Wegen COVID-19: Daimler-Hauptversammlung fand erstmals virtuell statt

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Die Sommerspiele in Tokio, der Auto-Salon in Genf und ja, sogar das Oktoberfest in München: Die Coronavirus-Pandemie hat Großveranstaltungen bis auf weiteres unmöglich gemacht. Aber was, wenn eine Veranstaltung aus rechtlichen Gründen in diesem Jahr stattfinden muss – zum Beispiel die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft? Dann erfordern ungewöhnliche Zeiten ungewöhnliche Lösungen: Am Mittwoch hat Daimler zum ersten Mal eine rein virtuelle Hauptversammlung durchgeführt. Die Geschichte eines besonderen Umzugs.

10 Min. Lesedauer

von Sven Sattler, Autor
erschienen am 09. Juli 2020

Geld überweisen, die Steuererklärung abgeben, selbst der wöchentliche Großeinkauf: Viele Dinge, für die man noch vor zehn, 15 oder 20 Jahren ziemlich selbstverständlich vor die Haustüre gegangen wäre, lassen sich heute bequem im Internet erledigen. Ja, in einigen Staaten ist es inzwischen sogar möglich, per Videochat zu heiraten. In Deutschland ist eine solche Online-Trauung nicht zulässig, fernab jeder Romantik ist die Eheschließung hierzulande ein höchstpersönliches Rechtsgeschäft und als solches im Bürgerlichen Gesetzbuch genauestens geregelt. Und Paragraph 1311 fordert unnachgiebig die persönliche und gleichzeitige Anwesenheit der Heiratswilligen vor dem Standesbeamten.

Was das mit der Aktionärsversammlung von Daimler zu tun hat? Nun ja, zumindest so viel: Ähnlich wie für Hochzeiten sah das deutsche Recht auch für Hauptversammlungen bislang vor, dass es sich hierbei um eine Vor-Ort-Veranstaltung handeln muss. Immerhin erlaubt das Aktiengesetz so viel digitale Teilhabe, dass die Gesellschaft in ihrer Satzung vorsehen kann, dass Aktionäre ihre Rechte auch mittels elektronischer Kommunikation und ohne physische Anwesenheit wahrnehmen können. Das ist aber eher als zusätzliche Notfall-Option gedacht, die die eigentliche Präsenz-Versammlung nur ergänzen, nicht aber ersetzen kann.

Planung beginnt ein halbes Jahr vor dem Event

Darum ist auch bei Daimler die Hauptversammlung traditionell ein großes Event. Schauplatz ist seit Jahren die Messe Berlin, wo sich am Veranstaltungstag Tausende Menschen tummeln: Aktionäre, Aktionärsvertreter und Investoren, aber natürlich auch Analysten, Medienvertreter, das Organisations-Team sowie die Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat. Es geht dabei freilich in erster Linie darum, dass die Gesellschafter des Unternehmens ihre gesetzlich verbrieften Rechte wahrnehmen können. Die Hauptversammlung ist für Daimler aber auch eine Gelegenheit, um den Aktionären Strategie und Produkte näherzubringen, sich mit ihnen auszutauschen und die Bindung zwischen ihnen und ihrem Unternehmen zu stärken. Ach ja: Würstchen gibt’s natürlich auch ... 

Voller Saal in Berlin – das ist das typische Setting einer Daimler-Hauptversammlung, wie hier im Mai 2019. Eine solche Großveranstaltung ist in diesem Jahr wegen der COVID-19-Pandemie nicht möglich.
Voller Saal in Berlin – das ist das typische Setting einer Daimler-Hauptversammlung, wie hier im Mai 2019. Eine solche Großveranstaltung ist in diesem Jahr wegen der COVID-19-Pandemie nicht möglich.
Mehr als 5.000 Besucher erwartet Daimler normalerweise zu seiner Hauptversammlung, hier ein Bild aus 2018.
Mehr als 5.000 Besucher erwartet Daimler normalerweise zu seiner Hauptversammlung, hier ein Bild aus 2018.
Die Hauptversammlung ist auch eine Gelegenheit, um den Aktionären Strategie und Produkte des Unternehmens näherzubringen – so wie hier im April 2018.
Die Hauptversammlung ist auch eine Gelegenheit, um den Aktionären Strategie und Produkte des Unternehmens näherzubringen – so wie hier im April 2018.
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Daimler hatte seine Aktionäre in diesem Jahr ursprünglich für den 1. April in den CityCube Berlin gebeten. Die ersten Vorbereitungen für das Großevent beginnen ein halbes Jahr vor dem Termin: Zuerst werden Termin und Veranstaltungsort bekanntgegeben, anschließend startet das Organisationsteam mit einem Basiskonzept, das Schritt für Schritt detaillierter ausgeplant und verfeinert wird. Eine Veranstaltung dieses Ausmaßes auf die Beine zu stellen, ist an sich schon unheimlich komplex. Bei einer Hauptversammlung werden die Dinge nochmal eine Spur komplizierter, weil gesetzliche Fristen und Regelungen penibel eingehalten werden müssen. Darum reichen die Arbeitspakete von A wie aktienrechtliche Abwicklung bis Z wie Zutrittskontrolle; die Menschen, die zum Gelingen einer Hauptversammlung beitragen, sitzen an vielen Stellen quer durch das gesamte Unternehmen. Natürlich sind die beiden Bereiche Corporate Protocol und Investor Relations involviert – aber auch Rechtsabteilung, Einkauf, Kommunikationsbereich, Corporate Design, und, und, und.

