Car-aoke | #11

„Telegraph Road“ von den Dire Straits.

Kaum ein Alltagsgegenstand hat die moderne Musik so sehr geprägt wie das Auto. In dieser Kolumne schreiben unsere Redakteure in losen Abständen über Songs, die eine Automobil-Geschichte erzählen. Manche davon haben es damit sogar in die Musik-Geschichte geschafft. Aber längst nicht alle ...

2 Min. Lesedauer

von Michael Kern,
erschienen am 11. Februar 2021

Die Route 66 – über kaum eine andere Straße wurden mehr Bücher geschrieben, Lieder gesungen und Filme gedreht. Kult-Werke wie Easy Rider haben diesen legendären Highway zum Inbegriff von Freiheit und Abenteuer werden lassen.

Weit weniger bekannt und glamourös ist die Route 24 – und das obwohl die Dire Straits einem Teilstück dieses Highways ein musikalisches Denkmal gesetzt haben: der Telegraph Road.

Beim Schreiben dieses Textes habe ich mich gefragt: Kann man in einer Rubrik namens „Car-aoke“ über einen Titel schreiben, in dem Autos nur ganz am Rande erwähnt werden? Ich finde: Ja, man kann. Man muss es sogar. Denn in diesem Fall spielt eine Straße die Hauptrolle. Und seien wir mal ehrlich: Der Durchbruch und anschließende Erfolg des Autos wären ohne Straßen und Wege – im wahrsten Wortsinn – sehr viel holpriger verlaufen. Sie sind Wegbereiter für Mobilität. Mehr noch: Sie sind die Lebensadern unserer Gesellschaft.

Und genau davon handelt auch das von Mark Knopfler geschriebene Telegraph Road: Ein Trampelpfad in der Wildnis wird zur Keimzelle einer namenlosen Stadt. Alles beginnt mit einer einzelnen Hütte entlang des Pfades. Es lassen sich weitere Siedler dort nieder. Und schließlich folgen Läden, Kirchen und Schulen. Sinnbildlich für den wirtschaftlichen Aufstieg steht der Trampelpfad: Er wird zur sechsspurigen, verkehrsgeplagten Autobahn ausgebaut.

Die zweite Hälfte des Liedes beschreibt, was auf den Aufschwung folgt: Jahre später sind Fabriken und Läden geschlossen, es gibt keine Arbeit mehr und die Stimmung in der Bevölkerung schwankt zwischen Wut, Verzweiflung und Perspektivlosigkeit. Die einzige Chance auf eine bessere Zukunft: Die Stadt und mit ihr all die Probleme zu verlassen. Mit einer letzten Fahrt auf der besungenen Straße. Welch Ironie des Schicksals!

Die Telegraph Road erstreckt sich durch den Großraum Detroit. Es ist also naheliegend, woher Mark Knopfler seine Inspiration für diesen 14-minütigen Intensivkurs in Wirtschaftsgeschichte bezog: Der Niedergang der einstigen Motor City wurde zum Sinnbild des industriellen Abstiegs der USA. Gleichzeitig spiegelt das Schicksal der namenlosen Stadt die Situation zahlreicher anderer Städte und Regionen wider, die irgendwie den Anschluss verpasst haben.

Seit seinem Erscheinen 1982 ist das Lied bis heute stets aktuell geblieben – und wird es auch weiterhin bleiben. Umso mehr da die digitalen Autobahnen den Telegraph Roads dieser Welt immer mehr den Rang ablaufen und dadurch neue Transformationen angestoßen werden. Eine Frage bleibt: Werden über diese Datenhighways jemals solche musikalischen und lyrischen Meisterwerke geschrieben?

Michael Kern

wurde etwas zu spät geboren, um die Dire Straits noch live zu erleben. Er hatte aber das Glück, die musikalischen Qualitäten von Mark Knopfler bereits mehrfach bewundern zu können – Telegraph Road inklusive.

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