt Nachhaltigkeit. Aber wie kann das zusammenpassen: Premium und Nachhaltigkeit? Luxus und Umweltschutz? Gönnen ohne schlechtes Gewissen?

CO2-Reduzierung ist ein wichtiger Stellhebel – aber nicht der einzige

Es kann zum einen zusammenpassen, wenn man sich als Unternehmen klare Ziele beim Klimaschutz setzt: Genau das tut Daimler mit seiner im Mai vorgestellten „Ambition2039“: Ein Ziel ist, dass bis 2022 alle europäischen Werke von Daimler CO2-neutral produzieren. Und bis 2039 soll dann auch die gesamte Neufahrzeug-Flotte des Unternehmens CO2-neutral sein. Wenn man weiß, wie die Uhren in der Automobil-Industrie ticken, versteht man, wie ambitioniert der angepeilte Zeitrahmen wirklich ist: 20 Jahre – das sind nicht einmal drei Produktzyklen.

Keine Frage: Wer Luxus und Nachhaltigkeit unter einen Hut bringen möchte, muss seinen CO2-Fußabdruck signifikant reduzieren. Aber das ist längst nicht der einzige Stellhebel, an dem man ansetzen muss. Schließlich ist Nachhaltigkeit viel mehr als nur Klimaschutz. Anita Engler sagt sogar: „Für meinen Geschmack wird das Thema in der gesellschaftlichen Diskussion momentan zu sehr auf den CO2-Ausstoß begrenzt. Natürlich ist das ein zentraler Aspekt. Aber nicht der Einzige. Bei Daimler machen wir zum Beispiel schon seit sehr, sehr langer Zeit sehr viel auf dem Gebiet Ressourcenschonung.“ Sie muss es wissen: Anita Engler beschäftigt sich beruflich mit dem Einsatz von ressourcenschonenden Materialien in den Autos von Mercedes-Benz.

Der erste Mercedes bekam 2005 ein Umweltzertifikat

Für sie ist das Thema eine Herzensangelegenheit, schon seit jeher. Aber die Diplom-Agrarbiologin hat in den vergangenen Jahren auch beobachtet, wie sehr das Bewusstsein für Nachhaltigkeit und Umweltschutz in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Die Zeiten, in denen ökologisches Handeln als spießig, unsexy oder miefig abgestempelt wurde, sind vorbei: „Ich hatte, bevor ich 2002 bei Daimler angefangen habe, als Unternehmensberaterin für Umweltthemen gearbeitet. Damals habe ich öfters gehört: Mensch, Sie haben ja gar keinen selbstgestrickten Schal an!“, erinnert sie sich und lacht.

Dabei sind fortgeschrittene Häkelkünste längst keine Vorbedingung mehr, um Umweltschutz für eine gute Sache zu halten. Das Thema ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Der beste Beweis: In den Sonntagsfragen zur Bundestagswahl kommen die Grünen derzeit verlässlich auf mehr als 20 Prozent, fast die Hälfte der Deutschen könnte sich ihren Parteivorsitzenden Robert Habeck laut aktuellen Umfragen als Bundeskanzler vorstellen. Und Baden-Württemberg wird bereits seit 2011 von einem grünen Ministerpräsidenten regiert.

Als der erste Mercedes-Benz ein Umweltzertifikat vom TÜV Süd bekommen hat, hatten die Grünen bei der Bundestagswahl gerade 8,1 Prozent erzielt – und das Bundesland, in dem das Automobil erfunden wurde, war auf der politischen Landkarte noch selbstverständlich in ein tiefes Schwarz getaucht. „Das war 2005, die damalige S-Klasse“, sagt Anita Engler. Das Team, das sich bei Daimler schwerpunktmäßig um Ressourcenschonung und Recycling kümmert, leitet sie seit 2008.

In zwei Nachbarteams beschäftigen sich die Kolleginnen und Kollegen mit weiteren Themen, die unmittelbar mit dem umweltgerechten Design unserer Fahrzeuge zusammenhängen: einmal mit Stoffverboten, Innenraumemissionen und Allergenen und einmal mit der Ökobilanz und den Emissionen über den Lebenszyklus eines Fahrzeuges.