Anfangs waren die Auswirkungen des Coronavirus nicht absehbar

„Schon Monate vor dem Veranstaltungstermin müssen wir uns um die Logistik und die Infrastruktur vor Ort kümmern“, erklärt Sabine Lang. Man muss bei Daimler lange suchen, um jemanden zu finden, der ähnlich viele Hauptversammlungen mitgestaltet hat wie die Eventmanagerin. Seit 1992 arbeitet sie für das Unternehmen und hatte dabei fast immer etwas mit Veranstaltungsorganisation zu tun – auch Messen oder Fahrvorstellungen hat Sabine Lang schon geplant. Die jährliche Aktionärsversammlung hat sie erstmals 1999 mitorganisiert, es war die erste nach der Fusion zwischen Daimler-Benz und Chrysler. Mehr als 18.000 Aktionäre kamen damals zu dem Ereignis, damals noch in Stuttgart. Die meisten saßen in einer eigens errichteten Zeltstadt auf dem Festplatz am Cannstatter Wasen, wohin die Versammlung live übertragen wurde. Seitdem ist die Hauptversammlung für Sabine Lang eine jährlich wiederkehrende Konstante – wie Geburtstag oder Weihnachten. Heute arbeitet die 44-Jährige in der Protokollabteilung der Daimler AG, sie ist dort Projektleiterin für die Gesamtorganisation des Events, das sie ihr halbes Leben lang schon begleitet. Man kann also guten Gewissens behaupten, dass Sabine Lang in Sachen Hauptversammlung schon alles erlebt hat. Eigentlich.

Sabine Lang organisiert seit 1999 an der Daimler-Hauptversammlung mit. Heute ist sie Projektleiterin für die Gesamtorganisation.
Sabine Lang organisiert seit 1999 an der Daimler-Hauptversammlung mit. Heute ist sie Projektleiterin für die Gesamtorganisation.

Denn womit keiner rechnet, als die Planungen für die diesjährige Auflage beginnen: Ein neuartiges Coronavirus wird den Verlauf des Jahres 2020 völlig auf den Kopf stellen. Etwa einen Monat bevor sich die Tore der Berliner Messe für die Daimler-Aktionäre öffnen sollen, nimmt die Zahl der Coronavirus-Infektionen auch in Europa rasant zu. Großveranstaltungen werden wegen der Ansteckungsgefahr abgesagt: der Genfer Automobil-Salon, geplant für Anfang März, ist eine der ersten. „Die Situation hat dann eine unglaubliche Dynamik bekommen“, erinnert sich Sabine Lang, „wir waren in dieser Zeit eng mit den Behörden in Kontakt. Anfang März sind wir noch davon ausgegangen, dass wir die Hauptversammlung am 1. April würden durchführen können – aber eben unter besonderen Hygienevorkehrungen. Wir hatten bereits begonnen, Laufwege der Teilnehmer so umzuplanen, dass möglichst keine größeren Schlangen oder Menschenansammlungen entstehen.“

Doch das öffentliche Leben macht eine Vollbremsung wie es sie in Friedenszeiten zuvor nicht gegeben hat. Damit die COVID-19-Pandemie ausgebremst werden kann, müssen Mitte März Schulen genauso schließen wie Restaurants, Kinos oder Konzerthallen. Der gesellschaftliche Konsens: Nur wenn physische Kontakte auf ein Minimum reduziert werden, bekommen wir das Virus in den Griff. Bald wird klar: Auch die Daimler-Hauptversammlung wird unter diesen Vorzeichen nicht wie geplant stattfinden können. Zu unvorhersehbar ist der weitere Verlauf der Infektionswelle, zu groß das Risiko, dass sich weitere Menschen bei einer Großveranstaltung anstecken. Am 16. März, einem Montag, hätten die Messebauarbeiten für die Daimler-Hauptversammlung 2020 in Berlin starten sollen. Dazu kommt es nicht mehr: Drei Tage zuvor erfolgt die offizielle Absage durch den Vorstand.

