Das Thema Blockchain sprengt die Ketten seines Nischendaseins: Immer mehr Unternehmen setzen auf die sichere, dezentrale Verschlüsselungstechnik – sei es bei Finanztransaktionen oder mit so genannten smart contracts. Auch bei Mercedes-Benz wird Blockchain bereits in mehreren Bereichen erforscht und eingesetzt. Ein Pilotprojekt für Lieferketten bei Mercedes-Benz ist vor Kurzem neu hinzugekommen.
Das Prinzip einer Blockchain ist für viele Menschen ein Buch mit sieben Siegeln – und tatsächlich kommt es diesem Sicherheitsniveau recht nahe, aber dazu später mehr. Fakt ist: Die Technologie steht kurz vor ihrem Durchbruch, den viele Experten seit Jahren heraufbeschwören. Bei der populären Digital- und Kreativkonferenz South by Southwest (SXSW), die Mitte März wieder in Austin/Texas stattfand und unter anderem von Mercedes-Benz gesponsert wird, war „Blockchain und Kryptowährungen“ eines der wichtigsten Themenfelder: 48 spezielle Vorträge und Workshops bot SXSW den Besuchern dazu. Weitere Veranstaltungen streiften das Thema am Rande. Schon 2017 konnte Dieter Zetsche auf der SXSW einiges über Blockchain lernen. Natürlich ging es auch 2019 wieder um digitales Geld wie Bitcoin und seine Vorteile – wie etwa der sichere und kostenlose Transfer von Kleinstbeträgen, Micropayment genannt. Aber auch ganz neue Anwendungen wurden vorgestellt. Darunter eine sichere App für die Teilnahme an den US-Präsidentschaftswahlen oder ein Blockchain-Protokoll, dass die in den USA in einigen Staaten erlaubte Cannabisproduktion verbessern soll. Die Möglichkeiten scheinen unbegrenzt.
Infos hängen wie Perlen auf der Kette
Doch was ist das Revolutionäre an der innovativen Verschlüsselungstechnologie? Um das zu verstehen, hilft eine Abgrenzung zur analogen Welt: Hier werden viele Transaktionen – sei es von Vermögenswerten oder Dienstleistungen – zentral gesteuert oder überwacht. Im Finanzsektor übernehmen diese Funktion Banken, bei administrativen Leistungen sind es zum Beispiel staatliche Behörden. Und in der digitalen Kommunikation laufen sämtliche Nachrichten über die zentralen Server großer Unternehmen wie etwa Facebook. Die Idee hinter Blockchain ist nun, dass diese Kontrollaufgaben auf viele dezentrale Teilnehmer – sogenannte Miner – verteilt werden. Das so entstehende globale und kryptografisch verschlüsselte Netzwerk der Blockchain speichert Teile einer Transaktion innerhalb des Netzwerkes an vielen verschiedenen Stellen ab und ermöglicht so, dass niemand eine direkte Kontrolle über die gesamte Transaktion hat. Dadurch ist sie einerseits sehr sicher, andererseits aber allgemein gültig, transparent und jederzeit nachvollziehbar.
Kurz: Die Blockchain-Technologie kann für all jene Zwecke eingesetzt werden, wo Daten ohne zentrale Vermittler sicher, schnell und kostengünstig übertragen werden sollen. Die Selbstverwahrung der eigenen Werte und die durch Kryptografie simulierte Anonymität sind dabei zwei der Hauptargumente der Befürworter von Kryptowährungen wie Bitcoin – und die großen Vorteile einer Blockchain.
Blockchain in der Mobilität
In nicht allzu ferner Zukunft werden Millionen von (autonomen) Fahrzeugen und vernetzten Sensoren miteinander kommunizieren, um Fahrzeugstatus, die Nutzung von Ladestationen, Parkplätzen und Straßen oder auch Reparaturaufträge auszutauschen – und automatisch zu protokollieren und per Micropayment zu bezahlen. Denn weil jeder Block nicht mehr als ein Haufen von Bits ist, können Konditionen direkt in die Transaktionen eingebettet werden. Dies nennt man „smart contracts“. Erst wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind – wenn beispielsweise der Preis bezahlt, das Fahrzeug gewartet, ein Ersatzteil als Original erkannt ist –, wird der Auftrag ausgeführt. Das alles geschieht komplett ohne menschliche Eingriffe.
