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Das intuitive Zusammenspiel von Mensch und Fahrzeug.

Rasante technologische Fortschritte und das automatisierte Fahren stellen ganz neue Ansprüche an die Ausstattung eines Fahrzeugs. UI (User Interaction)-Sprecherin Maxi Vogel begleitet die Entwicklung neuer Mercedes-Benz-Modelle vom Konzept bis zur Endfertigung. Als Psychologin und Human Factors-Expertin berücksichtigt sie dabei die Fähigkeiten und Bedürfnisse des Menschen optimal. Im Interview erklärt sie uns, was MBUX - das intuitiv steuerbare Infotainment-System von Mercedes-Benz - für den Fahrkomfort bedeutet, was Gesten damit zu tun haben und wie sie ihre Karriere bei Mercedes-Benz startete.

Hallo Maxi, du bist Sprecherin für die User Interaction, kurz UI. Dabei bist du für eine ganzheitliche, intuitive Nutzerinteraktion in Mercedes-Benz Fahrzeugen zuständig. Was steht bei der Entwicklung eines neuen Mercedes-Benz Modells für dich an erster Stelle: der Mensch oder die Technik?

Auf jeden Fall der Mensch! Denn die Technik wird letztendlich von Menschen bedient. Er steht am Anfang jeder Überlegung und Entwicklung. Bis vor kurzem standen vor allem die Fahrenden im Mittelpunkt. Doch nun kommt mit dem DRIVE PILOT das automatisierte Fahren im Level 3 hinzu. Während der hochautomatisierten Fahrt ermöglicht DRIVE PILOT dem Fahrenden sich vom Verkehrsgeschehen ab- und bestimmten Nebentätigkeiten zuzuwenden, sei es mit Kolleginnen und Kollegen via In-Car-Office zu kommunizieren, im Internet zu surfen oder entspannt einen Film zu schauen. Gleichzeitig gehen wir mit dem Infotainment-Angebot inzwischen noch stärker auf die Mitfahrenden ein und haben zum Beispiel im EQS auch ein Beifahrer-Display eingerichtet. Denn Beifahrer wollen im Auto unterhalten werden. So beachten wir bei Mercedes-Benz mehrere Perspektiven und erschaffen dabei die begehrenswertesten Autos.

Die zentrale Frage, die Maxi Vogel, ihre Kolleginnen und Kollegen bewegt: Wie begünstigen wir die intuitive Bedienung von Mercedes-Benz Fahrzeugen?
Die zentrale Frage, die Maxi Vogel, ihre Kolleginnen und Kollegen bewegt: Wie begünstigen wir die intuitive Bedienung von Mercedes-Benz Fahrzeugen?

Wie gehst du an deine Aufgabenstellung heran?

Bei uns im Entwicklungsbereich gibt es eine starke Interdisziplinarität mit den verschiedensten Fachrichtungen. Ich persönlich stelle mir immer folgende Fragen: Welche Gemeinsamkeiten haben Menschen beim Verhalten, Denken, im Wahrnehmen von Informationen? Und was kann der Mensch eben genau deswegen gar nicht bzw. schlecht? In welchen Fällen würde die fahrende Person das Assistenzsystem nutzen? Welche Informationen bereichern die Fahrt und wo und wie zeige ich diese optimal an, wenn es zum Beispiel darum geht, den Fahrer schnell zu warnen? Bei diesem Prozess fließen Erkenntnisse aus der Biologie, Physiologie, Neurologie und Psychologie ein. Auch mein Human Factors-Studium kommt mir hier zugute.

Gutes Stichwort: Als studierte Psychologin hast du im Anschluss noch einen Master im Studiengang „Human Factors“ an der TU Berlin gemacht, der Psychologie, Arbeits- und Ingenieurwissenschaft vereint. Wird der menschliche Faktor bei der Fahrzeugentwicklung noch unterschätzt?

Ich denke bis vor ein paar Jahren wurde er teilweise noch unterschätzt, heute ist das nicht mehr so. Im Gegenteil, die technologische Entwicklung geht rasant voran, der Mensch hat sich bereits an Dinge wie den Touchscreen oder die Sprachbedienung gewöhnt. Er setzt es bei der Bedienung voraus, dass diese intuitiv ist und er sich keine Befehle merken muss, sondern frei heraus sprechen kann. Das müssen wir auch bei der Fahrzeugentwicklung berücksichtigen, genau wie die Veränderungen durchs automatisiertes Fahren.

Bist du vom ersten Tag an in die Entwicklung eines neuen Modells involviert?

Als UI-Sprecherin steige ich sehr früh mit in den Entwicklungsprozess ein. Kurz bevor es in die Serienentwicklung eines Modells geht, was ein paar Jahre vor Markteinführung ist, komme ich ins Spiel und verschaffe mir vorher einen Einblick. An diesem Prozess sind sehr viele Bereiche beteiligt. Es ist kein Arbeiten für sich allein, sondern eine unfassbar kommunikative und vielschichtige Aufgabe, die mit viel Abstimmung zu tun hat. Dadurch lerne ich fast das ganze Unternehmen kennen, vom Fahrzeugprojekt über einzelne Fachbereiche bis hin zu Marketing und Sales. Auf diese Weise kommen wir zu einem idealen Kompromiss, der das Beste für den Nutzenden herausholt. Ich bin auch noch nach der Entwicklung des Modells weiterhin involviert: Wenn das neue Modell ein Jahr auf der Straße gefahren ist, werten wir erste Feedbacks aus, die wir für das nächste Modell berücksichtigen.