Als abgesagt wird, sind die Einladungen schon verschickt

Am Tag der Absage ist ein Großteil der Vorbereitungen für den 1. April schon abgeschlossen. Ein Beispiel: der Prozess, der dafür sorgt, dass jeder Aktionär fristgerecht zur Hauptversammlung eingeladen wird. Denn wer im Aktionärsverzeichnis gelistet ist, hat Anspruch auf eine persönliche Einladung – standardmäßig per Post oder alternativ per E-Mail. Im Aktionärsverzeichnis von Daimler gibt es mehr als1 Million Einträge, wenn man so möchte von Kuwait bis Kleinaktionär. Es ist ein Massenversand, der den Namen verdient hat.

Die Fäden für die Vorbereitung der Hauptversammlung laufen bei Nadine Panzel zusammen. Die 43 Jahre alte Betriebswirtin arbeitet seit 1998 bei Daimler, seit anderthalb Jahren ist sie im Bereich Investor Relations für die Organisation der Hauptversammlung zuständig. Weit länger zurück liegen ihre ersten Erinnerungen an die Großveranstaltung, an der sie heute mitarbeitet, sie stammen noch aus dem Studium: „Ich habe Mitte der 1990er Jahre mal als Hostess auf einer Daimler-Benz-Hauptversammlung gearbeitet“, sagt Nadine Panzel und lacht.

Nadine Panzel ist im Bereich Investor Relations für die Organisation der Hauptversammlung zuständig.
Nadine Panzel ist im Bereich Investor Relations für die Organisation der Hauptversammlung zuständig.

Mehr als zwei Jahrzehnte später kümmert sie sich zum Beispiel darum, dass die Fristen, die das Aktienrecht vorgibt, eingehalten werden oder dass die Durchführung am Veranstaltungstag den gesetzlichen Maßgaben entspricht. Auch das Einladungsmanagement gehört dazu: „Im Bundesanzeiger haben wir die Einladung zur Hauptversammlung am 21. Februar veröffentlicht, der Versand der persönlichen Schreiben startet dann wenig später.“ Heißt im Umkehrschluss: Als die Hauptversammlung am 13. März abgesagt wird, haben die allermeisten Aktionäre ihre Einladung also schon längst erhalten.

Eine Hauptversammlung pro Jahr ist Pflicht

Die Absage ist aber nicht das Ende – sondern eher so etwas wie ein neuer Anfang. Denn eine Aktiengesellschaft wie Daimler muss mindestens einmal im Jahr zu einer solchen Gesellschafterversammlung einladen. Heißt also: Die Hauptversammlung 2020 kann nicht ins nächste Jahr verschoben werden wie Fußball-EM oder Sommerspiele. Und sie kann auch nicht einfach ersatzlos entfallen wie das Tennisturnier in Wimbledon oder das Münchner Oktoberfest. Die Pressemitteilung am Tag der Absage wagt schon einen Blick in die Zukunft: Die Rede ist von einem möglichen Ersatztermin im Juli.

Ob die Hauptversammlung aber im Juli durchgeführt werden kann und wie das dann genau aussehen soll, weiß damals noch niemand. „Wir sind unmittelbar nach der Absage auch davon ausgegangen, dass wir zwar um einige Monate verschieben, aber es dennoch bei einer Präsenzveranstaltung bleibt“, erinnert sich Sabine Lang. Dabei ist schon die bloße Neuterminierung einer so hochkomplexen Veranstaltung ein bisschen wie ein Mikado-Spiel: Es ist beinahe unmöglich, die Position eines Stäbchens zu verändern ohne dass sich andere unbeabsichtigt mitbewegen. Manchmal wackelt sogar das ganze Gebilde.

Geht das: Hauptversammlung ohne Versammlung?

Es wackelt erst recht, als mit jedem weiteren Tag die Erkenntnis reift: Das Coronavirus wird uns noch eine ganze Weile begleiten – und große Veranstaltungen werden wohl zumindest auf Monate nicht möglich sein. Gleichzeitig lernen die Menschen auch von Woche zu Woche besser, mit den pandemiebedingten Einschränkungen umzugehen. Schließlich müssen manche Dinge auch irgendwie funktionieren, wenn sich wegen der Gefahr einer Ansteckung nicht viele Menschen an einem Ort versammeln können. Wo es möglich ist, wechseln zum Beispiel viele Arbeitnehmer vom Großraumbüro ins Homeoffice. Schüler und Lehrer treffen sich nicht mehr im Klassenzimmer, sondern in der Online-Konferenz. Gleiches gilt für Studenten und Professoren.