Mercedes-Benz befasst sich bereits seit einigen Jahren mit der vielversprechenden neuen Plattform-Technologie. Gemeinsam mit Start-ups werden Pilotprojekte entwickelt oder Hackathons veranstaltet. Es gibt sogar eine eigene Blockchain Factory
Blockchain stärkt die Lieferketten
Mercedes-Benz Cars hat vor Kurzem gemeinsam mit Icertis,
Forschung weit fortgeschritten
Darüber hinaus erforscht Mercedes-Benz aktuell in drei strategischen Sektoren die Vorteile der Blockchain-Technologie. Der erste Bereich betrifft eine universelle Plattform für den Betrieb von Mobility-as-a-Service (MaaS). „Mit Blockchain kann man Angebot und Bedarf für Flotten von zehn- oder hunderttausenden von Fahrzeugen aggregieren und steuern. Man kann damit sicherstellen, dass Fahrzeuge und Dienstleistungen den Endnutzern zur Verfügung stehen, wann und wo sie möchten, und entsprechend in Rechnung stellen“, erklärt Harry Behrens, Leiter der Blockchain Factory bei Mercedes-Benz Financial Services
Der zweite große Forschungsbereich betrifft die Digitalisierung von Verträgen und anderen Rechtsdokumenten. Hier befindet man sich nach Aussage von Behrens allerdings noch in der Experimentierphase, da die elektronischen Verträge vor Gericht nicht rechtlich verbindlich sind: „Stellen Sie sich einmal vor, was möglich ist, wenn Dinge wie etwa Eigentumsrechte an einem Fahrzeug durch eine kleine, intelligente Software, die in jedes Dokument eingebettet ist, elektronisch unterzeichnet und rechtsgültig werden können! Das erspart einen enormen Verwaltungsaufwand.“
Der dritte Bereich, in dem die Blockchain-Technologie Auswirkungen haben wird, ist die Art und Weise, wie Projekte finanziert und Einnahmen geteilt werden. Anstatt Kapital auf traditionelle Weise zu beschaffen, ermöglicht Blockchain die "Tokenisierung" von Vermögenswerten oder Dienstleistungen. Das heißt, dass Projekte in kleine virtuelle Anteile aufgeteilt und diese dann verkauft, gekauft und gehandelt werden können. Ein Beispiel: Eine elektrische Ladestation wird auf diese Weise finanziert. Da mehrere Akteure (Eigentümer, Betreiber, Investoren) Tokens an diesen Vermögenswerten besitzen können, können ihre Einnahmen jedes Mal, wenn ein Ladevorgang abgeschlossen ist, berechnet und automatisch an alle Parteien ausgezahlt werden. „Blockchain kann milliardenschwere neue Märkte erschließen, von denen wir heute noch nicht einmal wissen, dass es sie gibt“, sagt DFS-Experte Behrens.
Herausforderungen auf dem Weg
Bei aller Euphorie, es liegt auch noch viel Arbeit vor den Entwicklern. Die Blockchain-Technologie in ihrer heutigen Form ist weder ausreichend schnell noch skalierbar. Die meisten Blockchains können lediglich eine Handvoll Transaktionen parallel abwickeln. Zum Vergleich: Ein traditionelles Kreditkartennetzwerk kann Zehntausende Transaktionen gleichzeitig bearbeiten. Aufgrund der verteilten Validierungsstruktur über unzählige Miner, die alle Rechenleistung benötigen, wird für die Berechnung, Verteilung und Verschlüsselung jeder Transaktion sehr viel Energie benötigt. Noch lohnt es sich also nicht, alles auf Kryptotechnologie umzustellen. In vielen Fällen ist eine normale, geschützte Datenbank noch völlig ausreichend. Aber: Der Weg der Blockchain scheint vorgezeichnet. Noch ist der Entwicklungsstand vergleichbar mit dem Internet der frühen 1990er Jahre. Aber technische Probleme, wie etwa Geschwindigkeit und Benutzerfreundlichkeit, werden schneller gelöst werden als damals. Das Netzwerk besteht bereits. Und die Möglichkeiten sind unbegrenzt.