Mercedes-Benz Art Collection

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Kunst als Gegengewicht.

Die Umfirmierung in Mercedes-Benz Group AG wirkt sich auch auf die renommierte Kunstsammlung der ehemaligen Daimler AG aus: Aus der Daimler Art Collection wird die Mercedes-Benz Art Collection. An der Ausrichtung als avantgardistischer Fix-Stern am Kunsthimmel ändert sich nichts. Im Gegenteil, Leiterin Renate Wiehager und ihr Team haben viel vor.

8 Min. Lesedauer

von Holger Mohn, Autor
erschienen am 12. Mai 2022

„Es bedeutet eine riesige Herausforderung für uns“, macht Renate Wiehager deutlich. Der neue Name soll bei den Kolleginnen und Kollegen im Konzern, bei den internationalen Kunstexpertinnen und -experten sowie in der breiten Öffentlichkeit schnell etabliert werden. Mit intensiver Kommunikation will sie vor allem der Kunst- und Kulturszene ihre Botschaft vermitteln: „Die Daimler Art Collection wurde weder aufgelöst noch aufgegeben. Sie besteht. Und sie arbeitet uneingeschränkt weiter mit gewohnt großem Engagement – jetzt nur unter dem neuen Namen: Mercedes-Benz Art Collection.“

 Renate Wiehager, Leiterin Mercedes-Benz Art Collection.
Renate Wiehager, Leiterin Mercedes-Benz Art Collection.

Eine der 100 bedeutendsten Unternehmenssammlungen weltweit

„Zum Glück fangen wir nicht ganz von vorne an.“ Wiehager lacht bei diesem Satz, denn sie weiß, dass diese Einschätzung etwas untertrieben ist. Die Daimler Art Collection hat sich in den 45 Jahren ihrer Existenz einen exzellenten Ruf erarbeitet. Sie verkörpert das Engagement des Konzerns für die Kunst als Teil seines gesellschaftlichen Selbstverständnisses, seines kulturellen Profils und seines nachhaltigen Denkens. Spätestens mit ihrer Welttournee, bei der sie von 2003 bis 2018 in 15 der wichtigsten internationalen Museen präsent war, wurde die Art Collection als eine der 100 international bedeutendsten Unternehmenssammlungen wahrgenommen. „Wenn wir heute irgendwo auf der Welt und besonders im automobilen Umfeld über Sammlungen sprechen, kennt uns jeder. Und zwar nicht, weil wir einen so teuren Kunstbestand halten oder so enorm viel ausstellen. Sondern weil bei uns eine herausragende Kombination aus Qualität und Innovation, aus wissenschaftlicher Arbeit und publizistischer Tätigkeit vorhanden ist.“ Der Leiterin ist wichtig, diesen Nimbus zu bewahren.

„Wenn sich jeden Tag die Probleme in der Welt gefühlt verdoppeln und verdreifachen, erzeugt die Auseinandersetzung mit Kunst als Moment der inneren Stabilität und des inneren Wachsens ein Gegengewicht.“

Renate Wiehager Leiterin Mercedes-Benz Art Collection

Kunst gibt eine Perspektive

Im Gespräch mit Renate Wiehager wird die Begeisterung greifbar, mit der sie seit 20 Jahren die Unternehmenssammlung weiterentwickelt. Von ihren Anfängen im Umfeld der süddeutschen Moderne begleitete die Art Collection den Konzern bei der Internationalisierung, bei der Evolution zu progressivem Design, bei der Diversität. Heute steht die Kollektion ganz selbstverständlich für abstrakt-minimalistische Positionen bis hin zu internationaler Fotografie und Medienkunst – einhergehend mit der konsequenten Etablierung der Frauen in der Kunst und der nachhaltigen Förderung junger Künstlerinnen und Künstler in aller Welt. „Wir verstehen Kultur als ein analytisches Medium in unserer Zeit“, sagt Renate Wiehager. „Wenn sich jeden Tag die Probleme in der Welt gefühlt verdoppeln und verdreifachen, erzeugt die Auseinandersetzung mit Kunst als Moment der inneren Stabilität und des inneren Wachsens ein Gegengewicht.“