Aufbauarbeiten im TV-Studio kurz vor der Hauptversammlung 2020. Eine Ausnahmeregelung für die Zeit der Pandemie macht die rein virtuelle Durchführung der Veranstaltung möglich.
Aufbauarbeiten im TV-Studio kurz vor der Hauptversammlung 2020. Eine Ausnahmeregelung für die Zeit der Pandemie macht die rein virtuelle Durchführung der Veranstaltung möglich.

Ist es also denkbar, auch eine ganze Hauptversammlung ohne Präsenzpflicht durchzuziehen? Also auch auf diesem juristisch nicht ganz trivialen Gebiet digitales Neuland zu betreten? Der Gesetzgeber überlegt – und sagt: Ja. Am 27. März verabschiedet der Bundestag ein besonders eiliges Gesetz, es trägt den formschönen Titel Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht. Dessen Artikel zwei schafft die rechtlichen Voraussetzungen dafür, dass Aktiengesellschaften ihre Gesellschafterversammlungen zumindest im Jahr 2020 komplett online durchführen können.

Vom leeren Blatt zum virtuellen Event waren es drei Monate

Wahrscheinlich gilt für Präsenz-Veranstaltungen genau wie für virtuelle Großevents: Als gewöhnlicher Teilnehmer sieht man nicht, wie viel Arbeit nötig ist, damit sie gelingen. Wie viel Leidenschaft, Herzblut und Schweiß nötig waren, damit am Ende alles läuft wie geplant.

Und manchmal gibt’s Momente, da lacht einen die Ironie des Schicksals an. Zum Beispiel am 1. April: Ausgerechnet an dem Tag, an dem das eigentliche Event in Berlin hätte stattfinden sollen, beginnen bei Daimler die Planungen für die virtuelle Hauptversammlung – tags zuvor war der endgültige Entschluss gefallen, wegen der COVID-19-Pandemie im Jahr 2020 von einer Präsenz-Hauptversammlung abzusehen. „Die größte Herausforderung bei der Organisation kann man sich da selbst ausrechnen: von Anfang April bis Anfang Juli waren es gerade einmal drei Monate“, sagt Sabine Lang. Natürlich gibt es ganz andere Schwerpunkte, wenn man eine virtuelle Veranstaltung plant. So bekommt zum Beispiel die Zuverlässigkeit der Übertragungstechnik noch einmal viel stärkeres Gewicht, wenn die Aktieninhaber nicht vor Ort sein können, sondern sich nur per Live-Stream zuschalten: „Man braucht zwar keinen Messebau – aber auch ein digitales Event muss gewissermaßen zusammengebaut werden. Und nicht zu vergessen: Bei der Organisation einer Präsenz-Hauptversammlung greifen wir auf jahrelange Erfahrungen zurück. Bei der virtuellen starteten wir wirklich auf einem leeren Blatt.“

Sabine Lang (li.) und Nadine Panzel bei den Vorbereitungen zur virtuellen Hauptversammlung im TV-Studio.
Sabine Lang (li.) und Nadine Panzel bei den Vorbereitungen zur virtuellen Hauptversammlung im TV-Studio.

Bis zu 12.000 Zuschauer haben virtuell teilgenommen

Dieses sprichwörtlich leere Blatt haben die Organisatorinnen und Organisatoren der Hauptversammlung mit vielen (digitalen) Pinselstrichen gefüllt – trotz aller Widrigkeiten und Unwägbarkeiten, die die Coronavirus-Pandemie mit sich brachte. Die Messlatte an sich selbst hatte das Team ohnehin hochgelegt: „Wir haben uns natürlich die virtuellen Events von anderen Unternehmen angeschaut und man sieht, ob einfach nur das Präsenzkonzept ins Internet umgezogen oder ob von Grund auf neu geplant wurde“, sagt Sabine Lang: „Wir wollten für die virtuelle Daimler-Hauptversammlung ein Format erschaffen, das mit Leben gefüllt ist – auch wenn die Gäste dieses Mal nur am Bildschirm mit dabei sein konnten.“

Bis zu 12.000 Zuschauer haben sich gestern an Computer, Tablet oder Smartphone selbst ein Bild davon gemacht. Die Organisatoren sind erleichtert, dass technisch soweit alles reibungslos geklappt hat. Und sie sind zuversichtlich, dass man dem digitalen Event angesehen hat, dass sie sich mehr vorgenommen hatten als nur das klassische Programm aus Grußworten, Geschäftsbericht und Generaldebatte online über die Bühne zu bringen.