Auch die Bedürfnisse von Mitfahrenden spielen für Maxi Vogel bei der Konzeption des Infotainments eine wichtige Rolle.
Auch die Bedürfnisse von Mitfahrenden spielen für Maxi Vogel bei der Konzeption des Infotainments eine wichtige Rolle.

Wie seid Ihr in deiner Abteilung aufgestellt?

Wir haben unterschiedliche Expertisen. Zur UI-Abteilung zählen Psychologen, Human Factors-Experten, Kognitionswissenschaftler, Biologen, Neurologen, Sprachwissenschaftler, Interaktionsdesigner und Medieninformatiker. Sehr viele Menschen beschäftigen sich also damit, wie sich Navigation, Fahrprogramme und vieles mehr intuitiv bedienen lassen. Wir tauschen uns viel aus, holen uns untereinander Rat, arbeiten gemeinsam am MBUX-Infotainmentsystem. Wir haben auch unsere eigene UI-Software, damit wir uns mit den Product Ownern, die sich noch intensiver mit Softwarefragen beschäftigen, dazu austauschen können.

Was hat dich zu Mercedes-Benz gebracht?

Ich habe mich schon immer sehr für Autos interessiert und sie waren auch in meiner Familie ein großes Thema. Technik fand ich von jeher spannend, ebenso die Unterschiede im Denken und Handeln von Menschen. Nach meinem Bachelorstudium der Psychologie war ich auf der Suche nach einem Anwendungsfeld wo Technik und Mensch eine große Rolle spielen. So kam ich zum Studiengang „Human Factors“, der sich eben mit dem Faktor Mensch bei technischen Entwicklungen beschäftigt. Und da passte es perfekt, dass Mercedes-Benz zu diesem Zeitpunkt bereits den Menschen immer mehr in den Mittelpunkt rückte bei der Fahrzeugentwicklung – und dafür Experten wie mich suchten, deren Hauptaufgabe es ist, dass Auto intuitiver zu gestalten.

Du hast mit der Spezifikation verschiedener Unterhaltungskonzepte im Unternehmen begonnen und warst danach u.a. für das Display der G-Klasse und Gesteninteraktion verantwortlich. Sind Gesten international eindeutig zu interpretieren?

Ein ganz spannendes Thema! Einerseits ist die nonverbale Kommunikation sehr stark kulturell geprägt – auch wie viele Gesten man zum Beispiel automatisch macht. Diese sind im Fahrzeug nicht förderlich, weil ich dann aus Versehen Vorgänge aktivieren könnte. Andererseits ist es auch eine Frage der Persönlichkeit, ob man viel oder wenig gestikuliert. Wir achten darauf, dass man keine neuen Gesten lernen muss als Nutzer, sondern wir suchen uns neutrale Gesten, die noch nicht belegt sind. Bestimmte Bewegungen machen die Fahrerinnen und Fahrer ohnehin. Zum Beispiel greift man manchmal nach dem Licht am Fahrzeughimmel oder legt eine Tasche auf dem Beifahrersitz ab. Der Interieurassistent erkennt intuitive Gesten und macht bereits das Licht an, wenn die Hand Richtung Licht geht. Das soll möglichst weltweit gleich funktionieren, nur manchmal nehmen wir leichte Anpassungen für einzelne Länder vor.

Ein lernendes System wie MBUX basiert auf Künstlicher Intelligenz und stellt sich mehr und mehr auf die Nutzerinnen und Nutzer ein. Welche Vorteile bietet das für den Fahrkomfort?

Wir wollen die Nutzerinnen und Nutzer entlasten. Das Fahrzeug unterstützt einen nun immer mehr bei der individuellen Benutzung. Nicht jeder Mensch und jede Fahrsituation ist gleich. Das System kann situativ lernen, wie man fährt und es benutzt. Wenn man sagt: „Ruf meinen Boss an!“, dann speichert es ab, wer die Führungskraft ist, genauso wie es die Führungskraft eines anderen Fahrers abspeichern würde. Auch die Sprachbedienung lernt kontinuierlich, zum Beispiel Akzente zu unterscheiden.

Und was muss das Infotainment der Zukunft für dich unbedingt können?

Ich wünsche mir Gesamterlebnisse. Nicht einzelne Anzeigen und Funktionen, sondern immersive Effekte, wo alles zusammenspielt, so dass ich sagen kann: Das geht nur im Auto und jedes Einzelteil trägt etwas zu meinem Gesamterlebnis bei.

Für Maxi Vogel (34), die in der Nähe von Lutherstadt Wittenberg in Sachsen-Anhalt aufwuchs, bedeutet ein Auto vor allem die Freiheit, einfach loszufahren und sich an einen anderen Ort bewegen zu können. Nach der Wende reiste die Familie bevorzugt mit dem Auto. Diese Kindheitserfahrung hat die Mutter einer sechsjährigen Tochter geprägt: Sie liebt es auch heute, mit Mann und Kind auf Roadtrips zu gehen, um verschiedene Kulturen und Landschaften zu erkunden. Ihre Leidenschaft für das Auto ist auch bei ihrer Berufswahl zu erkennen: Nach ihrem Psychologiestudium an der Universität Göttingen absolvierte sie den Masterstudiengang Human Factors an der Technischen Universität Berlin und bewarb sich etwas später auf eine freie Stelle bei Mercedes-Benz.