Und klar ist: Es sind weit mehr Menschen als nur die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser drei Teams, die unterm Stern daran arbeiten, die ganze Fahrzeugflotte so umweltgerecht wie möglich zu machen: „Wir haben hier eine absolute Querschnitts-Funktion“, sagt Anita Engler, „das sind immer Projekte, an denen viele mitarbeiten: die Entwicklung, die Werkstofftechnik, das Design, der Einkauf, das Qualitätsmanagement und natürlich auch unsere Lieferanten. Es ist eine Gemeinschaftsaufgabe.“

118 Bauteile einer A-Klasse sind in Teilen aus ressourcenschonendem Material

Heute haben alle Fahrzeuge, die in den Mercedes-Benz Pkw-Werken produziert werden, ein Umweltzertifikat nach ISO 14062. „Das zeichnet uns im Vergleich zum Wettbewerb aus“, sagt Anita Engler. Die externen Gutachter prüfen dabei unter anderem jeden einzelnen auf die Ökobilanz bezogenen Wert, den Daimler im Vertrieb oder in seiner Werbung nutzt.

Zum Beispiel diesen hier: In einer A-Klasse können insgesamt 118 Bauteile mit einem Gesamtgewicht von 58,3 Kilogramm anteilig aus ressourcenschonenden Materialien hergestellt werden. Die Rede ist dabei zum einen von nachwachsenden Rohstoffen – zum Beispiel Baumwolle, Hanf oder Kenaf. Zum anderen geht es um Kunststoff-Rezyklate, also Bauteile aus per Recycling zurückgewonnenem Kunststoff-Material.

„Bei der derzeitigen Plastik-Debatte ist mir diese Erkenntnis wichtig: Kunststoff ist an sich kein Teufelszeug. Kunststoff ist ein wichtiger Rohstoff. Genau darum ist es wichtig, dass wir verantwortungsvoll damit umgehen“, sagt Anita Engler. Bei Daimler ist diese Verantwortung sogar im Lastenheft für die Lieferanten verbrieft. Dort steht: Kunststoffteile sind für den Einsatz von nachwachsenden Rohstoffen oder Rezyklaten vorgesehen.

„Wir haben diesen Satz mit dem Einkauf abgestimmt – und mir war wichtig, dass wir das nicht so wischi-waschi halten“, sagt Anita Engler. Denn es gibt noch viele Kunststoffteile im Auto, die aus ressourcenschonender Quelle hergestellt werden könnten: „Wir wollen den Anwendungsbereich für Rezyklate ausweiten. Und wir wollen unsere Lieferanten anspornen, gemeinsam mit uns hochwertige Lösungen zu finden, die auf der einen Seite umweltgerecht sind – und die auf der anderen Seite unsere anspruchsvollen technischen Anforderungen und Qualitätsanforderungen erfüllen.“

Recycling mal anders: Sitzbezüge aus PET-Plastikflaschen

Meist werden Rezyklate im Verborgenen eingesetzt, in Teilen, die für unsere Kunden unsichtbar sind oder zumindest nicht direkt ins Auge fallen. Aber sie eignen sich auch für den Einsatz an Stellen, die bei jeder Fahrt erlebbar sind – und zwar ohne Abstriche. Ein Beispiel sind Sitzbezüge. So gibt es im neuen Mercedes-Benz EQC (Mercedes-Benz EQC 400: Stromverbrauch kombiniert: 21,3-20,2 kWh/100km; CO2-Emissionen kombiniert: 0 g/km*) den Sitzbezugsstoff sunnyvale als Teil der Elektrik-Art-Line oder auch als einzeln auswählbare Sonderausstattung. Das Textil des Sitzbezugs besteht zu 100 Prozent aus wiederverwerteten PET-Plastikflaschen, die den Recyclingprozess komplett durchlaufen haben.

„Gerade bei einem solchen Paradigmenwechsel wie vom Verbrennungsmotor zum Elektroantrieb muss das Thema Nachhaltigkeit ganzheitlich gedacht werden. Daraus ist die Idee für einen nachhaltigen Sitzbezug entstanden“, sagt Silke Noack. Sie arbeitet im Designbereich von Mercedes-Benz Cars, genauer gesagt in der Abteilung Color & Trim. Das Team dort gestaltet alle Oberflächen im Exterieur und Interieur – farblich, strukturell, materiell und grafisch. Ihre Mitarbeiterin Occa Büchner, die gemeinsam mit Anna Greif für die grundlegende Oberflächen-Gestaltung des EQC zuständig war, erinnert sich noch genau an den Weg zum innovativen Bezug: „Wir haben mit Bambustextilien, Wolle und auch mit recyceltem PET experimentiert, um einen nachhaltigen und umweltfreundlichen Stoff für die Sitzbezüge zu entwickeln. PET stand schnell im Vordergrund, da es am besten zu einer seriellen Umsetzung passt. Umnutzung statt Wegwerfen ist hier das Stichwort – auch wenn es uns schon einiges an Durchhaltevermögen abverlangt hat, um aus dem Recycling-Material einen Stoff herzustellen, der die Ansprüche von Mercedes-Benz erfüllt.“

