100 Dinge, die Sie über Mercedes-Benz wissen sollten | #29

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Schäferstündchen unter Sternen.

Vorserienmodelle, Prototypen, neue Technologien und Antriebe. Das Prüf- und Technologiezentrum von Mercedes-Benz in Immendingen ist ein wichtiges Glied in der Entwicklungs- und Erprobungskette des Unternehmens. Und für Auto- und Technikfans ist der Ort im Süden Baden-Württemberg ein echtes Eldorado. Doch auch Naturfreunde kommen auf ihre Kosten – obwohl auf den ersten Blick niemand damit rechnen würde, dass neben Erlkönigen auch ein waschechter Schäfer und seine wollenen Vierbeiner hier zu Hause sind.

5 Min. Lesedauer

von Dominik Grill, Autor
erschienen am 11. November 2021

Auf einer Gesamtfläche von 520 Hektar finden sich in Immendingen Hochgeschwindigkeits-Tracks, Serpentinen, 4x4-Modul und manches mehr. Insgesamt sind es mehr als 30 Test- und Prüfstrecken, auf denen sich verschiedenste Bedingungen simulieren lassen, denen Fahrzeuge im Alltag ausgesetzt sind.

Mit Sensoren und Meßtechnik vollgestopft, dreht eine Kolonne EQS leise surrend ihre Runden, andernorts driften streng geheime Prototypen über nasse Asphaltflächen. Eigentlich ein typischer Tag im Prüf- und Technologiezentrum Immendingen - wäre da nicht ein unablässiges Mähen und Blöken im Hintergrund. Hier, im grünen Herzen des Geländes, weidet seelenruhig eine Herde Schafe, unter dem wachen Auge von Alexander Zonta. Richtig, er ist der Schäfer von Immendingen – einen typischen Hirtenstab hat er nicht, dafür kennt er alle seine Vierbeiner beim Namen.

Gar nicht so einfach, tummeln sich doch rund 150 Schafe auf den Weiden des Testgeländes. Es mag wohl an der besonderen Beziehung liegen, die der Mann mit dem sympathischen Lächeln zu seinen Schützlingen pflegt. Angefangen hat alles mit vier Schafen, die der studierte Waldorf-Pädagoge während seiner Uni-Zeit zu sich nahm. Schnell wurde das Hobby zur Leidenschaft und aus den vieren eine stolze Herde verschiedenster Arten und Generationen. Zur Herde – oder muss man bei einer Mercedes-Schafherde nicht eher vom Portfolio sprechen? – gehören kleingewachsene Mufflons, mehrere Kamerun- und Brillenschafe sowie Merinos, großgewachsene Wollschafe, die gut und gerne 90 Kilogramm auf die Waage bringen.

Alexander Zonta, der Schäfer von Immendingen.
Alexander Zonta, der Schäfer von Immendingen.
 Die persönliche Beziehung zu seinen Tieren ist unübersehbar.
Die persönliche Beziehung zu seinen Tieren ist unübersehbar.
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Ein Wildparadies im Verkehrsdschungel

Vor fünf Jahren, als Zonta bei der Stadt Immendingen die Stelle des wohl ersten Schäfers eines Auto-Testgeländes antrat, zählte die Herde 35 Tiere. Daimler suchte damals nach einer umweltbewussten Alternative zum konventionellen Rasen- und Grünschnitt. Und von Anfang an war klar: Das Projekt ist langfristig angelegt – es soll mehr sein als nur ein kurzes Schäferstündchen. Ein Jahr dauerte die Probezeit, immer unter strenger Beobachtung von Experten für Flora und Fauna. Schließlich war man von Zontas Umgang mit den Vierbeinern und dem Nutzen der Tiere für die Natur überzeugt.

15 Hektar bewirtschaften die vierbeinigen Bio-Rasenmäher heute – und sind dabei nicht nur deutlich günstiger als ihre motorbetriebenen Pendants, sondern machen auch vor Büschen und Sträuchern nicht halt. Das schützt die wertvollen Magerwiesen und garantiert die Pflanzenvielfalt. Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein wird in Immendingen ohnehin großgeschrieben. Die Daimler-Schafe sind eine von vielen Maßnahmen zum Naturschutz. So werden für jeden genutzten Hektar Fläche zwei Hektar in der Umgebung wiederaufgeforstet. Mehrere Wildbrücken und -tunnel bilden einen Korridor, der mitten durchs Testgelände führt. Längst haben Luchse und Uhus, Waschbären und Füchse und allerlei anderes Getier das Areal zu einem wahren Wildparadies gemacht. Auch Wölfe sollen durch die umliegenden Wälder streifen. Angst brauchen Zontas Schafe aber nicht zu haben: Mit zur Immendinger Herde gehören auch mannshohe Lamas, die mit ihrem beeindruckenden Äußeren jeden Fressfeind abschrecken.