Die Sammlungsleiterin betont den Wert einer solchen Auseinandersetzung, die eine positive Perspektive für das Leben erzeuge. „Man kann nicht immer nur ins schwarze Loch schauen. Der Mensch braucht Licht. Wir wollen, dass die Menschen Kraft gewinnen aus der Beschäftigung mit den allgemeinen kulturellen und den eigenen geistigen Ressourcen.“ Die Arbeit der Sammlung definiere einen Punkt, von dem aus man sich selbst erkenne – als Individuum, aber auch als Unternehmen. „Wir sehen Kunst im weitesten Sinne als modellhaften Raum mit genug Platz, um sich selbst auszuprobieren, Substanz zu entwickeln und Positionen auszutesten, die auch offen genug sind, andere Meinungen und neue Aspekte einzubeziehen.“

Ausstellung: Friendship. Nature. Culture. 44 Jahre Daimler Art Collection.
Ausstellung: Friendship. Nature. Culture. 44 Jahre Daimler Art Collection.
Ausstellung: 31: Women.
Ausstellung: 31: Women.
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Am Anfang war die Bildungsidee

Damit führt die Mercedes-Benz Art Collection die Idee in die Zukunft, mit der der spätere Vorstandsvorsitzende Edzard Reuter die Sammlung 1977 initiiert hatte. „Diese Zeit eröffnete für große Unternehmen in Deutschland die Möglichkeit, sich über ihre Positionierung im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umfeld hinaus in der Kunst und Kultur zu engagieren“, erklärt Renate Wiehager. „Daimler-Benz zog damals als erstes und einziges deutsches Automobilunternehmen gleich mit anderen führenden Konzernen.“ Anfangs zunächst im Umfeld des Vorstands platziert, wurde der Gedanke des Bildungsangebots schnell auf Mitarbeiter erweitert. „Dieser Auftrag ist bis heute grundlegend für unsere Arbeit und unsere Sammlungsstruktur und -expertise.“ So kommen in Untertürkheim, aber auch an anderen Standorten, die Beschäftigten ganz selbstverständlich mit der Sammlung in Kontakt. Ein Highlight dabei ist die immer wieder wechselnde Ausstellung in der Konzernzentrale Untertürkheim mit 200 Kunstwerken auf zwölf Etagen. Über ihr Education Programm fördert die Art Collection Mercedes-Benz Art Collection bewusst auch die Kunstvermittlung für Familien mit Kindern, Schüler und Studierende.

„Wir verfolgen eine nachhaltige Geschäftsstrategie und wollen einen erkennbaren Nutzen für das Gemeinwohl stiften. Kultur- und Bildungsförderung ist etwas, das uns alle angeht – und auch wir als Unternehmen können einen Unterschied machen.“

Renata Jungo Brüngger Vorstandsmitglied der Mercedes-Benz Group AG. Integrität, Governance & Nachhaltigkeit

Seit Dezember 2021 gehört die Mercedes-Benz Art Collection organisatorisch zum Ressort von Renata Jungo Brüngger, im Vorstand der Mercedes-Benz Group AG zuständig für Integrität und Recht und zudem Co-Vorsitzende des Group Sustainability Boards. „Ich habe eine große Leidenschaft für Kunst und freue mich daher sehr, dass ich auf Vorstandsebene auch unsere Kunstsammlung verantworten darf. Die Kolleginnen und Kollegen dort leisten hervorragende Arbeit, das zeigt das internationale Renommee der Sammlung.“ Das gesellschaftliche Engagement des Unternehmens für Kultur und Bildung ist Renata Jungo Brüngger ein großes Anliegen: „Wir verfolgen eine nachhaltige Geschäftsstrategie und wollen einen erkennbaren Nutzen für das Gemeinwohl stiften. Kultur- und Bildungsförderung ist etwas, das uns alle angeht – und auch wir als Unternehmen können einen Unterschied machen.“ Die Mercedes-Benz Art Collection sei dafür das beste Beispiel.