Der Kunststoff PET, der aus den recycelten Plastikflaschen zurückgewonnen wird, gehört zur Gruppe der Polyester und lässt sich gut in Textilien verarbeiten. Er ist knitterfrei, reißfest, witterungsbeständig und nimmt nur wenig Wasser auf. Material aus PET ist zudem unter Hitze beliebig verformbar. So können die zerkleinerten Plastikflaschen geschmolzen und anschließend zu Fasern geformt werden. Aus diesen Fasern entsteht dann das Garn für den Stoff des Sitzbezugs.

Dass Plastik wiederverwertet wird, ist ein guter und wichtiger Aspekt – und einer, der vielen Menschen auch durchaus bewusst ist. Aber dass es in Zusammenhang mit dem gewohnt luxuriösen Interieur in einem Mercedes-Benz stehen könnte? Das klingt zunächst einmal wie ein unvereinbarer Gegensatz. Ist es aber nicht. Anita Engler sagt: „Das ist für viele Menschen, die sich nicht so intensiv mit Recycling beschäftigen, oft die größte Überraschung: Dass man dem Endprodukt gar nicht ansehen muss, dass wiederaufbereitete Rohstoffe drinstecken. Sondern, dass es etwas wirklich Schönes und Tolles ist.“

Nachhaltiger Luxus ist kein Widerspruch

Nicht alle Bauteile, die bei Mercedes-Benz mit umweltschonenden Ressourcen realisiert werden, eignen sich so sehr als plakatives Beispiel wie die Sitzbezüge. Aber auch die auf den ersten Blick weniger spektakulären Projekte haben einen großen Effekt: „Wir setzen zum Beispiel bei den Kabelkanälen unserer Autos inzwischen ressourcenschonenden Kunststoff ein. Darin stecken eine Menge Arbeit und fast dreieinhalb Jahre Entwicklungszeit“, sagt Anita Engler: „Natürlich ist so ein Kabelkanal als Bauteil total unsexy. Aber in der Masse machen wir damit einen echten Unterschied: Denken Sie nur mal dran, dass mehrere Kilometer Kabel in einem Auto stecken. Und daran, dass wir im vergangenen Jahr mehr als zwei Millionen Mercedes-Benz Pkw verkauft haben.“

Wahrscheinlich ist es die Masse an kleinen Schritten, die den Weg zur großen Veränderung ebnet. Und die dafür sorgt, dass sich immer weniger Menschen skeptisch an der Stirn kratzen, wenn es um die Frage geht, ob Luxus und Nachhaltigkeit zusammenpassen können. Darum, wie sich Luxus mit möglichst geringem CO2-Ausstoß und Ressourcenverbrauch realisieren lässt.

Anita Engler hat die Antwort für sich längst gefunden: „Gerade weil wir eine Premium-Marke sind, dürfen unsere Kunden von uns erwarten, dass wir diesen vermeintlichen Widerspruch anpacken – dass wir uns einsetzen, um unsere Produkte so nachhaltig wie irgendwie möglich gestalten. Wir haben innovative, luxuriöse und schöne Fahrzeuge. Und wir wollen, dass sie nachhaltig sind. Daran arbeiten wir Tag für Tag. Denn Luxus muss nachhaltig sein. Punkt.“

Sven Sattler

Dieser Beitrag wurde von Sven Sattler geschrieben. Er schreibt bei Daimler für verschiedene Medien und hat vor ein paar Jahren auch mal ein Politikwissenschaft-Studium abgeschlossen. Damals hätte er sich nicht vorstellen können, dass Nachhaltigkeit so schnell zu einem zentralen Thema in der gesellschaftlichen Debatte werden könnte. Gut findet er die Entwicklung trotzdem.

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