Besonders sichtbar wurde das beim exklusiven Ausblick, den Ola Källenius in seiner Rede auf das Innenleben der neuen Mercedes-Benz S-Klasse gab. Dank der Augmented Reality-Technologien im konzerneigenen TV-Studio interagierte der Daimler-Chef direkt mit der neuen Generation des Infotainment-Systems MBUX. Eine Produkt-Neuheit, die bei einer Hauptversammlung verkündet wird? Das hat es bei Daimler nie zuvor gegeben. Und schon gar nicht in einem so futuristischen Look.

Das war für die Aktionäre in diesem Jahr anders

Was waren beim Prozedere die spürbarsten Veränderungen für die Aktieninhaber bei der Hauptversammlung ohne Versammlung? „Es gab keinen Vor-Ort-Kontakt zwischen Aktionären, Vorstand und Aufsichtsrat, das hat sich schon ganz anders angefühlt“, findet Nadine Panzel. Außerdem musste auch bei den Abstimmungs- und Fragerechten in Zeiten der Corona-Pandemie auf digitale Prozesse umgestellt werden. Dreh- und Angelpunkt war hier das Aktionärs-Serviceportal, den meisten Daimler-Anteilseignern schon zuvor ein Begriff. In seiner Urform reicht der e-Service für Aktionäre sogar in die DaimlerChrysler-Jahre zurück: 2000 war es erstmals möglich, dass Aktieninhaber ihre Weisungen an die Stimmrechtsvertreter der Gesellschaft auch per Internet erteilen. Damals eine absolute Neuheit in Europa.

20 Jahre später ist es das Internet, das eine Durchführung der Hauptversammlung 2020 überhaupt erst möglich machte. „Die Generaldebatte, bei der theoretisch jeder Aktionär sich auf die Rednerliste setzen lassen und seine Frage an Vorstand oder Aufsichtsrat stellen kann, lief in diesem Jahr wegen der Corona-Pandemie natürlich auch anders ab“, erklärt Nadine Panzel: „Die Aktionäre mussten ihre Fragen bis Sonntagabend über das Aktionärsportal einreichen. Auf dieser Plattform lief am Veranstaltungstag auch die Live-Übertragung, außerdem haben die Aktionäre dort auch abgestimmt.“

Die Technik hinter der virtuellen Hauptversammlung: Kameras, ...
Die Technik hinter der virtuellen Hauptversammlung: Kameras, ...
... Greenscreen, ...
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... Scheinwerfer, ...
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... TV-Regie.
... TV-Regie.
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Wie gesagt: Dass in Zeiten der Pandemie überhaupt Hauptversammlungen ohne eigentliche Versammlung stattfinden können, ist einer gesetzlichen Ausnahmeregelung zu verdanken. Sie ist auf das Jahr 2020 beschränkt, im Bedarfsfall kann sie von der Regierung per Verordnung bis höchstens Ende 2021 verlängert werden. Von Dauer wird zumindest die aktuelle Bestimmung also nicht sein. Und dennoch ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Erfahrungen, die jetzt gesammelt werden, auch die Gesetzgebung in einer Zeit nach Corona beeinflussen werden.

Wochen und Monate im Zeichen von Social Distancing, Online Schooling oder Homeoffice haben gezeigt, dass viele Dinge auch virtuell gut funktionieren – teilweise sogar: erstaunlich gut. Für künftige Hauptversammlungen wird Daimler jeweils prüfen, inwiefern elektronische Kommunikationsformen genutzt werden können – entscheidend ist dabei freilich immer, dass die geltenden Aktionärsrechte gewahrt werden. Über einen ersten Schritt im Rahmen dessen, was das Aktiengesetz heute schon vorsieht, haben die Aktieninhaber gestern abgestimmt: Es ging darum, ob die Satzung in Zukunft (also in einer Zeit, in der die COVID-19-Ausnahmeregelung nicht mehr gilt) vorsehen soll, dass sie ihre Rechte auch ohne Anwesenheit vor Ort auf elektronischem Weg ausüben dürfen. Diese Satzungsänderung wurde angenommen.

Sven Sattler

hat die erste virtuelle Hauptversammlung von Daimler nicht nur als interessierter Zuschauer, sondern auch als Aktionär verfolgt. Seinen Berechnungen zufolge gehören ihm immerhin 0,00002 Prozent des Unternehmens, für das er arbeitet.

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