Renata Jungo Brüngger, Vorstandsmitglied der Mercedes-Benz Group AG. Integrität & Recht
Renata Jungo Brüngger, Vorstandsmitglied der Mercedes-Benz Group AG. Integrität & Recht

Sammlungsprofil weit übers Auto hinaus

Inden 45 Jahren ihrer Geschichte hat die Mercedes-Benz Art Collection ein prägnantes Profil entwickelt und dieses stetig und systematisch ausgebaut. „Inhaltlich und kuratorisch versuchen wir, der Sammlung eine klare und erkennbare kunsthistorische Orientierung ohne zu viele stilistische Einschränkungen zu geben“, erklärt Renate Wiehager. Die rund 3.000 Werke von 800 internationalen Künstlerinnen und Künstlern setzen einen Schwerpunkt im Bereich der abstrakten Avantgarde von der Klassischen Moderne beginnend mit dem Umfeld der Stuttgarter Schule und des Bauhauses bis in die Gegenwart. Daneben wurde in den vergangenen 20 Jahren ein zweiter Schwerpunkt neu aufgebaut mit internationaler Fotografie und Medienkunst. „Das gab es so in der Form in unserer Sammlung vorher nicht.“ Und sicherlich nicht überraschend in einem Automobilkonzern ist der dritte Sammlungsschwerpunkt: die automobilbezogene Kunst. Allerdings überrascht schon, dass dieses Feld nur fünf Prozent der Kollektion ausmacht und dabei nicht mal zwingend Autos zu sehen sind. Neben dem großen Bestand von Werken der Gattungen Malerei, Zeichnung, Collage, Video, Fotografie und Installation ist Renate Wiehager auch auf eine kleine Nische in der Sammlung stolz. „Es ist relativ wenig bekannt, dass wir mit 25 großen Skulpturen an den Standorten Sindelfingen, Untertürkheim, Berlin über eine der bedeutendsten Sammlungen großer Skulpturen eines deutschen Unternehmens verfügen.“ Heute wie morgen gibt es also in der Art Collection Mercedes-Benz immer neue Perspektiven zu entdecken.

Yuken Teruya: Notice-Forest Louis Vuitton, 2019. Foto: Hans-Georg Gaul, Berlin.
Yuken Teruya: Notice-Forest Louis Vuitton, 2019. Foto: Hans-Georg Gaul, Berlin.
Camille Gräser, Harmonikale Konstruktion, 1947/51; Daimler Art Collection, Stuttgart/Berlin; Foto: Andreas Freytag, Stuttgart. © VG-Bild-Kunst, Bonn 2022.
Camille Gräser, Harmonikale Konstruktion, 1947/51; Daimler Art Collection, Stuttgart/Berlin; Foto: Andreas Freytag, Stuttgart. © VG-Bild-Kunst, Bonn 2022.
Ausstellung: From a Poem to the Sunset: Yang Fudong. Foto: Hans-Georg Gaul, Berlin.
Ausstellung: From a Poem to the Sunset: Yang Fudong. Foto: Hans-Georg Gaul, Berlin.
Isabell Heimerdinger: Still aus Soon It Will Be Dark, 2020.
Isabell Heimerdinger: Still aus Soon It Will Be Dark, 2020.
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Ausstellung im Mercedes-Benz Museum

Mit dem Mercedes-Benz Museum in Untertürkheim zeichnet sich eine intensivierte Zusammenarbeit ab. So sollen ab Oktober 2022 Werke aus der Kunstsammlung punktuell die Dauerausstellung ergänzen, die in der Doppelhelix des Museumsrundganges den Mythos Mercedes und die Fahrzeug-Kollektion des Automobil-Erfinders präsentiert. Zusätzlich wird eine mehrwöchige Kunstausstellung dem Programm des Mercedes-Benz Museums eine sehenswerte Komponente hinzufügen. Die Premiere ist für diesen Herbst geplant. Die thematische Ausrichtung der Schau verrät Renate Wiehager noch nicht. Eines ist jedoch fest versprochen: „Es wird außergewöhnlich und ein spektakulärer Beitrag zum Stuttgarter Kulturangebot.“

Mercedes-Benz Museum.
Mercedes-Benz Museum.

Holger Mohn

versteht sich als klassischer „Blattmacher“ – früher gedruckt, heute digital. Von der Tageszeitung über Mitarbeiterzeitungen und -magazine bis zur Unternehmenswebsite hat er schon die verschiedensten Medien und Formate begleitet – in der Hauptsache bei und für Mercedes-Benz und Daimler. Und das, obwohl der bekennende Hesse den Job in Stuttgart „höchstens drei, maximal vier Jahre“ machen wollte. Inzwischen sind es deutlich über 20. Er würde es heftig verneinen, aber es scheint, als hätte das Leben und Arbeiten im schwäbische Exil durchaus angenehme Seiten.

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