Zur Herde gehören auch mannshohe Lamas.
Zur Herde gehören auch mannshohe Lamas.
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Von Elf und seinen Nachkommen

Dass sich die Herde innerhalb von fünf Jahren auf 150 Tiere mehr als vervierfacht hat, liegt vor allem an „Elf“, einem reinrassigen Mufflon mit beeindruckendem Gehörn. Er ist der Zuchtbock der Herde und stolzer Vater von rund 100 Tieren. Mit diesem sogenannten Urschaf will Zonta wieder zurück zu einer natürlichen, gesünderen Lebensweise – für Tier und Umwelt. Mufflonschafe sind kleiner und leichtfüßiger als ihre hochgezüchteten Nachfahren. Das ist besser für den Boden – und auch für den Körperbau der Schafe. Noch dazu sind sie außerordentlich pflegeleicht: Den Wollwechsel übernehmen sie selbst, das aufwändige Scheren und Pflegen des Fells fällt weg. Die Wolle ist ohnehin zweitrangig, die Schafe sollen zufrieden sein und die Wiesen bewirtschaften. „Glücklich frisst gut“, meint Zonta.

Während Elf und seine Artgenossen also ungeschoren davonkommen, geht es den Wollschafen nicht nur wortwörtlich an den Pelz. Sie können sich zwar eines glücklichen Lebens und regelmäßigen Scherens gewiss sein, doch langfristig wird ihre Art aus der Herde verschwinden. Ihre Nachfahren sind Hybride. Damit meint man bei Schafen – anders als bei Autos – freilich keine Kombination aus herkömmlichem und Elektro-Antrieb, sondern Kreuzungen verschiedener Rassen. In diesem Fall aus Mufflon und Merino-, Kamerun- oder Brillenschaf. Und mit jedem Neugeborenen wird die Evolutionsgeschichte eine Generation zurückgedreht.

Der Zuchtbock "Elf". Der Name soll von seinem elfenhaften Aussehen in jungen Jahren stammen. Mittlerweile hat er deren sieben auf dem Buckel. Die Schafdamen hält er aber immernoch auf Trab.
Der Zuchtbock "Elf". Der Name soll von seinem elfenhaften Aussehen in jungen Jahren stammen. Mittlerweile hat er deren sieben auf dem Buckel. Die Schafdamen hält er aber immernoch auf Trab.

Während die Immendinger Ingenieure die Mobilität von morgen gestalten, geht für Zonta und seine Schafe die Entwicklung also in die entgegengesetzte Richtung. Klar ist aber: Auch die Herde hat seit dem Start des Testzentrums in Immendingen schon einige Facelifts mitgemacht. So gehören heute bereits Jungtiere der fünften Generation dazu. Bis zum ursprünglichen Wildschaf wird es aber noch dauern: Zonta rechnet mit mindestens zehn Jahren, bis ausschließlich reinrassige Mufflons durchs Testzentrum mähen.

Ob er selbst noch so lange den imaginären Hirtenstab schwingt, ist nicht gewiss. Um die Schafe von Immendingen braucht sich aber wohl niemand Sorgen zu machen, denn ein Nachfolger steht schon bereit: der 14-jährige Noel. Jede freie Minute verbringt er bei den Tieren und hilft tatkräftig mit – vom Zäunen bis zum Scheren. Später will er mal in Zontas Fußstapfen treten. So sind sie eben, die Entwickler von Immendingen – sie denken nachhaltig und vorrausschauend.

Dominik Grill

fand vier Räder eigentlich immer interessanter als Vierbeiner. Umso begeisterter war er, dem Prüf- und Technologiezentrum Immendingen einen Besuch abzustatten. Dass die Pelztiere aber den Ingenieuren und ihren motorisierten Schäfchen die Show stehlen würden - damit konnte nun wirklich niemand rechnen!

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